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# taz.de -- Buch über zeitgenössische Kunst: Werk ohne Grenzen
> Jenseits von Kunst oder Kommerz: Wolfgang Ullrich analysiert den
> Strukturwandel der Kunstöffentlichkeit und die Kunst nach dem Ende ihrer
> Autonomie.
Bild: Sneaker des japanischen Künstlers Takashi Murakami – das postautonome …
Ein neues Kunstbetriebsphänomen ist die kuratierte Auktion, die mit der
[1][Versteigerung von Leonardo Da Vincis Salvator Mundi] 2017 einen ersten
Höhepunkt erreichte. Kuratiert meinte hier, dass Loïc Gouzer, Co-Chairman
bei Christie’s, das um 1500 gemalte Bild scheinbar irrtümlich in der
Abendauktion „Post-War and Contemporary Art“ anbot.
Drei Jahre später war es dann ein 67 Millionen Jahre alter Tyrannosaurus
rex, der als „Kunst des 20. Jahrhunderts“ bei einem Gebot von 32 Millionen
Dollar wegging. Nur folgerichtig, betrachten die Verantwortlichen bei
Christie’s den Dinosaurier doch als „Archetyp, Kinostar und
Popkultur-Promi“. Das mag die Fossilie, die für andere, etwa
Wissenschaftler, ein wertvolles Forschungsobjekt ist, sicher auch sein,
aber ist sie damit Kunst?
Ja, sagt Wolfgang Ullrich in seinem neuen Buch. Das Dinosaurierskelett ist
Kunst – nach dem Ende ihrer Autonomie. Dieses Ende verdankt sich der
philosophischen und kunsttheoretischen Überstrapazierung des Begriffs bei
seiner gleichzeitigen Entleerung in der Praxis des Kunstbetriebs.
Es verdankt sich dem Bedeutungsgewinn der Kommunikation der sozialen Medien
und es verdankt sich der Globalisierung, also einer internationalen
Käuferschaft, deren Begriff von Kunst ein völlig anderer ist als der
westliche. Sie lässt sich von Kunst, die in Form von Möbeln, Leuchten,
Handtaschen, Spielzeug oder Protestbewegungen statt Gemälden, Fotografien
oder Performances auftritt, nicht irritieren.
## Teil des Pop-Universums
Anders der Autor, der diesem Strukturwandel der Kunstöffentlichkeit, der
ihn doch einigermaßen überrascht, eine eigene Darstellung widmet, dessen
zentrale These lautet: „Kunst wird heute dann besonders geschätzt, wenn sie
zugleich etwas anderes ist.“ Wie zum Beispiel Sneakers, die der Autor als
das postautonome Kunstwerk schlechthin identifiziert.
Als der japanische Künstler Takashi Murakami 2019 erstmals einen Sneaker
entwarf, betrachtete er den Schuh wie die Christie’s-Leute den Saurier: als
Teil des Pop-Universums, verankert in der Tradition des Anime und dessen
Fankultur. Das Cross-over von deren Codes mit seiner Motivwelt machte den
Schuh in der Sneakers-Szene genauso populär wie in der Kunstwelt.
Die afroamerikanische [2][Künstlerin Faith Ringgold] nimmt mit ihren Vans,
die der Museumsshop des MoMA anbietet, auf ihr Künstlerbuch „Seven Passages
to a Flight“ Bezug, einer exklusiven, nur wenigen Sammlern bekannten
Edition mit 45 Exemplaren.
Ihre Sneakers dagegen werden auf Nachfrage und prinzipiell unbegrenzt
produziert, womit ihre Botschaft gegen Diskriminierung breite Resonanz
erfährt: „Das Buch“, schreibt Wolfgang Ullrich, „war nur Kunst und dadur…
ziemlich machtlos, während die Sneakers, gerade weil sie mehr als nur Kunst
sind, mobilisierend wirken können“ – und vonseiten der Künstlerin sicher
auch sollen.
## Neue Kunst
Wolfgang Ullrich überzeugt mit den ebenso detaillierten wie differenzierten
Überlegungen zur Warenförmigkeit der postautonomen Kunst, einem Phänomen,
dem er erstmals in der [3][„Siegerkunst“ (2016)] der Superreichen nachging,
oder in der Problematik der Kunstautonomie, dem Irrelevant-, ja,
Reaktionärwerden der Idee, wie er in „Feindbild werden“ (2020) aufzeigt.
Auch Feststellungen wie die zum handfesten Mehrwert der postautonomen
aktivistischen Produktkunst gegenüber der reinen Kunst, insofern Erstere
sich benutzen und als Botschaft am Körper durch die Gegend tragen lasse,
anstatt nur betrachtet und beurteilt zu werden, hat analytischen Charme.
Weniger Charme haben freilich viele der vorgestellten postautonomen
Kunstwerke und -aktionen. Bei vielen denkt man nur: wie langweilig. Diesem
Missvergnügen geht Ullrich denn auch im Kapitel „Formen des Misslingens
postautonomer Kunst“ nach.
Freilich überzeugen die „Formen des Gelingens postautonomer Kunst“ auch nur
bedingt. Die Möglichkeiten, die für die Kunst neuen und für ihre
postautonome Form wesentlichen Aspekte der Konsum- und Fankultur auch als
inhaltlich-politisch und formalästhetisch innovativ zu lesen, sind
begrenzt.
Deutlich wird nach dem Ende ihrer Autonomie, dass in der Kunst der
Gegenentwurf zur Welt der instrumentellen Vernunft jedenfalls nicht gesucht
wird. Fridays for Future ist da für eine als zukünftige Sammler und Freunde
der Kunst imaginierte Jugend mutmaßlich attraktiver.
2 Apr 2022
## LINKS
[1] /!s=%2522Salvator+Mundi%2522&ExportStatus=Intern&SuchRahmen=Alle/
[2] /Das-neue-Museum-of-Modern-Art-in-NYC/!5637541
[3] /Wolfgang-Ullrichs-Kritik-am-Kunstmarkt/!5287881
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
zeitgenössische Kunst
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