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# taz.de -- Frauen in der Kunst: Viel Care und wenig Kohle
> Die Benachteiligung freischaffender Künstlerinnen übertrifft den
> gesamtwirtschaftlichen Gender-Pay-Gap. Und die Schere geht noch weiter
> auseinander.
Bild: Manchmal bräuchte es mehr als zwei Arme
Zeitgeist, Avantgarde, Zukunftsvisionen – das sind Begriffe, die gemeinhin
mit Kunst und Kultur verbunden werden. Ein Blick hinter die Kulissen des
Kulturbetriebs zeigt jedoch ein ganz anderes Bild: Hier herrscht eine
prekäre und häufig rückwärtsgewandte Arbeitskultur mit alarmierenden
Geschlechterungleichheiten.
So zeigen jüngste Auswertungen, dass der gesamtwirtschaftliche
[1][Gender-Pay-Gap von 18 auf 16 Prozent gesunken] ist, während die
Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei den Soloselbstständigen im
Kultursektor weiter ansteigt: Frauen verdienen nun nicht mehr 24, sondern
25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, so V[2][erdi Kultur in
ihrer frisch veröffentlichten Analyse], die auf den Zahlen der
Künstlersozialkasse beruht.
Je nach Sparte sieht es noch düsterer aus: In der darstellenden Kunst und
beim Film verdienen Frauen 34 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen,
in der bildenden Kunst und im Designbereich sind es 30 Prozent. Im
Industrie-/Mode-/Textildesign verdienen die Kolleginnen knapp halb so viel,
resümiert Verdi Kultur. Aber nicht nur Künstlerinnen, die vielleicht noch
am Anfang ihrer Karriere stehen, müssen mit geringeren Einnahmen rechnen,
sondern auch jene, die es weit gebracht haben.
Denn: Landet das Werk einer Künstlerin in einem Auktionshaus, so erzielt es
dort in der Regel drastisch niedrigere Erlöse. Jeff Koons landete einen
Rekordverkauf von rund 90 Millionen US-Dollar für eines seiner Werke,
während das teuerste Kunstwerk einer lebenden Künstlerin, [3][Jenny
Saville, lediglich auf rund 13,6 Millionen] kam. Eine Studie, die 1,5
Millionen Auktionstransaktionen in 45 Ländern untersuchte, ergab, dass die
Werke von Frauen im Durchschnitt für rund 47 Prozent weniger verkauft
werden.
## Kunst von Frauen verkauft sich schlechter
Die Studie fasste ernüchternd zusammen: „Kunst von Frauen scheint sich
schlechter zu verkaufen, weil sie von Frauen gemacht wird.“ Wie kommt es
also dazu, dass 2025 – zu einer Zeit, in der über 50 Prozent der Befragten
angeben, dass die Gleichberechtigung in Deutschland sehr stark verwirklicht
sei – Frauen im Kultursektor weiterhin überdurchschnittlich benachteiligt
werden?
Die Antwort: Es ist ein zäher Mix aus überholten Rollenbildern und
Vorurteilen, gepaart mit eingefahrenen Strukturen und einer chronischen
Unterfinanzierung des Kultursektors, in dem Frauen und insbesondere Mütter
weiterhin strukturell benachteiligt werden. Ein Zustand, der sich dringend
ändern muss. Um zu wissen, wie, müssen wir die Wirkmechanismen zuerst
genauer unter die Lupe nehmen.
Weibliche Kulturschaffende kämpfen weiterhin gegen ein hartnäckiges Ideal
an, das sie nicht einschließt: die Idee von einem Künstlergenie, das bis in
die tiefe Nacht wild den Pinsel schwingt oder tiefsinnig theoretisiert und
zumeist als männlich und weiß verstanden wird. Und dieses imaginierte
Künstlergenie kommt vermeintlich auch ohne die [4][lästigen Unterbrechungen
durch Sorgeverantwortung], Alltagsbewältigung oder Geldsorgen aus.
