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# taz.de -- Garderobe für die Gala: Die Theatralik des roten Teppichs
> Die Ausstellung „Crown to Couture“ in London betont die Gemeinsamkeiten
> zwischen höfischer Kleidung und extravaganten Outfits unserer Gegenwart.
Bild: Moschino entwarf dieses Outfit, das Katy Perry getragen hat
Das nennt man wohl „angeknipst“: Katy Perry, Sängerin, Werbefigur und
Modefreundin, erschien 2019 in einem Kronleuchter auf dem roten Teppich der
„Met Gala“. Ihr Kleid zum Partymotto „Camp“, ein Design der italienisch…
Luxusmarke Moschino, bestand aus einem Stahlkorsett mit funkelnden
Swarowski-Kristallen, an dem auf drei Ebenen 30 große Glaskerzen steckten.
18 Kilogramm wog das Ganze, inklusive eines Kopfteils mit sechs Kerzen, die
alle leuchteten. Den Strom bezogen sie aus im Gerüst versteckten Batterien.
„Ganz ehrlich: Wer würde schon einen Kronleuchter tragen, der nicht
erleuchtet ist?!“, hatte Jeremy Scott, der zuständige Designer, dazu
entgeistert ausgerufen.
Ganz ehrlich: niemand. Doch bei der Met Gala, dem alljährlichen
Kostüm-Spendenball des New Yorker Metropolitan Museums of Art, ist eine
aufregende Interpretation des jeweiligen Mottos Pflicht – und animiert die
geladenen Gäste aus Kultur, Sport und Politik, vor allem aber deren
Designer:innen und Stylist:innen zu modischen Höchstleistungen.
Gewonnen hat, wer am wenigsten zu übersehen ist. Denn auf einem roten
Teppich ist die vestimentäre Inszenierung wichtiger als der Grund, aus dem
man ihn betritt.
Das verbindet ihn mit einem anderen Ort, an dem die Aussagen der Kleidung
die sprachlichen oder tätlichen verdrängen oder zumindest lauthals
unterstützen: Seit dem 5. April funkelt Perrys Kleid in einem historischen
Raum mit roten Stofftapeten, kunstvoll bemalten Decken, Tapisserie und
Gemälden. Die Ausstellung [1][„Crown to Couture“ im Londoner Kensington
Palace,] der seit dem 17. Jahrhundert von der Königsfamilie genutzt wurde,
zeigt über 200 Exponate, davon über 70 Kleider.
Sie legt den Fokus auf die Gemeinsamkeiten zwischen Hof-Kleidung aus dem
17. und 18. Jahrhundert und aktuellen, extravaganten Event-Outfits wie
Perrys „Chandelier-Dress“ oder Lizzos Thom-Browne-Ensemble.
Die Verbindung zwischen Krone und Jetset-Mode deutet sich subtil am Eingang
zur Show an. Dort strahlt Audrey Hepburns champagnerfarbenes Spitzenkleid,
in dem sie 1954 einen Oscar für „Ein Herz und eine Krone“ (!) entgegennahm.
Es stammt von der legendären Kostümbildnerin Edith Head, Hepburn trug es
auch im Film in ihrer Rolle als Kronprinzessin eines ungenannten Landes.
Dass die Auswahl des richtigen Outfits sowohl bei Hofe als auch in der
Film-, Pop- oder Modewelt selten von den Träger:innen allein getroffen
wird, verdeutlichen zwei Porträts, ebenfalls am Anfang der Präsentation.
Eins zeigt die 1737 geborene Schauspielerin und, so nennt sie Kuratorin
Carol Swords, „erste Stylistin“ Frances Abington, die als „Hohepriesterin
der Moden“ galt.
Abington sitzt auf einem Stuhl und schaut den Betrachter an, sie trägt ein
rosa-weißes, mit opulenter Spitze verziertes Ballkleid, ihre Arme ruhen auf
der Lehne, hinter der ein Schoßhündchen hervorlugt. Um ihre Handgelenke hat
sie „Mourning Ribbons“ gewickelt, schwarze Trauerbänder, die man eigentlich
bei Beerdigungen ansteckt. Das ungewöhnliche Accessoire lässt den Look
modern wirken.
## Nachahmung und Aneignung
Neben dem Gemälde zeigen die Kuratori:innen ein Foto, auf dem Sam
Retelle Abingtons Pose nachahmt – inklusive Hündchen. Retelle ist als
Stylist der [2][queeren Schauspiel- und Modeikone Billy Porter] bekannt
geworden – er ist verantwortlich für Porters spektakuläre Entrees bei den
letzten Met Galas. Porters überkandideltes, an einen ägyptischen Gott
inklusive Flügel gemahnendes güldenes Outfit von 2019, in dem er sich von
sechs halbnackten Männern auf einer Sänfte über den Teppich tragen ließ,
nimmt in der Ausstellung fast einen ganzen royalen Raum ein.
