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# taz.de -- Brisante Artemisia-Gentileschi-Biografie: Pin-up-Girls des 17. Jahr…
> Kunsthistorikerin Susanna Partsch stellt das populäre Narrativ der
> Barockmalerin Artemisia Gentileschi als sich emanzipierendes Opfer
> triftig infrage.
Bild: Bewältigung eines Traumas oder gängiges Motiv der Barockmalerei? „Sus…
Einmal in das Neapel des 17. Jahrhunderts reisen und Artemisia Gentileschi
treffen. Das wünschen sich Giovanni di Lorenzo und Florian Illies am Ende
einer Folge ihres Zeit-Kultur-Podcasts „Augen zu“. [1][Illies beschwört]
eindringlich das Leben einer Frau, die unter dem Trauma einer frühen
Vergewaltigung litt, es in ihrem Werk verarbeitete und damit „die weibliche
Perspektive, die Verletzbarkeit der Frau“ und auch „weibliche Lust“ in die
Malerei brachte.
Das mag heute plausibel klingen, mit Blick auf die aktuelle
kunsthistorische Forschung ist es jedoch kurios. Die beiden Zeitreisenden
würden sich die Augen reiben, wenn ihr Wunsch in Erfüllung ginge. Denn sie
würden womöglich einer abgeklärten Geschäftsfrau begegnen, die von sich
sagte, sie „arbeite schnell und ununterbrochen“. Eine ehrgeizige Person,
die mit Galileo Galilei im Kontakt stand, für Herzöge, Kardinäle und Könige
arbeitete und nacheinander in Rom, Florenz, Bologna und London Werkstätten
betrieb.
Susanna Partsch enthält sich in ihrer 2023 erschienenen Monografie zu
Artemisia Gentileschi der Einfühlung und der Schwärmerei. Sie setzt auf
eine kritische Auswertung der bekannten Quellen, führt doch die
ahistorische Interpretation alter Kunst nicht selten zu einer Spiegelung
eigener Befindlichkeit. Ihr Buch ist ein Kompendium gesicherter
Erkenntnisse zu Gentileschi, ein Text mit Anmerkungen, aber schlank und
wunderbar klar in der Darstellung und der Kontextualisierung.
Brisant ist die Publikation, weil die Kunsthistorikerin erstmals außerhalb
der akademischen Zirkel das zentrale Narrativ der populären Rezeption
Gentileschis als sich emanzipierendes Opfer überzeugend infrage stellt.
## Artemisia Gentileschi als Pionierin der MeToo-Bewegung?
Für die promovierte Wissenschaftlerin ist es zu modern gedacht, Artemisia
Gentileschi als Pionierin der MeToo-Bewegung zu sehen. Autorinnen wie Anna
Banti oder Elisabeth Storr Cohen werden vielleicht einwenden, dass eine in
der Kunstgeschichte häufig erwähnte Vergewaltigung der damals 17-jährigen
Künstlerin durch den Maler Agostino Tassi durch Prozessakten bestätigt sei.
Gentileschi, 1593 in Rom geboren, lernte damals bei ihrem Vater die
Malerei, sie hatte gerade ihr erstes Historiengemälde signiert.
Doch klagte Vater Orazio Gentileschi den Täter, wie Partsch vermutet, nicht
aus moralischen Gründen erst Monate nach der vermeintlichen Tat an.
Vielmehr hatte sich herausgestellt, dass Tassi bereits verheiratet war.
Eine Defloration seiner Tochter, wie sie offenbar durch Tassi stattgefunden
hatte, minderte ihren Wert auf dem Heiratsmarkt. Ein Manko, das meist mit
einer Geldzahlung ausgeglichen wurde.
Susanna Partsch zieht auch die in den Gerichtsakten überlieferte Aussage
Gentileschis in Zweifel. Diese folge vielmehr fast wörtlich dem
Straftatbestand des stuprum, dem Brechen des Eheversprechens. Aussagen von
Frauen in ähnlich gelagerten Fällen glichen jener der Malerin.
Damit kippt die Gewissheit der gängig gewordenen Interpretation des Werks
der Malerin als Aufarbeitung eines Vergewaltigungstraumas. Auch die
identifikatorische Gleichsetzung ihrer Person mit den „starken Frauen“
biblischer und historischer Geschichten ist aus Partschs Perspektive
fragwürdig. Gentileschi bediente vielmehr einen Markt. Kleopatra, Danae
oder Susanna hießen die beliebtesten Pin-up-Girls des 17. Jahrhunderts.
## Der begehrenswerte Körper, ein Vorwand
Die Darstellung solcher Frauenfiguren lieferte einen Vorwand, sich mit
jungen, begehrenswerten Körpern zu umgeben. Ein Paradebeispiel ist die
tugendhafte [2][Susanna, die von zwei lüsternen Richtern beim Baden]
beobachtet und belästigt wird – ein Thema, das Artemisia Gentileschi in
ihrem Gesellenstück vor ihrer aktenkundlichen Begegnung mit Tassi umsetzte.
Furore macht bis heute ihre dramatisch zugespitzte Version von „Judith und
Holofernes“, ebenfalls ein begehrtes Bildmotiv, das Grusel vor einer
männermordenden Frau erregt.
Die im 20. Jahrhundert entstandene Legendenbildung von der „wütenden
Selbstermächtigung“ (Illies) einer missbrauchten Frau hatte aber auch ihr
Gutes. Damit rückte [3][die virtuose Barockmalerin in den Fokus der
Kunstgeschichte]. Erst vor wenigen Jahren wurden Briefe der Künstlerin
entdeckt, die eine private Seite aufdecken. Sie belegen eine langjährige
Liebesbeziehung zu dem Florentiner Bankier und Kunstkenner Francesco Maria
Maringhi.
Ihm gesteht Artemisia 1620, dass sie „bis zum letzten Atemzug“ die seine
sei. Diese Zeilen werden romantisch veranlagten Fans auf der Zunge
zergehen. Doch sollte man dazu wissen, dass die Künstlerin seit 1612 mit
dem Apotheker Pierantonio Stiattesi verheiratet war. Der fungierte als ihr
Manager und akzeptierte wohl das Verhältnis. Maringhi unterstützte die
Malerin auch finanziell.
9 Jan 2024
## LINKS
[1] /Jeder-schreibt-fuer-sich-allein/!5951109
[2] /Ausstellung-zu-Susanna-Motiv/!5897531
[3] /Vergessene-Kuenstlerinnen/!5922424
## AUTOREN
Carmela Thiele
## TAGS
Barock
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Enthauptung
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