# taz.de -- Die Kunst der Woche: In Zeiten der globalen Wildfeuer | |
> Lucia Kempkes schlägt weiße Schneisen in die Berge. Georg Thumbach | |
> zeichnet im Dickicht des Waldes. Und Thomas Fischer lädt zur Summer Show. | |
Bild: Lucia Kempkes: To Protect Us From What We Seek, Ausstellungsansicht, Komm… | |
Der Mensch muss weg. Er stört das Bild der unberührten Bergwelt, wie sie | |
durch die Malerei der Romantik – freilich längst für Werbezwecke | |
kommerzialisiert und verkitscht – überliefert ist. Und so wird in der | |
analog gefertigten Zeichnung am Ende noch der digitale Radiergummi | |
eingesetzt. Einem paradoxen Erdrutsch gleich schlägt er eine weiße Schneise | |
im Bild. Und schon ist der Mensch wieder im Bild. Weil ihn die Schneise | |
symbolisiert, als Ausdruck des von ihm angerichteten Schadens. | |
Bei anderen Bleistift-Zeichnungen vom steinigen Boden der Bergwelt kreuzen | |
am Ende statt des Radierers Flecken aus naturfarbener, warmer, wuscheliger | |
Wolle die Wege der Betrachter:innen. | |
Ganz offensichtlich liebt es Lucia Kempkes, die Eigenschaften und den | |
Einsatz ihres künstlerischen Materials zu hinterfragen. Mit wenigen Mitteln | |
dekonstruiert sie die Zeichnung zum Teppich, mit hohem ästhetischen und | |
einem gewissen humoristischen Gewinn. | |
In jedem Fall macht sie von Material und Methoden beglückend | |
unwahrscheinlichen Gebrauch. Und baut ein Kajak aus Papier, das sie im | |
Zürichsee aussetzt und dort treiben lässt. Das Video davon führt in ihre | |
Ausstellung „To Protect Us From What We Seek“ in der [1][Kommunalen Galerie | |
Berlin] ein. | |
Sie handelt von der zeitgenössischen Darstellung von Landschaft und ihrer | |
Bedeutung als Projektionsfläche unserer Sehnsüchte und Erinnerungen. Lucia | |
Kempkes, 1988 in Xanten geboren, fragt dabei nach der Faszination des | |
Abenteuers, der körperlichen Herausforderung, aber auch dem Bedürfnis nach | |
Schutz und Sicherheit. | |
Und wie sie diesen Fragen nachgeht, mit großformatigen Zeichnungen der | |
Gebirgslandschaften, mit Wandteppichen, Knipserfotos vom Strand, mit einer | |
Boden- und einer Bootsskulptur, transformiert sie den Ausstellungsraum zur | |
Ausstellungslandschaft. | |
In der treibt man wie das Kajak aus Steinpapier (auf Polyethylenbasis | |
hergestellt) im Zürichsee, während man kritischen Fragen zur Zukunft der | |
Landschaft in Zeiten der globalen Wildfeuer nachhängt oder ganz banalen | |
eigenen Sehnsüchten, wie etwa, mal wieder Segeln zu gehen. | |
## Ein Apfel in Venedig | |
Die Ausstellung geht nur noch bis Ende der Woche. Aber es lohnt sich, | |
vorbeizuschauen: Thomas Fischer zeigt als Sommererfrischung Werke der | |
Künstlerinnen und Künstlern der Galerie, 34 Arbeiten auf Papier und zwei | |
Wand-Skulpturen. Und das sind dann ungefähr genauso viele Geschichten, | |
Konzepte und Experimente. | |
Selbstverständlich fällt auch jedem Besucher und jeder Besucherin etwas | |
anderes ins Auge. Mich zum Beispiel haben drei Kinder auf einer Fotografie | |
auf die Spur von Seiichi Furuya gesetzt. Die Schwarzweiß-Aufnahme heißt | |
„Ost-Berlin 1987“ und zeigt drei gut gelaunte, höchst aktive Knirpse, die | |
mit schwer zu definierenden Gerätschaften zu Gange sind. | |
Die Farbfotografie einer Küchenspüle, auf der eine Aubergine und mehrere | |
Bündel Radieschen liegen, hat der 1950 in Japan geborene Fotograf, der | |
zunächst Architektur studierte, bevor er auf Weltreise ging und zu | |
fotografieren begann, ebenfalls in Ost-Berlin aufgenommen. Es ist schwer zu | |
