# taz.de -- Klage gegen Wikileaks: Assange und die Heuchelei der USA | |
> Internationale Medien fordern ein Ende des Verfahrens gegen | |
> Wikileaks-Gründer Julian Assange. Präsident und Justizminister der USA | |
> schweigen dazu. | |
Bild: Assange-Pappschilder bei einer Demonstration gegen seine Auslieferung in … | |
Der US-Justizminister Merrick Garland kennt sich aus mit Ungerechtigkeit | |
und mit politischer Heuchelei. Er hat beides am eigenen Leib erfahren. | |
Garland war der Mann, der vom damaligen Präsidenten Barack Obama im März | |
2016 für den US Supreme Court nominiert wurde und den die | |
Republikaner*innen im Senat blockierten. Ihr Argument: so kurz – acht | |
Monate – vor einer Wahl sei es falsch, so einen bedeutsamen Posten zu | |
besetzen. Ungerecht und heuchlerisch war das, weil vier Jahre später Donald | |
Trump nur fünf Wochen vor der Präsidentschaftswahl 2020 im Eilverfahren | |
[1][die erzkonservative Amy Coney Barrett] nominierte – und die | |
republikanische Partei keine Einwände hatte. | |
Verlogenheit sollte also eigentlich etwas sein, das Merrick Garland | |
grundsätzlich gegen den Strich geht. Aber im Fall des in Großbritannien | |
noch immer in Haft sitzenden und gegen seine Auslieferung in die USA | |
kämpfenden [2][Wikileaks-Gründers Julian Assange] ist Garland kein bisschen | |
besser. Mit einem Federstrich könnten er und Präsident Joe Biden die | |
Verfahren beenden, Assange wäre frei – nach sieben Jahren in der | |
ecuadorianischen Botschaft in London und über drei Jahren im britischen | |
Gefängnis. Sie tun es nicht. | |
## Zugespielt von Manning | |
In dieser Woche haben die fünf internationalen Medienhäuser New York Times, | |
Guardian, Le Monde, El País und Spiegel einen dringenden Appell an die | |
US-Regierung veröffentlicht, das Verfahren gegen Assange einzustellen und | |
den Auslieferungsantrag zurückzuziehen. Es waren jene fünf Medien, die 2010 | |
eine Reihe von Enthüllungsgeschichten über US-Kriegsverbrechen in Irak und | |
Afghanistan veröffentlicht hatten, basierend auf Geheimdokumenten von | |
Wikileaks, zugespielt von Whistleblowerin [3][Chelsea Manning]. | |
Auf den Appell gab es weder von Garland noch von Biden auch nur eine | |
Antwort. | |
Merrick Garland will derweil als Beschützer der Pressefreiheit auftreten. | |
Dieses Jahr entwickelte er [4][neue Richtlinien zum Umgang seiner | |
Strafverfolgungsbehörden mit Medienvertreter*innen]. Sie sollen den | |
Schutz von Journalist*innen und ihrer Quellen vor staatlicher | |
Verfolgung garantieren. Explizit soll die Informationsbeschaffung von | |
Journalist*innen geschützt sein, und das umfasst laut Wortlaut auch | |
„den Empfang, Besitz oder die Veröffentlichung von Regierungsinformationen, | |
inklusive als geheim eingestufter Informationen, ebenso wie den Aufbau von | |
Mechanismen, um an solche Informationen zu kommen, einschließlich durch | |
anonyme oder vertrauliche Quellen.“ | |
## Absurder Spionage-Vorwurf | |
Das ist erfreulich eindeutig. Und es schließt ganz klar ein, was Julian | |
Assange und Wikileaks 2010 gemacht haben, als sie von Chelsea Manning die | |
geheimen Dokumente zugespielt bekamen. Manning selbst hat sowohl in ihrem | |
gerade erschienenen Buch als auch in verschiedenen Interviews dazu noch | |
einmal darauf hingewiesen, dass sie nicht von Assange oder anderen | |
Wikileaks-Mitarbeiter*innen zum Datendiebstahl angeleitet wurde, sondern | |
von sich aus handelte. Sie habe sogar zunächst versucht, das Material | |
direkt eines der großen US-Medien zu übergeben. Der ohnehin absurde Vorwurf | |
der „Spionage“ – nach diesem Straftatbestand aus dem Jahr 2017 wollen die | |
USA Assange anklagen – entbehrt also jeder Grundlage. | |
Die Veröffentlichung der Manning-Dokumente fiel in die Zeit der | |
Obama-Regierung, und zu Recht erwog diese damals, wenn sie Assange | |
strafrechtlich verfolge, müsse sie logisch auch gegen jene Medien vorgehen, | |
die das Material veröffentlichten. Ein No-Go. | |
Das hinderte die US-Behörden allerdings nicht daran, weiter | |
Belastungsmaterial gegen Assange zu sammeln und ihn sogar in der | |
ecuadorianischen Botschaft in London zu bespitzeln. Erst als Assange 2019 | |
sein dortiges Asyl verlor, von der britischen Polizei festgenommen und | |
wegen des minderen Vergehens eines Verstoßes gegen die Kautionsbestimmungen | |
inhaftiert wurde, holte die Trump-Regierung groß aus – und es hagelte einen | |
Anklagepunkt nach dem nächsten. | |
Dabei hätte Trump politisch allen Grund gehabt, Wikileaks dankbar zu sein: | |
Die Veröffentlichung der von Russland gehackten E-Mails aus der | |
Parteizentrale der Demokraten hatte seiner Konkurrentin Hillary Clinton im | |
Wahlkampf 2016 deutlich geschadet. Doch einerseits wollte Trump diesen | |
Hinweis auf Wahlkampfhilfe seitens Russlands nicht auch noch | |
unterstreichen, andererseits hatte er selbst eine tüchtige Wut auf jene, | |
die ständig vertrauliche Informationen aus dem Weißen Haus durchstachen. | |
Alles entlud sich in immer schärferen Anklagen gegen Assange. | |
Warum die neue Regierung all das nicht zurückgenommen hat, bleibt das | |
Geheimnis Joe Bidens und Merrick Garlands. Der US-Kongress diskutiert seit | |
2021 den [5][International Press Freedom Act], der bedrohten | |
Journalist*innen weltweit Unterstützung und Schutz in den USA gewähren | |
soll, der gesamte Westen erregt sich über die Unterdrückung von Meinungs- | |
und Pressefreiheit in Russland – und Assange sitzt weiter in London im | |
Gefängnis. | |
Will Bidens Regierung in diesen Fragen wieder glaubwürdig werden, muss sie | |
endlich handeln und die Anklage gegen Assange fallen lassen. Noch besser: | |
endlich jene vor Gericht stellen, deren Kriegsverbrechen in den von | |
Wikileaks veröffentlichten Dokumenten bekannt wurden. Wer von der ganzen | |
Welt – zu recht! – Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine | |
einfordert, um demokratische Werte zu verteidigen, sollte seinen eigenen | |
Laden auch in Ordnung bringen. | |
2 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Frauenrechte-in-den-USA/!5721106 | |
[2] /Julian-Assange/!t5008572 | |
[3] /Whistleblowerin-Chelsea-Manning/!5895065 | |
[4] https://www.justice.gov/ag/page/file/1547046/download | |
[5] https://www.congress.gov/bill/117th-congress/senate-bill/1495?s=1&r=90 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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