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# taz.de -- Ausstellung „Guter Stoff“ in Lübeck: Vernetzte Gesellschaften
> Die Ausstellung „Guter Stoff“ erzählt von der Rolle der Hanse beim
> weltweiten Handel mit Textilien – und dem, was heute daraus geworden ist.
Bild: Guter Stoff, der sich auch mal anfassen lässt: Im „Zukunftslabor“ de…
Stoff umgibt uns, ein Leben lang. Nicht nur [1][als Kleidung], die wir auf
der Haut tragen, sondern auch in Gestalt von Heimtextilien und
Gebrauchsstoffen: Bettwäsche, Decken und Handtücher, aber auch Teppiche
oder Vorhänge.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das in diesem Sinne Stoffe herstellt.
Sie sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken, wahrscheinlich gibt es
deshalb gerade gleich zwei dem Stoff gewidmete Ausstellungen – in zwei
Hansestädten.
[2][„100% Baumwolle“ erzählt im Bremer Überseemuseum] die Kulturgeschichte
dieser Pflanze, zeigt Baumwolle als Motor der Sklaverei auf den Plantagen
wie als Treiber der Industrialisierung. Das Europäische Hansemuseum in
Lübeck spannt mit der Ausstellung „Guter Stoff“ derweil einen weiten Bogen
von der Konsumrevolution des Mittelalters bis zur heutigen Textilindustrie.
Da sie auf die Hansezeit konzentriert ist, bleibt der Baumwollhandel
ausgeblendet – beide Ausstellungen ergänzen einander insofern aufs beste.
„Guter Stoff“ in Lübeck wirbt mit witzig montierten Foto-Motiven und auch
die Kuratorinnen Franziska Evers und Angela Huang arbeiten gerne mit
erhellend-irritierenden Kontrasten. So können Besucher:innen beim
Reinkommen Fäden aus farbigen Garnspulen miteinander verknüpfen: „Guter
Stoff“ will auch bewusst machen, wie sehr Textilien als wichtige
Alltagsprodukte Gesellschaften vernetzen.
Huang hat selbst über [3][„Textilien des Hanseraums als
spätmittelalterliche Fernhandelsware“] promoviert. „Guter Stoff“ nun
spiegelt Aspekte ihrer Forschungen und verwebt sie mit aktuellen Debatten:
über nachhaltigen Konsum und die rasch wechselnden Takte der [4][Fast und
Ultrafast Fashion]. So sind die Räume „bekleidet“ mit bedruckten
Textilbahnen aus recycelten PET-Flaschen, die nach Ausstellungsende
weiterverwendet werden sollen.
Das kostbarste Exponat ist eine Kindertunika aus der Hansezeit in der
ersten Station „Konsum + Mode“: fein eingefasst mit Seidenstreifen, die
Knöpfe mit Seide überzogen. „Der hansische Handel verbindet textile
Produktionsstätten von Flandern bis an die Wolga“, erläutert Angela Huang.
Wir sehen: Die Menschen des Mittelalters kleideten sich bunt, zeigten ihren
Wohlstand. Zugleich versuchten die Hansestädte, die Zahl besonders
aufwendiger Kleidungsstücke und kostbarer Stoffe zu begrenzen.
Stoff ist für uns so selbstverständlich, dass wir meist nicht wissen, woher
er kommt und wie er entstanden ist. Die zweite Station „Produktion“
veranschaulicht, dass jedes Stück Stoff zahlreiche Arbeitsschritte
durchläuft. Schade, dass in diesem Teil der Ausstellung zwar zwei Webstühle
stehen, aber Spindeln, Spinnräder oder Garnwinden fehlen. Dabei gab es
gleich im benachbarten Burgtor noch bis 2016 eine bekannte Weberei.
Womöglich weben die Besucher:innen im Workshop „Vom Schaf bis zum Hemd“
selbst ein Stück „guten Stoff“?
Kleidung wird zur Mode, Stoff schafft Wohlstand und führt zu gesteigertem
Konsum. Textilien sind die vom Wert her führende Handelsware im
Mittelalter, besonders bedeutsam ist die Herstellung von Wolltuch und damit
der Tuchhandel. Neben Textil-Funden zeigt die „Handel“-Station dann auch
Tuchsiegel aus ganz Nordeuropa. Das digital animierte „lebendige Buch“
steht dabei im Zentrum: Es zeigt die Verkehrsströme im nordwesteuropäischen
Raum und die komplexen Handelsbeziehungen von Brügge, London, Bergen über
Lübeck bis Nowgorod.
Wie Menschen zur Hansezeit Textilien nutzten und heute damit umgehen,
thematisiert die vierte Station [5][„Nachhaltigkeit“]: Auf wessen Kosten
wird Stoff produziert? Welchen Einfluss hatte die Hanse auf den
Textilhandel – und wer hat ihn heute? Den erhaltenden Umgang mit Stoff
belegen einige Exponate aus Privatbesitz: das Kinderkleid von 1929, das
erst zur Bluse und dann zum Taufkleid umgearbeitet und 70 Jahre nach dem
Kauf noch getragen wird, oder den gut erhaltenen Mantel, der 1945 aus einem
Kaschmirplaid gearbeitet wurde – wer sich damals etwas schneidern lassen
wollte, musste den Stoff selbst mitbringen.
## Konsum und Verschwendung
Das „Zukunftslabor“, die fünfte und letzte Station, interessiert sich für
die Frage, was überhaupt „guter Stoff“ ist, was seine Qualität ausmacht.
Touchscreens machen begreiflich, dass wir entscheiden können: wie hoch
unser Textilienbedarf ist, ob wir fair produzierte Kleidung zu kaufen und
die [6][Wegwerfgesellschaft] zu begrenzen bereit sind. Textilien sind
beides, Objekte des Konsums wie der Verschwendung. Allein 95
Kleidungsstücke besitzt jede:r Deutsche. 90 Prozent unserer Kleidung
werden importiert.
Guter Stoff ist gut verarbeitet, fühlt sich gut an, lässt sich gut tragen,
schützt und „umhüllt jedes Glied, ohne es zu zwängen, und die reichlichen
Falten des Stoffes wiederholten, wie ein tausendfaches Echo, die reizenden
Bewegungen“, schreibt Goethe in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Material,
Zuschnitt und Farbwahl verraten, wie wir uns sehen und gesehen werden
wollen.
„Guter Stoff“ informiert und sensibilisiert über Stoffe, erzählt in fünf
Stationen von deren Produktion, Handel und Konsum. Wer den Stellenwert der
Stoffe für die mittelalterliche Gesellschaft erfasst, schaut neu auf den
gegenwärtigen Umgang mit Stoff. Vielleicht ja zum Guten.
3 Dec 2022
## LINKS
[1] /Mode/!t5007623
[2] /Bremer-Ausstellung-ueber-Baumwolle/!5889539
[3] /Forschung-zur-Geschichte-der-Hanse/!5875342
[4] /Fast-Fashion/!t5015089
[5] /Arte-Doku-Fast-Fashion/!5752418
[6] /Greenpeace-untersucht-Modeindustrie/!5817409
## AUTOREN
Frauke Hamann
## TAGS
Lübeck
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