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# taz.de -- Buch zur Kulturgeschichte der Mode: Die Dreadlocks des Albrecht Dü…
> Ulinka Rublack erzählt, wie Mode begann, unser Leben zu prägen. Ihr Buch
> bietet einen Einblick in die modische Kulturgeschichte der Renaissance.
Bild: Blatt des Trachtenbuchs von Matthäus Schwarz
Matthäus Schwarz war 29 Jahre alt und ein erfolgreicher Mann, als er sich
nackt auszog, um sich vom neunzehnjährigen Miniaturmaler Narziss Renner auf
zwei teuren Pergamentblättern einmal von vorn und ein weiteres Mal von
hinten aquarellieren zu lassen. Er notierte dazu: „Am ersten Juli 1526 war
das meine wahre Gestalt von hinten, da ich feist und dick geworden.“ Sich
so seiner selbst gewahr zu werden, war neu.
Der in Italien ausgebildete Buchhalter der Fugger in Augsburg ließ noch
weitere 137 Aquarellbilder von sich anfertigen, die ihn stets äußerst
modisch und teuer gekleidet zeigten. „Auch auf diese Idee war vor ihm noch
niemand gekommen“, schreibt Ulinka Rublack, die am St. John’s College in
Cambridge Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit lehrt, in ihrer Studie
„Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance“. Es ist die
deutsche Ausgabe ihrer 2010 in England erschienen Untersuchung „Dressing
Up. Cultural Identity in Renaissance Europe“.
Matthäus Schwarz und sein Klaidungsbuechlin, das er zwischen seinem
dreiundzwanzigsten und dreiundsechzigsten Lebensjahr führte, und das ihn
als dedicated follower of fashion zeigt, stützen den Akzent auf die Mode im
deutschen Titel. Doch scheint der englische Titel treffender.
Denn die immer wichtiger werdende Rolle von Kleidung und anderen wertvollen
Gegenständen im „langen Zeitraum zwischen 1300 und 1600“ erklärt sich in
den folgenden Kapiteln vor allem in ihrer Aufgabe, Ausdruck und Absicherung
des Selbstbildes in seinen sozialen, religiösen, politischen, aber eben
auch ästhetischen Bindungen und Ambitionen zu sein.
## Neue geschichtswissenschaftliche Perspektive
Indem sie ganz bewusst Quellen aus Süddeutschland heranzieht, bringt
Rublack eine neue geschichtswissenschaftliche Perspektive ins Spiel. Die
zunächst unerwartete Geografie legitimiert eine an Italien anschlussfähige
und damit vergleichbare städtische Kultur. Straßburg, Augsburg und Nürnberg
sind europäische Zentren der gerade entstehenden Druckkultur.
Hier werden aufwendig illustrierte Flugblätter und Bücher produziert, erste
Massenmedien der visuellen Mode-Kommunikation und stilistisch-vestimentären
Selbstverständigung. Mit dem Aufkommen der Bilder in der Öffentlichkeit
gewinnen Kleidung und Erscheinung stark an Bedeutung, zeigt Rublacks
Quellenforschung.
Kein Wunder, dass in den religiösen Auseinandersetzungen des 16.
Jahrhunderts das äußere Erscheinungsbild für die Fremd- wie die
Selbstwahrnehmung als Katholik oder Protestant von höchster Wichtigkeit
war. Anders, als man annehmen würde, konterte Luther den
gegenreformatorischen Pomp der katholischen Kirche keineswegs mit strenger
Einfachheit. Seine Idee eines angemessenen Kleidungsstils orientierte sich
an der bürgerlichen Schicklichkeit des ihm bekannten akademischen Milieus.
Der Katholik Matthäus Schwarz suchte mit dem Konsum aufwendiger Kleidung
und hochwertiger Dinge Anschluss an Italien und die Welt jenseits der
Stadtmauern von Augsburg zu halten. Dem entgegengesetzt ging es dem Freund
des stets exquisit gekleideten und frisierten Albrecht Dürer, dem
Neuhumanisten Conrad Celtis aus Nürnberg, um Abgrenzung. Seine Ausführungen
zu einem deutschen Nationalstil lesen sich wie die eines schrecklichen
Männerrechtlers avant la lettre.