erklären, warum das seltsam minimalistische Stillleben eine so große | |
Ausstrahlung hat. | |
Im Foto schräg darüber hält jemand einen Apfel, der sein Gesicht verdeckt. | |
Es könnte sich um eine Frau handeln. Was der Titel „Venedig 1985“ | |
bestätigt. Erst im Frühsommer bin ich in Reggio Emilia mit der berühmten | |
Serie bekannt geworden, mit Furuyas letzten Fotografien seiner an | |
Schizophrenie erkrankten Frau, die im gleichen Jahr Suizid beging. | |
Inzwischen lebt Seiichi Furuya in Graz. „Graz“ heißen denn auch drei | |
hinreißende Blütenaufnahmen. | |
Sebastian Stumpf entdeckt man schnell: Der Typ, der in den Rachen eines | |
Hais auf einem Plakat zu steigen scheint, das kann nur Stumpf sein. Zwei | |
weitere Fotos zeigen ihn am Meer. Einmal scheint er in der Luft zu stehen, | |
gleichauf mit dem Meereshorizont, so als ob er auf ihm stehen würde. Beim | |
Gegenstück steht er am Ufer auf dem Kopf, so dass seine Füße wieder mit dem | |
Meereshorizont abschließen, als ob er von ihm herunter hinge. | |
Für diese Performance ist einige Akrobatik nötig. Dann fallen auch zwei | |
Architekturfotografien von Irmel Kamp (*1934) auf. Ihr Werk, das ähnlich | |
dem der Bechers typologisch ausgerichtet und soziologisch interessiert ist, | |
wird derzeit in einer großen Retrospektive im Fotomuseum Braunschweig | |
gezeigt. | |
## Auf die Probe im Wald | |
Kein Mensch muss hier vertrieben werden, denn hier treibt sich keiner | |
herum. Nur der Künstler Georg Thumbach. Aber der ist nicht im Bild. Im Bild | |
ist Natur, Landschaft. Davon allerdings nur das Detail „Wald“ – wie die | |
Ausstellung im C834 Corbusierhaus heißt. | |
Und Thumbach, der mit Schwerpunkt Zeichnung und Bildhauerei an der Akademie | |
der Bildenden Künste München studierte, steht dann auch noch mittendrin im | |
Verhau des Waldes, da wo er so dicht gewachsen ist, dass dort jemanden | |
anzutreffen wirklich eine Überraschung wäre. | |
Bewaffnet mit sehr großen Papierbögen und Kohle zeichnet er dieses Dickicht | |
spontan und nach der Natur. Das sind dann Bilder, die man so noch nie | |
gesehen hat. Denn so mitten im Unterholz findet man sich selten wieder, wie | |
man es jetzt glaubt, vor den wandfüllenden Zeichnungen. Manchmal muss man | |
erst mal sortieren, wo oben und unten ist – obwohl der Künstler seinen | |
Standort klar definiert, als aufrecht im Wald stehender Mann, der sich | |
weder bückt noch hinlegt oder sonst wie mit der Perspektive experimentiert. | |
Es ist der Wald selbst, das Nadelgehölz mit seinem unwahrscheinlichen | |
Gewirr der Äste und Stämme, das unsere Wahrnehmung und unseren | |
Gleichgewichtssinn auf die Probe stellt. Je länger man dann schaut, desto | |
orientierter wird man. | |
Jetzt erkennt man auch den Laubwald, der vergleichsweise offen ist und | |
sogar kleine Wege zwischen den Bäumen aufweist. Man sieht das Sonnenlicht | |
in den Wald fallen, sieht, wie Licht und Schatten ihn als Raum kenntlich | |
und die Bäume, das Unterholz und das Gras sichtbar machen. | |
Es kann übrigens keinen besseren Ausstellungsraum gaben, als dieses | |
Apartment im achten Stock des Le Corbusier Hauses, das in seiner luftigen, | |
minimalistischen Anlage den denkbar größten Kontrast zum „Wald“ von Georg | |
Thumbach bildet. Und dem es gleichzeitig doch der richtige, schlichte | |
Rahmen ist. | |
26 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kommunalegalerie-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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