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# taz.de -- Schau in der Antikensammlung München: So erleuchtet wie weltlich
> Licht und Energie waren auch im antiken Pompeji teuer. In München
> erzählen Gegenstände aus dieser Zeit von spätrömischer Dekadenz.
Bild: Anregend oder mahnend? Eine Phallusleuchte aus Pompeji
Bis in die kleinste Ritze ist die antike Stadt Pompeji erforscht,
interpretiert, viele Male ausgestellt und romantisiert worden. Doch gibt es
da immer noch etwas, dem man nachspüren kann. An kaum einem anderen
Ausgrabungsort wurden mehr Lampen und Leuchter gefunden als am Fuße des
Vesuv. Sie verschwanden (fast alle) in Depots, etwa des Museo Archeologico
Nazionale in Neapel.
Dabei erzählen gerade diese Alltagsgegenstände von der Gesellschaft
Pompejis, von ihren Riten und Exzessen. 180 Öllampen, Kandelaber,
Lampenständer, figürliche Lampen- und Fackelhalter bilden nun in der
Münchner Ausstellung „Neues Licht aus Pompeji“ ein Kaleidoskop des Luxus
und der Moden spätrömischer Dekadenz.
Es sind fantasievolle Bronzeobjekte. Ein ausgeprägter Hang zu
hedonistischer, prestigebetonter Lebensführung, zur Feier der Schönheit und
zu kultischen Riten führte seinerzeit zu einem breitgefächerten Katalog an
Formen und Figuren. Es gab Lämpchen in Gestalt eines hübschen Fußes, eines
winzigen Mäuschens, einer Fledermaus mit aufgerissenem Rachen, in Gestalt
des trunkenen Silens, eines Zechers, der zugleich als Quell der Weisheit
galt.
Einer Tageshelligkeit von etwa 100.000 Lux standen, so vermutet man heute,
nur 10 bis 20 Lux in den Häusern gegenüber. Und nach Sonnenuntergang wurde
es sehr dunkel in Pompeji. Erst dann begab man sich, so die Überlieferung
etwa von Plinius, an das Schreibpult im Lucubratio, dem Studierzimmer, und
hielt die Gedanken im Schein eines womöglich sündhaft teuren Kandelabers
schriftlich fest.
## Rausch und Sexualität für ein erfülltes Dasein
Oder suchte das Triklinium auf, um sie dort zu verkünden, um zu debattieren
und zu dritt auf einer der Liegen, sagen wir mal: zu ruhen. In diesem
Speiseraum lag der Hausherr auf der mittleren von drei dieser Klinen. Und
trank und aß. Familienmitglieder, Gäste und Freunde wurden streng nach Rang
– nicht nach Geschlecht – auf den beiden anderen Klinen platziert. Fast
lebensgroße bronzene Diener sorgten für Schattenspiel, Drama und Erotik.
Sie hielten ein Tablett, das Platz für kleine Fackeln bot und nur ihren
schönen Oberkörper beleuchtete, ihre Augen, sonst nichts. Die ungewöhnlich
schummrige Beleuchtung der Ausstellung folgt dieser Atmosphäre. Rausch und
Sexualität waren offenbar elementar für ein erfülltes Dasein in Pompeji. Da
klemmte nichts.
Zum genussvollen, abwechslungsreichen Geschlechtsverkehr inspirierte der in
den Ton geritzte Dekor auf den Lämpchen im Cubiculum, dem Schlafraum.
Andererseits wäre es nicht ganz korrekt, die circa 25 Zentimeter hohen
Männerfiguren mit monströsem Phallus lediglich als demonstrativen
Potenzbeweis des Hausherrn zu werten. Sie sind weit mehr abschreckende
Symbole von Macht und Kraft – ein Abwehrzauber, der häufig schon im Atrium
der pompejianischen Villen wirken sollte.
Die Archäologin Ruth Bielfeldt und ihre Studenten an der
Ludwig-Maximilians-Universität haben in Zusammenarbeit mit den Staatlichen
Antikensammlungen ein virtuelles Triklinium eingerichtet. Mit VR-Brille
ausgestattet betritt der Besucher einen fensterlosen, spärlich möblierten
Raum mit drei Klinen, die ansonsten kahlen Wände erscheinen pompejanisch
rot, interagierend werden drei Lampen entzündet.
Es bleibt ziemlich duster. Man kann sich gut vorstellen, dass Wein,
menschliche Wärme und temperamentvolle Gespräche dieser offenbar
regelmäßigen Zusammenkunft wohlhabender Bürger in diesem nur schwach
erleuchteten Ambiente den günstigen Schub geben konnten.
8 Jan 2023
## AUTOREN
Annegret Erhard
## TAGS
Kunst
Ausgrabung
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