## Das Wams als politisches Kleidungsstück
Gleichzeitig war eine den Deutschen zugeschriebene Mode längst in ganz
Europa en vogue: das geschlitzte Wams, dessen sich Matthäus Schwarz rühmte
eines in Weiß zu besitzen, mit unerhörten 4.800 kleinen, mit weißem Samt
unterfütterten Schlitzen. Das war Luxus pur. Dessen vorrangiger Nutzen war,
beruft sich Ulinka Rublack auf den Ethnologen Arjun Appadurai, rhetorischer
und gesellschaftlicher Natur und seine Rolle also politisch.
Wenig erstaunlich, dass in den süddeutschen Reichsstädten die Kleiderfrage
von eminenter Bedeutung war, wie es in den Briefwechseln der Nürnberger
Patrizierfamilie Behaim höchst anschaulich wird, einem der vielen
eindrücklichen Quellenfunde, die Ulinka Rublacks Studie – neben einer
bewundernswerten Beobachtungs- und Beschreibungsgabe – zu einem großen
Lesevergnügen machen.
Da bittet der Student die Mutter, die ihn mit weißen Hemden überhäuft,
dringend um neue schicke Hosen. Zum Unglück stellen sie sich als viel zu
klein heraus, als sie sie endlich schickt. Seine Schwester und ihr Mann
wiederum schämen und sorgen sich wegen der Anschaffung einer luxuriösen,
purpurroten Atlasdecke so sehr, dass sie verabreden, zu niemandem ein Wort
über den Preis zu verlieren.
Zwar war für Magdalena Behaim und ihren Mann Balthasar Paumgartner
Luxuskonsum eine Notwendigkeit als Zeichen ihrer gesellschaftlichen
Stellung – allzu großen Luxus zu betreiben wäre ihr freilich wieder
abträglich gewesen.
## Kruzifix als Modeaccessoire
Der Nürnberger Luxus kam, meist über Rotterdam, aus aller Welt. Und Luxus
war auch in aller Welt das große Thema, berichtet die Autorin in ihrer
Einleitung. Wie man heute weiß, war Europa nur ein Zentrum beschleunigter
kultureller Entwicklung. In Teilen von Ming-China (1368–1644) wie im
Momoyama- und Edo-Japan (1573–1868) waren der Konsum von langlebigen Gütern
und Kleidung nicht nur den Eliten, sondern großen Teilen der Gesellschaft
wichtig.
Im späten 16. Jahrhundert findet man etwa in Japan die „Lederhosengruppe“,
junge Männer, die einen auffälligen, unkonventionellen Kleidungsstil
pflegten, wobei sie mit aus Europa importierten Samtkrägen und breiten
Gürteln angaben. Selbst das Kruzifix des verpönten Christentums machte
Karriere als Modeaccessoire und Symbol der Gegenkultur. Es wäre also
falsch, sagt Ulinka Rublack, ein größeres Interesse an Kleidung und Konsum
als spezifisch westliches Phänomen zu sehen.
Gleichzeitig war es aber global ein spezifisch jugendliches Phänomen.
Matthäus Schwarz, der in jungen Jahren nicht genug in farbenprächtige
Luxuskleider investieren konnte, die anzufertigen den hohen Preis der
orientalischen Stoffe noch einmal überstieg, verzichtete nach seiner späten
Heirat auf derlei Extravaganzen und begnügte sich mit dem teuren Schwarz
der spanischen Mode.
Mit 26 Jahren machte auch Albrecht Dürer in einem Selbstporträt im tief
ausgeschnittenen Leinenhemd eine bemerkenswert modische Figur, um sich nur
zwei Jahre später als gesetzten Herrn in konventioneller Kleidung zu malen.
Heute hängen die beiden 'Modehansel’, der Buchhalter und der Künstler, im
Pariser Louvre in der Galerie der Nordischen Renaissance nebeneinander.
Schwarz in einem Ölgemälde von Hans Maler, das im gleichen Jahr entstand,
als er sich auszog. Dürer in einem frühen Selbstporträt von 1493, in dem er
seine Dreadlocks, also verfilzten Haarsträhnen, durch eine extravagante
rote Mütze akzentuiert.
Obwohl diese doch recht unwahrscheinliche Paarung ganz anderen Beweggründen
folgt, bewahrheitet sie in der gleich doppelt sichtbaren Bedeutung des
Herausputzens Ulinka Rublacks These am Ende ihrer fulminanten Untersuchung,
dass „Kleider Geschichte schrieben und es in der Geschichte um Kleidung
gehen kann“.
20 Jun 2022
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Buch
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