| # taz.de -- Umstrittene Podiumsrunde mit Tellkamp: Kein Lehrstück in Sachen De… | |
| > Autor Tellkamp trifft auf Ministerpräsident Kretschmer. Verschwörungen, | |
| > Zweifel an der Reichsbürger-Razzia werden geäußert. Streiten will keiner. | |
| Bild: Kein Streit, lieber Harmonie: Autor Tellkamp und Ministerpräsident Krets… | |
| Berlin taz | „Warum eigentlich nicht?“, fragt Conrad Clemens, der Leiter | |
| der Vertretung des Freistaats Sachsen beim Bund, gleich zu Beginn der | |
| Veranstaltung. Man habe in den vergangenen Wochen zur Voraufführung eines | |
| „beschaulichen Erzgebirgskrimis“, dann zu einem „wunderschönen | |
| Weihnachtskonzert“ eingeladen. Und nun komme eben Uwe Tellkamp, ein | |
| „Künstler“ und der „berühmteste sächsische Autor“, ein „feiner Beo… | |
| des politischen Betriebs“, um erst aus seinem neuen Roman zu lesen und | |
| anschließend mit dem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zu | |
| diskutieren. | |
| „Eine offene Debatte. Das hält auch der Berliner Diskurs aus“, sagt | |
| Clemens. Er versichert, dass alles in seinem Hause „immer auf dem Boden der | |
| freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stattfinde. Mit diesen Worten | |
| versucht Clemens die hitzige Debatte um die Einladung des [1][umstrittenen | |
| Autors Tellkamp] einzufangen. | |
| Ist das am Donnerstagabend so gewesen und gelungen? Sehr wohl wussten die | |
| Parteifreunde Kretschmer und Clemens um die Provokation, die mit einer | |
| Veranstaltung mit Tellkamp verbunden ist. Ein Facebook-Posting der | |
| pegidanahen Buchhändlerin Susanne Dagen vom Vortag hatte dies ein weiteres | |
| Mal unterstrichen: Dagen, Tellkamp und Ellen Kositza, Gattin und | |
| Mitstreiterin des ultrarechten Publizisten Götz Kubitschek aus Schnellroda, | |
| auf einem Bild. Dazu die Ankündigung der nächsten Folge eines Videoformats | |
| zu Gesprächen über Literatur in einer Reihe, in der auch schon Martin | |
| Sellner von der Identitären Bewegung zu Gast war. | |
| Am Donnerstag in der Sachsen-Vertretung sitzt Dagen in der ersten Reihe auf | |
| einem der für Ehrengäste reservierten Plätze. Gleich neben den Eltern von | |
| Tellkamp, und sie wird herzlich begrüßt von der anwesenden Prominenz. Der | |
| Moderator Martin Machowecz, Chef des „Streit“-Ressorts der Wochenzeitung | |
| Die Zeit, wird einmal kurz für Missstimmung sorgen, als er Tellkamp auf | |
| Dagens Posting anspricht. | |
| ## Tellkamp wird gefragt, Tellkamp schimpft | |
| Man wolle ihn vorführen, die Frage sei „infam“, giftet der Schriftsteller | |
| zurück, er schimpft über einen aus seiner Sicht unberechtigten | |
| „Kontaktschuld“-Vorwurf. Und erklärt: „Im demokratischen Spektrum sollte | |
| jede Meinung ihre Stimme haben. Warum muss ich mich rechtfertigen, was ich | |
| in meiner Freizeit tue oder lasse?“ | |
| Ansonsten sagt Tellkamp viele Dinge, die er schon seit vielen Monaten so | |
| oder so ähnlich sagt: Er vergleicht die [2][Zustände in der heutigen | |
| Bundesrepublik mit denen in der DDR]. Den Begriff Totalitarismus benutzt er | |
| nicht wörtlich, in seinem speziellen Literatendeutsch ist die Rede davon, | |
| dass im Lande „totalitäre Wahrheitszüge vorschimmern“ und dass es ein | |
| „totalitäres Wollen gegenüber Abweichlern“ gebe. | |
| Der Begriff „Führer“ fällt bei ihm mehrfach. Tellkamp sagt, es gehe dabei | |
| freilich nicht um Hitler, aber beispielsweise sei das „Corona-Expertentum“ | |
| auch „in gewisser Weise Führertum“. Manches hat der Autor fast wortgleich | |
| formuliert, als er dem rechten Blogger Boris Reitschuster vor ein paar | |
| Tagen für ein eineinviertelstündiges Videointerview zur Verfügung stand. | |
| Zum Beispiel, dass die Menschen in der DDR den Bleiwüsten in den Zeitungen | |
| in ähnlicher Weise misstraut hätten wie heute viele den etablierten Medien | |
| in der Bundesrepublik. | |
| Der Buschfunk werde wichtiger, so sei es auch früher gewesen, sagt er. Bei | |
| Reitschuster hob er zudem lobend verschiedene Parallelmedien wie den Blog | |
