# taz.de -- Uwe Tellkamps „Der Turm“ als TV-Film: „Keine Wiedervereinigun… | |
> 1.000 Seiten Roman hat Christian Schwochow zu einem Fernsehzweiteiler | |
> verarbeitet. Der Regisseur und die Hauptdarstellerin über Träume vor und | |
> nach der Wende. | |
Bild: Jan Josef Liefers (links), Sebastian Urzendowsky und Claudia Michelsen (r… | |
taz: Frau Michelsen, Herr Schwochow, wie ist es Anne Hoffmann und den | |
anderen Figuren aus „Der Turm“ wohl nach der Wende ergangen? | |
Christian Schwochow: Ich bin da nicht der richtige Ansprechpartner, weil | |
ich schon ein bisschen was weiß über die Fortsetzung, an der Uwe Tellkamp | |
gerade schreibt, zum Beispiel dass Anne Hoffmann in die Politik geht. Ich | |
kann nur sagen: Für ihren Sohn Christian habe ich mir immer gewünscht, dass | |
er nach seiner Armeezeit sofort ein Interrail-Ticket kauft und ein paar | |
Monate durch Europa fährt und die neu gewonnene Freiheit genießt. | |
Claudia Michelsen: Da musste ich gar nicht groß drüber nachdenken: Für mich | |
war es eigentlich klar, wie es mit Anne weitergeht. Das Einzige, was ich | |
nie zu Ende gedacht habe und auch nie zu Ende denken wollte, ist die Frage, | |
wie die Beziehung zu ihrem Mann Richard weitergeht, ob sie weitergeht. Das | |
Buch lässt das offen, das mochte ich. | |
Schwochow: Eigentlich wäre es schön, wenn die beiden sich durch die Wende | |
vielleicht noch mal irgendwie … | |
Michelsen: … wiederfinden. Ja, finde ich auch. | |
Ist es nicht bemerkenswert, dass wir über Roman- bzw. Filmfiguren so | |
sprechen, als wären sie real? | |
Michelsen: Das ist das Besondere an der Romanvorlage wie auch an Christians | |
wunderbar unaufdringlichem Film, dass er nicht eine Geschichte schwarz-weiß | |
durcherzählt, sondern der Fantasie viele Türen öffnet. | |
Schwochow: Wir wollten eben wie auch Tellkamp keine Heldengeschichte | |
erzählen, sondern von Menschen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. Dafür | |
war es wichtig, dass die sechs Figuren aus dem Roman, die im Zentrum des | |
Drehbuchs von Thomas Kirchner stehen, sich von der Vorlage entfernen, ein | |
Eigenleben entwickeln. | |
Der Film wirkt im Gegensatz zu dem wortgewaltigen Wälzer „Der Turm“ wie | |
hingetupft, mit allen Auslassungen, Leerstellen, die das mit sich bringt. | |
Schwochow: Der Film sollte ja eine Leichtigkeit haben. Hingetupft, | |
impressionistisch, das sind Begriffe, mit denen ich sehr einverstanden bin. | |
Nicht flüchtig, aber zart. | |
Wie bringt man so viel Zartheit auf für ein Land, das Ihre Familie | |
verlassen wollte? Nach Ihrem Ausreiseantrag 1988 saßen Sie monatelang auf | |
gepackten Koffern. | |
Schwochow: Man macht ja keinen Film über ein Land, sondern über Menschen, | |
über Figuren. Und es ist ein Irrglaube, dass man sich nur an das Dunkle und | |
Schwere erinnert. Auch wenn die letzten Jahre der DDR zweifellos von | |
Stillstand geprägt waren, waren die Gespräche im Team über diese Zeit sehr | |
bunt und vital. Ja, es stimmt, meine Familie saß auf gepackten Koffern – | |
aber das hatte auch was unheimlich Positives: Wir waren nie wieder so | |
voller Hoffnungen und Sehnsüchte wie damals. | |
Inwiefern haben sich Ihre mit der Wende verbundenen Träume und Hoffnungen | |
erfüllt? | |
Schwochow: Meine Eltern wollten damals nach Kanada auswandern. Das hat sich | |
nie erfüllt, war aber als Sehnsuchtsbild sehr präsent. | |
Waren Ihre Eltern dann wenigstens mal im Urlaub da? | |
