# taz.de -- Label für angebliche Klimaneutralität: Werbung mit sieben Siegeln | |
> Zertifizierungsfirmen helfen Unternehmen, ihre Produkte als klimaneutral | |
> zu vermarkten. Verbraucherschutzorganisationen sehen das als | |
> „Ablasshandel“. | |
Bild: Klare Sache für Verbraucherschützer: Diese französische Wasserabfülla… | |
Berlin taz | Glaubt man der Werbung, ist die Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft | |
in Katar „klimaneutral“. Dabei wurden zahlreiche Stadien dort neu gebaut, | |
Spielfeld und Zuschauerplätze sind trotz geöffneter Dächer klimatisiert. | |
Oder das „Volvic“-Mineralwasser des Lebensmittelkonzerns Danone: Es wird in | |
Einweg-Plastikflaschen verkauft und hunderte Kilometer aus Frankreich | |
herangekarrt. Und das Unternehmen Hipp bewirbt Babybrei als „klimapositiv“ | |
– obwohl er teilweise Rindfleisch enthält, das im Vergleich zu anderen | |
Fleischarten und zu pflanzlichen Lebensmitteln besonders viel Treibhausgas | |
verursacht. | |
„Immer wieder wollen Organisationen und Unternehmen mit ihrer Werbung den | |
falschen Eindruck erwecken, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung dem | |
Klima nicht schadet“, kritisiert Ramona Pop, Vorständin des | |
Verbraucherzentrale Bundesverbands. „Tatsächlich entstehen in der | |
Produktion aber grundsätzlich klimaschädliche Emissionen.“ | |
Die würden etwa Unternehmen nach eigenen Angaben durch Projekte | |
ausgleichen, die an anderer Stelle Treibhausgase einsparen sollen. „Der | |
Handel mit freiwilligen Kompensationszertifikaten ist aber nicht reguliert. | |
Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist somit völlig unklar, wie | |
verlässlich Emissionen kompensiert werden. Das ist Greenwashing und sollte | |
verboten werden“, so Pop. Sie [1][fordert ein explizites Verbot der Werbung | |
mit „Klimaneutralität“] oder ähnlichen Formulierungen. | |
Das verlangte am Donnerstag auch die auf die Nahrungsmittelbranche | |
spezialisierte Verbraucherorganisation Foodwatch. „Um ein Lebensmittel mit | |
Klima-Claims zu vermarkten, müssen die Hersteller nicht einmal den | |
Treibhausgasausstoß reduzieren“, erklärte der Verband. Foodwach hat | |
Anbieter von Klimaneutral-Labeln wie Climate Partner oder Myclimate | |
untersucht. Keiner mache seinen Kunden konkrete Vorgaben zur Reduktion, so | |
Foodwatch. | |
## Das Geld mit den Gutschriften | |
Damit rührt die Verbraucherorganisation an eine inzwischen weit verbreitete | |
Praxis von Unternehmen: Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission | |
fand bei 10 Prozent der Lebensmittel und 8 Prozent der anderen untersuchten | |
Waren sowie Dienstleistungen einen „Klima-Claim“. Bei Eiern war sogar jedes | |
vierte Produkt dabei, bei Milch, Orangensaft und Tomaten circa jedes | |
sechste. Inzwischen dürfte der Anteil Foodwatch zufolge noch gestiegen | |
sein, da die europaweite Studie aus dem Jahr 2020 stammt und seitdem | |
weitere Hersteller das Klima als Marketing-Thema entdeckt haben. | |
Nicht von ungefähr: Allein die Lebensmittelbranche verursacht rund 30 | |
Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Deshalb ist die Branche | |
besonders bemüht, sich klimabewusst zu geben. | |
Dafür kauft sie über die Labelanbieter CO2-Gutschriften aus | |
„vermeintlichen Klimaschutzprojekten“, wie Foodwatch schreibt. „Dort werd… | |
Emissionen reduziert, indem fossile Energiequellen durch erneuerbare | |
Energien ersetzt, lokale Aufforstungsmaßnahmen mit Kleinbauern umgesetzt | |
und energieeffiziente Technologien implementiert werden“, erläutert der | |
Labelanbieter MyClimate. | |
Zwar würden die Zertifizierungsunternehmen die Maxime propagieren: „Zuerst | |
Emissionen vermeiden, dann reduzieren und zuletzt kompensieren“, so | |
Foodwatch. Dass die Anbieter ihre Kunden dennoch nicht zur | |
Treibhausgassenkung verpflichten, liegt der Verbraucherorganisation zufolge | |
wahrscheinlich vor allem an einer Tatsache: Sie verdienten den | |
VerbraucherschützerInnen zufolge an jeder verkauften Gutschrift. | |
## Auch ohne Label kann man etwas tun | |
UmweltschützerInnen bezweifeln, dass die Kompensationsprojekte wirklich das | |
Klima entlasten. Für die EU-Kommission hat das Freiburger Öko-Institut 2016 | |
hunderte zertifizierte Klimaschutzprojekte analysiert. Das Ergebnis: Nur 2 | |
Prozent der untersuchten Projekte halten sehr wahrscheinlich, was sie | |
versprechen. Gründe sind zum Beispiel, dass die Angaben der | |
Projektbetreiber zur Höhe der gebundenen Treibhausgase auf nicht | |
verifizierbaren Hypothesen basierten. Foodwatch hält die Annahme für | |
„hochspekulativ“, ein Projekt würde das Klima entlasten: „So kann jeder | |
Baum doppelt verbucht werden, obwohl er höchstens einmal zum Klimaschutz | |
beiträgt“. „Das Geschäft mit der Klimawerbung“, folgert Rauna Bindewald… | |
Foodwatch, „ist moderner Ablasshandel, der dem Klima mehr schaden als | |
nützen kann“. | |
Die EU-Kommission will laut Foodwatch Ende November einen Entwurf für eine | |
„Green Claims“-Verordnung vorlegen, zudem wird aktuell über eine | |
Verbraucher-Richtlinie diskutiert – darin könnten grüne Werbeversprechen | |
strenger reguliert werden. Bundesernährungsminister Cem Özdemir sollte sich | |
dabei für ein Verbot von „Klimalügen“ einsetzen, forderte der Verband. | |
Climate Partner, die Fifa und Hipp ließen eine Bitte der taz um | |
Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet. MyClimate verteidigte | |
sich mit dem Argument: „Wir sprechen mit dem Kunden über die Hotspots der | |
CO2-Berechnung.“ Das bedeutet nicht, dass MyClimate die Kunden zur | |
Reduktion verpflichtet. Danone und Granini erklärten, sie würden Emissionen | |
wo immer möglich vermeiden. | |
Wer klimafreundliche Produkte bevorzugen will und „klimaneutral“-Labeln | |
nicht vertraut, [2][kann vor allem weniger tierische Lebensmittel wie | |
Fleisch und Milchprodukte konsumieren]. Sie haben eine vergleichsweise | |
schlechte Klimabilanz. | |
24 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.vzbv.de/pressemitteilungen/vzbv-fordert-verbot-von-werbung-mit-… | |
[2] /Folgen-der-Inflation/!5878676 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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