| von Vera Lengsfeld oder die Achse des Guten hervor. In der | |
| Sachsen-Vertretung würdigt er den Welt-Reporter Tim Röhn, der als Einziger | |
| überhaupt die vorgegebenen Narrative zur Corona-Berichterstattung | |
| „ernsthaft in Frage gestellt“ habe. | |
| ## Jede Menge Futter für Verschwörungsmythen | |
| Und auch zu den [3][Razzien in der Reichsbürger-Szene] lässt sich Tellkamp | |
| aus. Er bezweifelt („Woher wissen Sie das?“, entgegnet er dem Moderator), | |
| dass es wirklich Umsturzpläne gegeben habe. Er spricht von einer | |
| „Reichsbürger-Verschwörung“ und macht dafür Bundesinnenministerin Nancy | |
| Faeser (SPD) verantwortlich. Tellkamp sagt, bei Revolution Chemnitz – einer | |
| rechtsterroristischen Gruppe – habe es sich 2018 auch nur um „ein paar | |
| Hanseln mit einem Luftgewehr“ gehandelt. | |
| Mit anderen Worten: Das [4][Vorgehen gegen Rechtsextreme] sei in | |
| Wirklichkeit oft eine Überreaktion des Staates, der dem Volk „einen Bären | |
| aufnötigen“ wolle. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer werde „nicht | |
| vergleichsweise angegangen“, fügt er an. Ob er das ernsthaft vergleichen | |
| wolle, fragt Moderator Machowecz. Tellkamp will. Er hält die Forderungen | |
| von Klimaaktivist:innen für unwissenschaftlich und sagt, dass mit | |
| ähnlicher Methodik wie Neubauer heute schon „die Kommunisten“ in der DDR | |
| ihre Interessen durchgesetzt hätten. | |
| Das handverlesene Publikum – gut 100 Leute sind im Saal – nimmt fast alles, | |
| was Tellkamp sagt, nahezu widerspruchslos hin. Immer wieder gibt es | |
| Zwischenapplaus und nur selten Gegrummel bei Einzelnen. Ernsthaft stört das | |
| harmonische Zusammentreffen nur einer: Frank Richter, Ex-Bürgerrechtler, | |
| früherer Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, | |
| inzwischen SPD-Landtagsabgeordneter. | |
| „Die Anschlussfähigkeit des Denkens in den ganz rechten Bereich macht mir | |
| Sorge“, kritisiert er. Brüsk weist Tellkamp die Kritik zurück, sie stünde | |
| Richter nicht zu. „Ich kann nichts dafür, bei wem das auf Widerhall | |
| trifft“, sagt er in Anspielung auf den großen Zuspruch, den er in rechten | |
| Kreisen bekommt. | |
| ## Kretschmer fährt Tellkamp nicht in die Parade | |
| Der Regierungschef und CDU-Landesvorsitzende Kretschmer relativiert zwar | |
| die eine oder andere Aussage von Tellkamp vorsichtig, ernsthaft fährt er | |
| ihm aber nicht in die Parade. Zwar sagt der CDU-Politiker im Unterschied zu | |
| Tellkamp, dass er über den Ermittlungserfolg bei den Reichsbürgern „sehr | |
| froh“ sei: „Diese [5][Wirkmächtigkeit von Verschwörungstheorien] hätte i… | |
| nicht für möglich gehalten.“ In diesen Kreisen würden „wirreste Dinge“ | |
| formuliert: „Das ist echt gefährlich.“ | |
| Dann aber spricht er ebenso wie Tellkamp über die von ihm beobachtete | |
| [6][Radikalisierung unter Klimaaktivist:innen]. Ein Konflikt ist an | |
| diesem Abend weder vom Publikum noch auf der Bühne gewollt. | |
| Kretschmer verteidigt sein Dialogkonzept, bei dem Tellkamp nur einer in | |
| einer langen Reihe ist. Es sei richtig gewesen, dass 2015 der damalige | |
| sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig die Anführer:innen von Pegida | |
| getroffen hatte, ebenso, dass er selbst 2020 im Großen Garten in Dresden | |
| mit Corona-Demonstrant:innen diskutierte. | |
| Als er später mit den Querdenker-Ikonen Sucharit Bhakdi und Stefan Homburg | |
| an einem Runden Tisch zusammenkam, habe ihm das sogar „in vielen Punkten | |
| die Augen geöffnet“, sagt Kretschmer. Miteinander reden bedeute ja nicht, | |
| dass man „nach dem Munde redet, sondern dass man sich mit denen | |
| auseinandersetzt“. Rote Linien will der sächsische CDU-Mann nach eigenen | |
| Worten erst dann ziehen, wenn der Staatsanwalt oder der Verfassungsschutz | |
| das vorgeben. Grundsätzlich gelte: „Wenn wir nicht mehr miteinander reden, | |
| wie soll das dann gehen?“ | |
| 9 Dec 2022 | |
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| Matthias Meisner | |
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