# taz.de -- Die fehlenden Frauen der Kunstgeschichte: Die ewige Muse? | |
> Das Bucerius Kunst Forum Hamburg zeigt Künstlerinnen von der Renaissance | |
> bis zum Klassizismus, die von der Kunstwelt lange vergessen wurden. | |
Bild: Ausschnitt aus Giovanna Garzoni, „Schosshund mit Keksen und chinesische… | |
Eine Frau sitzt zwischen zwei Säulen und skizziert einen antiken Torso vor | |
ihr auf einem Sockel. Das Bildmotiv identifiziert die Porträtierte so | |
eindeutig als Künstlerin, dass eine Erklärung überflüssig erscheint. | |
Angelika Kauffmann hat 1780 nicht nur eine ganze Berufsgruppe durch eine | |
weibliche Personifikation repräsentiert, sie hat auch ein Sinnbild für das | |
Talent und gleichzeitig die Einschränkungen von Künstlerinnen in der | |
Neuzeit geschaffen. Subtil kommentiert sie mit diesem Werk den Missstand, | |
dass Künstlerinnen der Zugang zum Zeichnen von Aktmodellen verwehrt wurde | |
und ihnen als Alternative nur das Studium von Skulpturen blieb. | |
Das Gemälde „Die Zeichenkunst“ ist neben 150 anderen Werken von | |
Künstlerinnen der Renaissance, des Barocks und des Klassizismus aktuell in | |
„Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ im Bucerius Kunst | |
Forum zu sehen. Ähnlich wie Kauffmann will das Ausstellungshaus die | |
Fähigkeiten und Limitierungen dieser Künstlerinnen aufzeigen und viele von | |
ihnen aus der Vergessenheit holen. | |
Dafür stellt es sie ihren Vätern, Brüdern, Ehemännern und Malerkollegen | |
gegenüber. Ein etwas merkwürdiger Vergleich, reduziert er doch die | |
Produktion von Kunst auf die Kategorie des Geschlechts. | |
Diese Ausstellung ist nicht die erste, die sich Künstlerinnen der Neuzeit | |
widmet. Die National Gallery in London würdigte 2020 [1][Artemisia | |
Gentileschi] oder die Gemäldegalerie in Dresden kürzlich die Pastellmalerin | |
[2][Rosalba Carriera]. Künstlerinnen, die historisch oft aus Akademien und | |
Zünften ausgeschlossen wurden, sollen jetzt in den männlich dominierten | |
Kunstkanon wieder eingeschrieben werden. | |
Heute kaum bekannt ist, dass viele dieser Künstlerinnen zu Lebzeiten sehr | |
erfolgreich waren und sich auch in ihren Werken entsprechend selbstbewusst | |
inszenierten. Souverän präsentiert sich etwa Katharina van Hemessen in | |
ihrem Selbstporträt, das als erstes Werk in die Hamburger Ausstellung | |
einführt: Die flämische Künstlerin sitzt vor der Staffelei, der Pinsel in | |
ihrer Hand liegt zielsicher auf der Leinwand und mit festem Blick fixiert | |
sie den*die Betrachter*in. In der sonstigen Dunkelheit des Gemäldes | |
scheinen Gesicht und Leinwand zu leuchten. „Ich Katharina van Hemessen habe | |
mich gemalt / 1548 / ihres Alters 20“, heißt es auf der Inschrift. Eine | |
Maßnahme, um nicht vergessen zu werden? | |
## Der selbstbewusste Blick | |
Ebenso selbstbewusst porträtiert sich die niederländische Malerin Judith | |
Leyster hundert Jahre später. Sie scheint eine*n von der Leinwand aus | |
vorwurfsvoll anzuschauen, als würde man sie mitten in ihrer Arbeit stören. | |
Die vielen Selbstporträts der Künstlerinnen sind ein bildlicher Höhepunkt | |
der Ausstellung, eine ausführlichere historische Einordnung hätte aber | |
geholfen. | |
Van Hemessens Selbstporträt gilt als erstes Selbstporträt eines Künstlers | |
oder einer Künstlerin überhaupt, aber warum dieser Wandel zur | |
Selbstdarstellung von Künstler*innen plötzlich stattfindet, wird kaum | |
erklärt. Die Wahrnehmung von Malerei und Skulptur als Kunst anstatt als | |
Handwerk bringt im 16. und 17. Jahrhundert auch eine Inszenierung von | |
Künstler*innen als Intellektuelle mit sich, denn Kunst wird, so lernt | |
man aus der Kunstgeschichte, aber nicht in der Ausstellung, nun als | |
intellektuelle Aktivität verstanden. | |
Einzelne Vergleiche mit männlichen Familienmitgliedern oder Lehrern zeigen | |
anschaulich deren Einfluss auf die Künstlerinnen. Die dunklen Schatten im | |
Hintergrund von van Hemessens Porträts tauchen auch häufig im Werk ihres | |
Vaters auf. Dann zeigt die Schau, wie sich die Frauen mit eigenem Stil und | |
eigener Innovation hervortaten, wie Maria Sybilla Merians wissenschaftlich | |
bedeutende Darstellung von Insekten und Pflanzen beweist. | |
Jedoch wird die Beeinflussung nicht als gegenseitig dargestellt. Könnten | |
nicht die Künstlerinnen ebenso ihre männlichen Weggefährten beeinflusst | |
haben? Dies wird im Bucerius Kunst Forum bei 30 Künstlerinnen alleinig für | |
Gesina ter Borch herausgestellt. Stattdessen werden die Künstlerinnen hier | |
in einer sehr passiven, man könnte sagen: der Frau zugeschriebenen Rolle | |
dargestellt. | |
Auch die britische Kunsthistorikerin Katy Hessel fragte in ihrer Kolumne | |
für den Guardian: „Warum definieren wir Künstlerinnen immer noch als | |
Ehefrauen, Freundinnen und Musen?“ Natürlich kann der Vergleich oder | |
Verweis auf männliche Familienmitglieder oder Lehrer sinnvoll sein, das | |
zeigt das Bucerius Kunst Forum teilweise auch. Jedoch würde ein | |
Ausstellungshaus sich dieses Themas wohl nicht annehmen, wenn die Rollen | |
vertauscht wären. | |
Trotzdem macht die Schau deutlich: Frauen eroberten sich vor einigen | |
Jahrhunderten auf vielfältige Weise ihren Platz in einer | |
Künstlergemeinschaft, in der sie aufgrund ihres Geschlechts eigentlich | |
ausgeschlossen wurden. Dass sie ihre männlichen Kollegen auch künstlerisch | |
in den Schatten stellen konnten, beweist der eindringliche Blick der Bianca | |
Ponzoni Anguissola in dem gleichnamigen Porträt, das ihre Tochter | |
[3][Sofonisba Anguissola] 1557 von ihr malte. | |
Lebensgroß betrachtet sie die Besucher*innen mit funkelnden Augen, in | |
denen sich ihr glänzender Schmuck spiegelt. Obwohl Anguissola die | |
detaillierte Wiedergabe von Materialien ihrem Lehrer Bernardino Campi zu | |
verdanken haben soll, wirkt sein ausgestelltes Portrait der Bianca Ponzoni | |
grob und blass dagegen. | |
1 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Pauline Barnhusen | |
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