# taz.de -- Ausstellung zu Susanna-Motiv: Oh, Susanna im Bade | |
> Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum beleuchtet sexuelle Gewalt in einem | |
> der ältesten Krimis der Kunstgeschichte: Susanna – Bilder einer Frau. | |
Bild: Wehrt sie sich oder fügt sich Susanna dem Schicksal? Hendrick Goltzius, … | |
Sitzt eine Frau nackt im Garten ihres reichen Ehemannes. Gerade hat sie die | |
Haushaltshilfe weggeschickt, um Badeessenz zu kaufen. Da kommen zwei alte | |
Richter, tagelang haben sie sie schon gestalkt – und wollen Sex. Willigt | |
sie nicht ein, soll sie wegen Ehebruch mit einem unbekannten Mann angezeigt | |
werden. „Ich bin bedrängt von allen Seiten“, stößt Susanna einen berühmt | |
gewordenen Seufzer aus. Weil sie standhaft bleibt, wird sie verleumdet und | |
vor Gericht zu Tode verurteilt. | |
Doch Gott erweckt den Heiligen Geist im Propheten Daniel, in letzter | |
Sekunde veranlasst dieser die getrennte Befragung der Richter, die sich in | |
Widersprüche verwickeln: Hat es Susanna angeblich unter einer Eiche oder | |
unter einem Mastixbaum getrieben? Schließlich werden die Richter wegen | |
übler Nachrede gesteinigt, Susanna aber ist frei. | |
So in etwa steht es im 13. Buch Daniel im Alten Testament. Wie sich diese | |
2.000 Jahre alte Geschichte von Susanna im Bade als beliebtes Motiv durch | |
Jahrhunderte der Kunstgeschichte zieht, bis hin zu Alfred Hitchcocks Film | |
„Psycho“ und heutigen MeToo-Debatten, beleuchtet gerade eine faszinierende | |
Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. | |
Eins wird darin klar: Die Nackte im Garten war meistens erotische Erbauung | |
– ein kleiner Mittelalter-Porno – und moralisches Entrüstungsinstrument | |
zugleich. Und gerne auch eine schwülstige Warnung an frisch verheiratete | |
junge Frauen, treu zu bleiben. Eheverträge wurden ihnen gern in Schatullen | |
überreicht, auf denen die Geschichte der Susanna detailliert eingraviert | |
war. | |
## Heimliche Mitschuld? | |
Dass Susanna bei allem Mitleid oft eine heimliche Mitschuld zugeschrieben | |
wurde, sieht man schon im ersten Saal auf den vier Kupferstichen Heinrich | |
Aldegrevers von 1555. Da sitzt die nackte Susanna geradezu öffentlich auf | |
einem Platz herum, die Steine zu ihren Füßen ähneln jenen, mit denen ihre | |
Fast-Vergewaltiger später erschlagen werden, als hätte sie es drauf | |
angelegt. Auch ihr Lächeln später im Gerichtssaal erscheint eher fies, gar | |
triumphierend. Und warum hatte sie im Gerichtssaal eigentlich geschwiegen? | |
Viele Großmaler aus den letzten Jahrhunderten von [1][Peter Paul Rubens], | |
über [2][Édouard Manet] bis Lovis Corinth – am Wallraff-Richartz-Museum | |
sammelte man für die Schau prominente Leihgaben ein – lassen sie schreien | |
und beten. Die Begierde der Männer erscheint brutal, drastisch. Der | |
italienische Maler Pietro della Vecchia lässt 1650 die drei Alten Susannas | |
Bein hochreißen, ihre Kleidung wegzerren, einer dringt mit gespreizten | |
Fingern fast in sie ein – aber auch Susanna streckt die Finger seltsam | |
verführerisch weg, als sei sie eine Kurtisane. | |
Victim blaming ist in der Ausstellung allgegenwärtig. Im Rokoko etwa neigte | |
man dazu, das Verlangen der Alten zu verharmlosen, Susannas sexuelle Reize | |
dagegen genüsslich auszuleuchten. Die Susanna eines [3][Hendrick Goltzius] | |
von 1607 blickt zwar flehend zu Gott, hat die Hand aber auf ein | |
Schmuckkästchen gestützt und räkelt sich fast schon lasziv auf den Stufen. | |
Auch als rassistische und antisemitische Verunglimpfung eignete sich das | |
Motiv. Gerne werden die Alten als Schwarze, Juden oder Muslime dargestellt, | |
fratzenhaft und gierig, während Susanna das unschuldige Christentum | |
verkörpert. Manche Maler dagegen machen die Betrachtenden eines Bild schon | |
selbst zu Tätern: Die Susanna von Francesco Hayez aus dem Jahr 1850 wendet | |
sich zu uns, mit irritierend selbstbewusstem Blick – werden wir da zu | |
Zeugen oder zu Voyeuren? | |
## Susanna in „Psycho“ | |
Die Ausstellung zieht ungewöhnliche Verbindungen, zum Film etwa. Alfred | |
Hitchcock richtete seinen berühmten „Psycho“ von 1960 auf das Susanna-Motiv | |
aus und verdeutlichte damit die direkte Konsequenz männlicher Gewalt | |
gegenüber der Frau. Ein Bild der Badenden verdeckt das Guckloch, durch das | |
Norman Bates in die Dusche seines weiblichen Mordopfers glotzt – die | |
meistzitierte Szene der Filmgeschichte. Sein ganzes düsteres Motel ist mit | |
Bildern gepflastert, die Erotik, Baden, Gewalt und Tod verbinden. Ein | |
Grundriss des Filmsets, Szenenbilder und Storyboards sind ausgestellt. | |
Doch auch der weibliche Blick auf das Susanna-Motiv ist zu sehen. Die | |
Barockmalerin Artemisia Gentileschi stellt diese 1610 mit eigener | |
Persönlichkeit dar, widerständig und wehrhaft. | |
2018 gibt die New Yorker Künstlerin und Restauratorin Kathleen Gilje vor, | |
das Gentileschi-Gemälde radiologisch durchleuchtet und dabei eine übermalte | |
Schicht freigelegt zu haben, auf der die Bedrängte eigentlich mit einem | |
Messer feministisch Widerstand leistet. Im letzten Raum der Ausstellung | |
schließlich zeigen auch Bilder aus dem 17. Jahrhundert, wie Susanna | |
Widerstand leistet, ihr Tuch zurückreißt, den Tätern in den Bart greift. | |
Überraschende, erhellende Blickwinkel ergeben sich in dieser aufregenden | |
Schau und den klugen Motivgruppierungen. Sie macht direkt erfahrbar, wie | |
sich Frauenrechte, moralische Standards, Repräsentation im Laufe der Zeit | |
gewandelt haben. Bilder kommunizieren hier unmittelbar, Brisanz und | |
Aktualität springen uns quasi direkt an, egal wie viele hundert Jahre die | |
Entstehung eine dieser Susanna-Darstellungen zurückliegt. | |
31 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
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