# taz.de -- Wikileaks-Gründer Julian Assange: Nächste Station Straßburg? | |
> Im Prozess um die Auslieferung Assanges an die USA erwog die Verteidigung | |
> den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. | |
Bild: Protest vor den Royal Courts of Justice in London am 21. 2. 2024 | |
LONDON taz | Am Mittwoch sollten in London beim Versuch, die von den | |
Vereinigten Staaten geforderte Abschiebung des Wikileaksgründers [1][Julian | |
Assange] zu verhindern – es ist die in einem britischen Gericht | |
letztmögliche Instanz – im Londoner Hochgericht vor allem die Argumente der | |
Anwälte der Vereinigten Staaten gehört werden. | |
Diese behaupteten, Assange sei kein wahrer Journalist oder Verleger. Er | |
hätte stattdessen seine damalige Informantin, [2][Chelsea Manning], dazu | |
ermuntert, Daten zu stehlen und an ihn weiterzugeben, und zudem versucht, | |
anonymen Zugang zum IT-System zu bekommen. Assanges Anwalt Mark Sommers | |
sagte, dass der Brambilla-Fall 2017 vor dem Europäischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte (EGMR) gezeigt hätte, dass die Beschaffung von Informationen | |
mittels unerlaubter Methoden zwar strafbar sein könne, nicht jedoch die | |
Veröffentlichung der dadurch erworbenen Informationen. | |
Die historischen Fälle von [3][Daniel Ellsberg] und Philip Agee zeigten, | |
dass Assange keineswegs annehmen konnte, dass seine eigenen | |
Veröffentlichungen schwere Konsequenzen nach sich ziehen oder nicht als | |
journalistische Aktivität verstanden werden würden. | |
Die US-Anwälte behaupteten weiter, Assange hätte unnötig die Namen von | |
Personen, die für den amerikanischen Sicherheitsapparat in verschiedenen | |
Ländern arbeiteten, preisgegeben. Es hätte dazu geführt, dass zahlreiche | |
Personen ihre Arbeit und ihr Zuhause verloren hätten oder dass ihre Konten | |
gesperrt wurden. Einige genannte Personen seien seit der Veröffentlichung | |
verschwunden, man könne jedoch nicht direkt folgern, dass dies aufgrund der | |
Wikileaks-Enthüllungen geschah. | |
Assanges Verteidigungsanwalt Sommers hielt dagegen, dass Assange und sein | |
Team ein Jahr lang versucht hätten, die Namen auf den Dokumenten | |
unkenntlich zu machen, bis der damalige Guardian-Journalist David Leigh den | |
Schlüsselcode zu den Dokumenten veröffentlicht hatte, der öffentlichen | |
Zugang ermöglichte. Danach hätte Assange versucht, dagegen etwas zu tun, | |
und bat sogar das Weiße Haus um Hilfe. Assange könnte deshalb bestenfalls | |
der Fahrlässigkeit beschuldigt werden, den Schlüsselcode weitergegeben zu | |
haben. | |
## „Die ganze Welt schaut zu“ | |
Assanges Verteidigung brachte wiederholt die möglichen Auslegungen des | |
Falles durch den EGMR zur Sprache. Sollte das britische Hochgericht der | |
Berufung nicht stattgeben, wird Assanges Fall höchstwahrscheinlich in | |
Straßburg landen. Dort würde das Gericht, so Verteidigungsanwalt Mark | |
Sommers, das öffentliche Interesse an Assanges Veröffentlichungen, darunter | |
die Aufdeckung von Kriegsverbrechen, in Erwägung ziehen. Das Gericht hätte | |
außerdem bei aufgedeckten Verbrechen den Zugang zu geheimen Staatsakten | |
wiederholt toleriert. | |
Dass das britische Abschiebungsabkommen mit den Vereinigten Staaten nicht | |
explizit Abschiebungen in politischen Fällen verbietet, war andererseits | |
ein weiteres Argument der für die USA argumentierenden Anwälte. Assanges | |
Anwalt Edward Fitzgerald konterte, in der parlamentarischen Debatte zum | |
Vertrag sei dies durchaus erwähnt worden, in fast allen anderen britischen | |
Staatsverträgen bestehe solcher Schutz. | |
Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei im Abkommen sogar | |
spezifisch erwähnt und verbiete juristische Willkürlichkeit, wie der laut | |
Verteidigung präzedenzlose und unvorhersehbare Versuch, Assange wegen | |
seiner Veröffentlichungen vor Gericht zu führen. Der EGMR würde prüfen, wie | |
die verlangte Auslieferung sich mit Assanges Meinungsrecht vertrage. | |
Aussagen des ehemaligen CIA-Chefs Mike Pompeo und des ehemaligen | |
US-Präsidenten Donald Trump über Assange ließen nicht ausschließen, dass | |
die Anklage gegen Assange später in den USA geändert werden könne und ihm | |
dann dort die Todesstrafe drohe, oder dass man ihm kein Recht auf den | |
Schutz des amerikanischen Zivilrechts gebe. | |
Auf die direkte Frage der Richter mussten die US-Anwälte zugeben, dass | |
Assange nichts vor solchen Entwicklungen schützt. Die Verteidigung | |
argumentierte indessen, dass das Gericht verpflichtet sei, im Hintergrund | |
von Plänen der US-Führung, Assange zu ermorden, Risiken gründlich zu | |
prüfen. | |
Das Urteil der beiden Richter wird in den nächsten Wochen oder Monaten | |
fallen. Unterstützer:innen Assanges marschierten am späten Nachmittag | |
gemeinsam mit Assanges Ehefrau Stella vom Gericht zu 10 Downing Street und | |
skandierten unter anderem „Die ganze Welt schaut zu.“ | |
22 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-um-Wikileaks-Gruender/!5993809 | |
[2] /Rechtlicher-Schutz-fuer-Whistleblower/!5919967 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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