„Mit allem, was wir tragen, senden wir Botschaften“, sagt Swords, „bewusst
oder unbewusst. Und das Königshaus ist sich sehr bewusst darüber, was es
trägt, welches Statement es macht.“ Schauspieler:innen ebenso: In Billy
Porters Statement, so die Kuratorin, sei es um „out and proud“ gegangen,
und um „Gender and Race“ – der schwarze, queere, aus einem protestantisch…
Elternhaus stammende Künstler sei darum eine Art „Leitfigur“ der
Ausstellung.
Und obwohl die Aussagen fast diametral zu lesen sind und von
unterschiedlich aufgewachsenen Menschen stammen – die einen sahen sich qua
Geburt als superiore und legitime Herrscher; die anderen stammen aus allen
Bevölkerungsschichten und haben keinen Tropfen blaues Blut in sich –, ist
die Art ihrer modischen Kommunikation ähnlich. Ob die Aufforderung „Vote!“
wie bei Lizzos Billboard-Music-Award-Minidress von 2020, nun als Druck
über dem gesamten Stoff prangt oder nicht.
„Roter-Teppich-Events haben eine Theatralik“, sagt Swords, „die Menschen
inszenieren sich dafür als Halbgötter, als göttliche Botschafter – sogar
[3][Billie Eilish] hat ein Kleid gewählt, das viel Platz beansprucht, um
sich größer und wichtiger zu machen.“ Eilishs pompöse, nudefarbene Tüllro…
bei der Met Gala 2021 war von Oscar de la Renta, mit einer meterlangen
Schleppe.
Im Kensington Palace wird es mit ebenso üppigen, bestickten und mehrlagigen
Roben aus dem 17. und 18. Jahrhundert konfrontiert, inklusive Reifröcken,
die zu breit sind, um mit ihnen durch eine Tür zu gehen oder sich zu
setzen. Jene Entbehrlichkeit von Mobilität fällt bei vielen der Exponate
auf: Man muss beziehungsweise will sich nicht bewegen.
## Der Palast als Akteur
Auch der Palast, in dessen hinterem Trakt Lady Diana mitsamt ihrer Familie
lebte, ist bei der Ausstellung tatkräftiger Akteur. Im edlen „Cupola Room“,
in dem 1819 die zukünftige Königin Viktoria getauft wurde und höfische
Tanzveranstaltungen stattfanden, zeigen die Kurator:innen Tanzfilme in
einer Endlosschleife – zwei schwarze Mitglieder der royalen Ballettcompany
interpretieren den Raum.
Den stärksten demokratisierenden Effekt schafft ein Outfit, das
[4][Beyoncé] hochschwanger während ihrer Performance bei den Grammys 2017
trug. Das anscheinend nur aus Gold und Diamanten bestehende Kleid von
Malakai, auf dessen Headpiece jede Sonnengöttin neidisch wäre, steht im
„Presence Chamber“ des Palasts, in dem der britische König seine Audienzen
abhielt, vor einem rotsamtenen Thron mit Baldachin. Zwei livrierte
Dienerpuppen flankieren die Anwesenheit von „Queen B“ an einem Ort, der
einer Königin endlich würdig ist.
Und natürlich ist ihr schwellender Babybauch sichtbar. Denn neben
nuancierten, politischen Fragen zu Herkunft und Gerechtigkeit des
(Erb-)Monarchiegedankens probiert die Ausstellung mit einer Sammlung von
Korsetten und Unterwäsche einen weiteren Kommentar: Die diachronischen
„Dessous“ haben alle Größen, wurden teilweise von enorm voluminösen
Menschen getragen.
„Wir feiern Body Diversity“, sagt die Kuratorin, und weist darauf hin, dass
konservierte, historische Korsette meist klein sind, weil übliche
Schneiderpuppen eine genormte, kleine Größe haben. Die Schneiderpuppen oder
„Mannequins“ im Kensington Palace sind jedoch alle handgemacht und damit so
unterschiedlich geformt wie die Menschen selbst. Vielleicht noch etwas, was
gekrönte Häupter mit Modenärrinnen und -narren verbindet: Innen drin steckt
dann doch nur irgendein nackter Körper.
10 Apr 2023
## LINKS
[1] https://www.hrp.org.uk/kensington-palace/wh
[2] /Hybride-Maennlichkeit/!5830620
[3] /Konzert-von-Billie-Eilish-in-Berlin/!5863109
[4] /Beyonces-Konzert-in-Dubai/!5909023
## AUTOREN
Jenni Zylka
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