Obwohl das Ideal kaum realitätsferner sein könnte, bringt es weiterhin
einen Kultursektor hervor, der männliche, zumeist weiße Künstler in die
Führungsriegen von Museen und internationalen Kunstrankings einziehen
lässt. Ein scharfer Blick auf die Zahlen lässt einen weiteren Schluss zu:
Für Kunst schaffende Frauen ist Elternschaft ein größeres Karrierehindernis
als für Männer. Unter den zehn erfolgreichsten Künstler*innen im
Kunstkompass sind nämlich alle Künstler auch Väter – von insgesamt 24
Kindern.
## Kinderlos an die Spitze
Die beiden Künstlerinnen, die es unter die Top Ten geschafft haben, haben
jedoch keine Kinder. Man denke nur an [5][Jeff Koons] mit seinem
Rekordverkauf: Seine acht Kinder scheinen seiner Karriere nicht im Wege
gestanden zu haben. Im Kunstbereich stellt also Sorgearbeit primär für
weibliche Kunstschaffende ein zentrales Risiko der geringeren Entlohnung
und Altersarmut dar. Darüber hinaus scheint die Fürsorgetätigkeit von
Frauen ihnen als Unfähigkeit zu künstlerischen Geniesprüngen ausgelegt zu
werden: entweder Kunst oder Kind. Eine sexistische Schlussfolgerung, die
eben nicht gleichermaßen für Mütter wie für Väter gilt.
Die Absprache von Kompetenz und Karrieremöglichkeit aufgrund von
Sorgeverantwortung beobachten wir nicht nur in der Kunst. Dass diese
Realitäten aber in der Kunst verstärkt werden, liegt neben sexistischen
Rollenzuschreibungen eben auch an den Strukturen. Hohe
Flexibilitätserwartungen sind nicht mit Kitaöffnungszeiten vereinbar;
Stipendien- und Förderprogramme haben häufig Altersbeschränkungen, die
Sorgearbeitende diskriminieren; wichtige Eröffnungen, Aufführungen und
Artist-Dinners finden zur Zeit des Ins-Bett-Bringens statt.
Diejenigen, die sich um den Nachwuchs kümmern, fallen somit für mehrere
Jahre aus den sozialen Kreisen heraus. Sie können weniger netzwerken,
seltener wichtige Akteur*innen der Szene an ihre Kunst erinnern und kaum
noch an [6][Artist-Residencys] teilnehmen, die so zentral für einen
erfolgreichen Lebenslauf einer Künstlerin sind. In der Schweiz sind
beispielsweise nur 7 Prozent der Aufenthaltsstipendien familienfreundlich.
In Deutschland haben sich letztens knapp 1.300 Frauen auf den europaweit
einzigartigen [7][Gabriele Münter Preis] beworben, der speziell für
bildende Künstlerinnen über 40 Jahren ausgeschrieben wird. Es wird klar:
sehr viel Bedarf und sehr wenig Möglichkeit. Solange [8][Care]-Arbeit als
weiblich verstanden wird, müssen wir Sorgearbeit und
Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft und den Künsten
zusammendenken.
## Zum Beispiel familienfreundliche Stipendien
Sorgearbeit muss somit als ein zentrales Hindernis für ökonomische, soziale
und kulturelle Teilhabe von Kulturarbeitenden ernst genommen und bekämpft
werden – sonst lassen sich die Gender-Gaps in der Kunst nicht schließen.
Dabei mangelt es nicht an Lösungsansätzen: Bundesweit engagiert sich eine
Vielzahl an Initiativen, um konkrete Gleichstellungsanliegen in die
kulturpolitische Umsetzung zu drängen.
So forderten bereits 2023 Vertreterinnen verschiedener Netzwerke im
Kulturausschuss die Politik auf, eine paritätische Besetzung von Jurys und
bei der Vergabe von Fördergeldern umzusetzen sowie eine Diversitätsquote
von 30 Prozent einzuführen, um nichtweiße Minderheiten zu fördern. Das
Aktionsbündnis „[9][fair share]! Sichtbarkeit für Künstlerinnen“ fordert
unter anderem, dass Sammlungen, Ankäufe und Ausstellungen nach den
Prinzipien der Gendergerechtigkeit umgesetzt und nachgebessert werden.
