| # taz.de -- Die Kunst der Woche für Berlin: Tief in den Gedärmen | |
| > Henrik Olesen malt bei Buchholz sein Verdauungssystem in Öl. Und Christa | |
| > Joo Hyun D’Angelo schickt im Projektraum Soma Vampirinnen los. | |
| Bild: Henrik Olesen, „Digestion“, Ausstellungsansicht, Galerie Buchholz, Be… | |
| Das Bauchgefühl täuscht meistens nicht, im Gegensatz zum rationalen Denken, | |
| zum sogenannten Verstand. Sagt zumindest der Bauch. Die Wissenschaft ist | |
| sich da nicht so ganz einig. Bekannt ist immerhin seit einiger Zeit, dass | |
| sich ganze 100 Millionen Nervenzellen im Magen-Darm-Trakt befinden. Der | |
| Darm gilt als einziges Organ, das – obwohl mit ihm durch den Vagusnerv | |
| verbunden – unabhängig vom Gehirn agiert. Würde man das dem Darm, wie ihn | |
| Henrik Olesen sieht, zutrauen? | |
| Vielschichtig erscheint er zweifellos, unergründlich, chaotisch, von der | |
| Leinwand sich krustig und collagenartig ins Dreidimensionale ausdehnend. | |
| Das Organ selbst weist gleichmäßige Windungen auf. Da hält sich Olesen | |
| offensichtlich mehr an seine künstlerische Inspiration – Jean Fautriers | |
| “L'Homme ouvert“ aus 1928/29 – als an die anatomischen Fakten. Sein Magen | |
| “Stomach“ (2022) hat indes sogar eine, wenn auch spärliche Beschriftung, | |
| als handle es sich um eine Abbildung aus dem Biologiebuch. | |
| In Schichten hat Olesen seine Abbilder der Gedärme aufgetragen auf die | |
| Leinwand, Schichten aus pastos aufgetragener Ölfarbe und Pappmaché, Folien, | |
| gelähnlichen Texturen oder Klebeband mit Edding beschriftet. Sie geben die | |
| Richtung in seiner aktuellen Einzelausstellung in der [1][Galerie Buchholz] | |
| vor. “Digestion“ heißt diese entsprechend. Der Künstler schält die Organ… | |
| neben Darm und Magen sind auch Nieren und Leber porträtiert – aus ihrer | |
| körperlichen Hülle, lenkt den Blick auf das Verdauungssystem, auf das man | |
| sonst meist nur aufmerksam wird, wenn etwas darin nicht funktioniert, wenn | |
| es zwickt und zwackt oder Schlimmeres daran nagt. | |
| Schon lange und ausgiebig hat sich Olesen mit dem Körper beschäftigt, | |
| allerdings auf andere Weise. Bislang galt sein Interesse eher dessen | |
| gesellschaftlichen Implikationen, dem homosexuellen Körper, anders | |
| marginalisierten Körpern, sozialen Beschränkungen des Körpers durch Normen | |
| und Machtstrukturen. Den Blick nach Innen, in die Eingeweide lässt sich | |
| durchaus als daran anschließendes Kapitel lesen: Olesen stellt das uns | |
| Verbindende heraus – Organe hat und braucht schließlich jede*r –, das | |
| Faszinierende des inneren Apparatus, aber auch das Verwundbare des ganzen | |
| Systems, das uns am Leben hält. | |
| ## Vampirinnen vs. soziale Strukturen | |
| Die Körper, die Christa Joo Hyun D’Angelo in den Fokus nimmt, machen auch | |
| einiges mit. Um Misogynie, Sexismus, Rassismus, Klassizismus geht es in den | |
| multimedialen Arbeiten, die die Künstlerin derzeit im [2][Projektraum Soma] | |
| in einer unbedingt sehenswerten Einzelausstellung zeigt, die Skulpturen, | |
| Neon- und LED-Installationen sowie zwei neue Mehrkanalvideoarbeiten | |
| umfasst. | |
| “Mothernight“ stammt zwar bereits aus 2020, hat aber aufgrund der Pandemie | |
| dennoch erst jetzt seine Premiere – und zieht einen sogleich in den Bann, | |
| mit seiner rot-schwarz-weißen Farbgebung, dem Sound, den Vampirinnen, die | |
| ihn bevölkern und vor allem der Art und Weise wie Yoo Hyun D’Angelo darin | |
| ihre Kritik an patriarchalen Strukturen und kolonialen Überbleibseln in | |
| Familien wie Gesellschaften, an kaum zu überwindenden sozialen Strukturen | |
| sowie dem kollektiven Umgang mit Anderssein zum Ausdruck bringt. | |
| Eigentlich müsste man die Arbeit mehrfach ansehen, um sie genauer zu | |
| entschlüsseln, all die Anspielungen und Verweise – und am besten hinterher | |
| gleich noch die beiden südkoreanischen Filme “The Housemaid“ aus dem Jahr | |
| 1960 von Regisseur Kim Ki-Young und “Lady Vageance“ aus 2005 von Park | |
| Chan-Wook, aus denen die Künstlerin – unter anderem – Ausschnitte als | |
| Collagenmaterial benutzt hat (zumindest ersteren hat der Streamingdienst | |
| Mubi aktuell im Programm). | |
| Leiser, aber nicht weniger intensiv ist die jüngste Arbeit, die Christa Joo | |
| Hyun D’Angelo bei Soma präsentiert: Die 5-Kanal-Videoarbeit “A Lover’s | |
| Touch“ begleitet das fiktive Paar Dolores Moreira und Marc Eichmann bei | |
| einer Psychotherapiesitzung. Beide kommen abwechselnd zu Wort. Immer mehr | |
| kommt dabei zum Vorschein, wie sich Abhängigkeiten mannigfaltiger Art, | |
| tradierte und von Stereotypen geleitete Erwartungen in interracial | |
| Beziehungen manifestieren können, wie gegebene Machtgefälle innerhalb | |
| romantischer Partnerschaften im schlimmsten Fall in einer Spirale aus | |
| Gewalt und Scham enden. Keine leichte Kost, aber wer will schon immer nur | |
| Kunst, die so verdaulich wie Toastbrot ist? | |
| 3 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.galeriebuchholz.de/ | |
| [2] https://www.somaartspace.com/christajoohyundangelo | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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