Schwochow: In Kanada nicht, aber in den USA, mehrmals. | |
Frau Michelsen, Sie selbst haben immer davon geträumt, nach Paris zu | |
fahren, sich aber nach der Wende drei Jahre Zeit damit gelassen. Warum? | |
Michelsen: Zum einen war ich nach der Wende viel mit mir selbst | |
beschäftigt. Ich wurde ja über Nacht ohne Gebrauchsanweisung in die freie | |
Marktwirtschaft geworfen – was mir, glaube ich, als jungem, lernfähigem | |
Menschen leichter fiel als 40- oder 50-Jährigen, aber trotzdem eine Menge | |
Stress bedeutete. Und außerdem war der Wunsch, in meine absolute Traumstadt | |
Paris zu fahren, so groß, dass ich dachte: Ich kann da jetzt nicht einfach | |
so hinfahren. Da muss ein Mann dabei sein, den ich liebe. Und dann hat es | |
drei Jahre gedauert, bis ich mich in mein Auto gesetzt habe und hingefahren | |
bin – allein. | |
Schwochow: Meine Mutter stammt von Rügen, wo auch ich geboren wurde. Und es | |
war seit der Kindheit ihr Traum, eines Tages auf der weißen Fähre, die sie | |
immer am Horizont gesehen hat, nach Schweden zu fahren. Als wir es dann | |
1990 gemacht haben, war die Enttäuschung riesengroß: Es hat nur geregnet, | |
uns war so langweilig, dass wir gleich weiter nach Norwegen gefahren sind. | |
Die Realität konnte mit dem Traum nicht mithalten. | |
Und abseits der Reiseträume? | |
Michelsen: Reisen, alle Meere der Welt sehen, war immer mein Wunsch. | |
Vielleicht habe ich mich damit ein Stück weit auch über die Enttäuschung | |
hinweggetröstet, dass der Traum von einem eigenständigen Staat so schnell | |
zerplatzt ist. Die Wiedervereinigung war wirklich nicht das, was wir | |
Künstler im Umfeld der Volksbühne in Ostberlin wollten. Die Masse hat sich | |
aber anders entschieden. Der Kater, der nach dem Taumel der Wendezeit | |
einsetzte, war schrecklich. Freundschaften zerbrachen, alle waren mit sich | |
selbst beschäftigt, niemand war plötzlich mehr da, wo man ihn vertraut | |
wusste. Auch deswegen bin ich 1994 in die USA gezogen. | |
Schwochow: Die Hoffnung auf den dritten Weg war Common Sense unter | |
Ostintellektuellen, auch bei meinen Eltern. Ich kann mich nicht daran | |
erinnern, dass da überhaupt ernsthaft über die Wiedervereinigung | |
nachgedacht wurde. Aber ich war ja auch erst elf. Bei mir ging es eher | |
darum, die Träume meiner Eltern zu spüren, loszufahren und die Welt zu | |
sehen. Das machen wir bis heute so. Das ist übrigens interessant: Ich | |
erlebe ganz oft, dass die meisten Westdeutschen viel, viel weniger von der | |
Welt gesehen haben, als meine ostdeutschen Freunde. Viele haben im Ausland | |
ihre Partner kennengelernt, meine Frau etwa ist Finnin. | |
Wie gern leben Sie im Deutschland 2012? | |
Schwochow: Auch wenn ich viele Dinge bemerke, die mir Angst machen, lebe | |
ich gern hier. Ich bin aber generell auch kein pessimistischer Mensch. | |
Was macht Ihnen denn heute Angst? | |
Schwochow: Angst macht mir, dass wir es nach anfänglicher Kritik | |
mittlerweile klaglos hinnehmen, in einem Überwachungsstaat zu leben, | |
gläserne Bürger zu sein. Oftmals bemerken wir gar nicht mehr, was um uns | |
herum so passiert. Diese Gleichgültigkeit finde ich gefährlich. Und | |
trotzdem lebe ich gern hier, weil es mir gut geht und ich in der Lage bin, | |
meine Filme zu machen. | |
Michelsen: Ich mag, dass meine Kinder hier aufwachsen. Deutschland hat was | |
sehr Handfestes, Reales und trotzdem Sicheres. Das Deutschland von heute | |