Weitere Initiativen machen sich auch dafür stark, dem Gender-Care-Gap in
den Künsten gezielt entgegenzuwirken: „Mehr Mütter für die Kunst“,
„[10][K&K – Bündnis Kunst & Kind]“, „other writers“, „[11][Mothers…
Warriors, and Poets]“ und „[12][Bühnenmütter*]“ setzen sich seit Jahren
dafür ein, Aufenthaltsstipendien familienfreundlich zu gestalten, die
Altersgrenzen bei Stipendien abzuschaffen und Unterstützung beim
Wiedereinstieg nach der Familienphase zu gewährleisten.
Dabei sind nicht alle Veränderungen zwingend teuer oder kompliziert. Vieles
können Kulturarbeitende, ob in Führungspositionen, als Mitarbeitende oder
als Freischaffende, eigenständig umsetzen: sich mit den eigenen Vorurteilen
kritisch auseinandersetzen, die Uhrzeiten von Veranstaltungen
elternfreundlich gestalten, in Ausschreibungen für Artist-Residencys den
Satz „Eltern sind willkommen“ aufnehmen.
## Zeitzehrender Kampf
Für all das braucht es erst einmal kein großes Budget, sondern Reflexion,
Willen und ein Verantwortungsbewusstsein, für den Wandel Sorge zu tragen.
Aktuell wird das Sorgetragen für Gleichstellung und Vielfalt zumeist von
jenen geschultert, die ohnehin schon prekär verortet sind – nämlich von
Kultur schaffenden Frauen, Queers, Eltern, Menschen mit
Migrationsgeschichte und Menschen mit Beeinträchtigungen.
Die Zeit, die Künstlerinnen und andere Kulturarbeiterinnen aufbringen
müssen, um nicht vom Kulturbetrieb ausgeschlossen zu werden, ist wertvolle
Zeit, die von der ihres kreativen Schaffens abgeht. „Auch wir sollten jetzt
eigentlich im Atelier sein und an unseren Werken arbeiten und nicht hier
für unsere Rechte einstehen müssen!“, so Gabi Blum und Anna Schölß,
Macherinnen von „K&K – Bündnis Kind & Kunst“, beim parlamentarischen
Frühstück „Yes, we care“ letztes Jahr in Berlin.
Es braucht sowohl das Engagement von unten als auch von oben, um
Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt Realität werden zu lassen.
Insbesondere in Hinblick auf die enormen Herausforderungen unserer Zeit:
anhaltende, drastische Kürzungen in Kulturetats, die Wiederaufhebung von
hart erkämpften Ausstellungsvergütungen, eine globale Welle an
antifeministischem Backlash und Schließungen von „Diversity, equity, and
inclusion“-Programmen in großen Unternehmen, aber bereits auch in Museen.
Die Künste müssen gerade jetzt kulturpolitisch enorm gestärkt und nicht
beschnitten werden. Damit sie einerseits als gesellschaftlich wichtige, die
Demokratie fördernde Kräfte erhalten bleiben. Und andererseits, um das
Kunstfeld als prekären Arbeitssektor nicht noch ungleicher werden zu
lassen.
31 May 2025
## LINKS
[1] /Gender-Pay-Gap/!6069383
[2] https://kunst-kultur.verdi.de/schwerpunkte/soziale-lage/zahlen-daten-fakten…
[3] /Teuerstes-Gemaelde-einer-Kuenstlerin/!6086354
[4] /Digitalkonferenz-zu-Carearbeit/!5777040
[5] /Monderoberung-durch-Jeff-Koons/!5991765
[6] /Das-neue-AArtist-in-residence-Programm/!5296447
[7] https://www.gabriele-muenter-preis.de/
[8] /Care-Arbeit-gerecht-verteilen/!6076490
[9] https://www.fairshareforwomenartists.de/
[10] http://www.kundk.xyz/
[11] https://mothers-warriors-and-poets.net/en/
[12] https://www.buehnenmuetter.com/
## AUTOREN
Sascia Bailer
## TAGS
Frauen
Künstlerinnen
Gender Pay Gap
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