ist trotz Krise ein sehr glückliches Land, mir macht eher Angst, was hier | |
in 20 Jahren passiert. Als Unterstützerin des Kinder- und Jugendwerkes Die | |
Arche macht mich die Ignoranz gegenüber der Armut von nebenan fassungslos. | |
Wir interessieren uns anscheinend nicht dafür, was vor unseren Augen | |
passiert. | |
Schwochow: Das kann man sehr ausweiten. Ich weiß zum Beispiel noch, wie wir | |
an meiner Schule in Hannover gegen den Golfkrieg demonstriert haben. Ich | |
frage mich, ob meine Tochter mit zehn, elf Jahren überhaupt ein Bewusstsein | |
dafür haben wird, dass auf der Welt ständig zig Kriege geführt werden und | |
man dazu eine Haltung entwickeln sollte? | |
Michelsen: Auch dafür liebe ich meinen Beruf, dass man auf gewisse Themen | |
aufmerksam machen, in Interviews Dinge ansprechen kann. Und sei es auch | |
nur, indem man wie im „Der Turm“ die Geschichte einer DDR-Familie erzählt | |
und damit dafür sensibilisiert, dass die DDR mehr war als Stasi und | |
Mauertote. Das ist ein Luxus. Wie viel wir damit wirklich bewegen, weiß ich | |
nicht. | |
Schwochow: Aber man kann zumindest mal die Lupe draufhalten. | |
Welches Verhältnis zur DDR versuchen Sie Ihren Kindern zu vermitteln? | |
Schwochow: Bei meiner Tochter hängt ein Honecker im Kinderzimmer, ist doch | |
klar … Nein, im Ernst: Das wird sicherlich schwer. | |
Michelsen: Glaube ich nicht. Das wird einfacher, als du denkst. Bei meinen | |
Töchtern mache ich die Erfahrung, dass sie von selbst unglaublich viel | |
wissen wollen, wie die Kindheit damals war, wie die Schule, wie das Leben. | |
Schwochow: Stimmt. Ich will ja nicht ja eine bestimmte Haltung diesem | |
verschwundenen Land gegenüber aufdrängen, sondern versuchen zu erklären, zu | |
bebildern. | |
Taugt Ihr Film als Unterrichtsmaterial? | |
Schwochow: Natürlich ist auch „Der Turm“ nicht mehr als ein Ausschnitt – | |
aber genau das war ja der Ansatz, nicht zu zeigen, wie es war, sondern wie | |
es auch war. Die DDR, das sind 17 Millionen verschiedene Leben. Und | |
aufgrund dieser Differenziertheit glaube ich schon, dass mein Film als | |
Unterrichtsmaterial taugt. | |
Warum lässt Sie dieses Thema nicht los? | |
Schwochow: Für mich ist die DDR kein Thema. So wie andere Künstler sich an | |
ihrer Herkunft, an ihrer Biografie abarbeiten, so mache ich das auch. Es | |
ist immer ein Suchen. | |
Michelsen: Es sucht ja auch dich. Das kenne ich von mir selbst. Jahrelang | |
hatte ich mit meinen ersten 20 Jahren nichts zu tun. Und dann, mit ungefähr | |
40, kam meine DDR-Vergangenheit mit einer Macht zurück, etwa durch die | |
Rolle einer Dissidentin in dem Fernsehfilm „12 heißt: Ich liebe dich“. | |
Plötzlich fühlte es sich wieder „zu Hause“ an, was man so lange von sich | |
geschoben hatte. | |
Schwochow: Mit „Die Unsichtbare“ habe ich ja auch einen ganz anderen Film | |
gemacht, aber dass ich als Nächstes den Roman „Lagerfeuer“ von Julia Franck | |
verfilme … | |
… über eine Frau und ihre Erlebnisse im Flüchtlingslager Marienfelde … | |
Schwochow: … ist sicherlich kein Zufall. In fast jeder Familie der DDR hat | |
es durch die Wende ganz starke Brüche gegeben. Und im Freundeskreis setzen | |
wir uns daher auch recht intensiv mit den Biografien unserer Eltern | |
auseinander. Claudia hat recht: Diese Geschichten finden auch mich. | |
„Der Turm“: Mittwoch und Donnerstag, 20.15 Uhr, ARD | |
3 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
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