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# taz.de -- 5 Rhythmen und kein Pisco Sour: Wenn Gudrun mit ihrem Arm spricht
> Statt in einer Bar landet die Autorin in einem Eso-Schuppen und soll sich
> „freitanzen“. Dort lernt sie auch, dass „wir alle sterben müssen“.
Bild: „Jaaaaaa, oh, jaaaaaaaa.“ Die Frau neben mir stimmt einen orgiastisch…
Mit schwingenden Bewegungen tänzelt sie heran, barfuß, in weiten, bunten
Hosen, die Haare mit einem Tuch steil nach oben gebunden. Sie reicht mir
die Hand und haucht mit erotisierender Stimme: „Hallo. Ich bin die Gudrun.
Und wer bist du?“
Eine Freundin in München nahm mich kürzlich mit zu den „5 Rhythmen“, eine
Art Tanzperformance, bei der jede und jeder mitmachen kann. Eigentlich
wollten wir in die angesagteste Bar der Stadt gehen. Aber dann entschied
meine Freundin kurzerhand, dass Tanzen so gut sei wie [1][ein Pisco Sour.]
Ach was, sogar besser als das peruanische Nationalgetränk aus Traubenbrand,
Limettensaft, ein wenig Zuckersirup und einem Spritzer Angostura. Obendrauf
kommt ein [2][Klecks Eiweißschaum,] der der Säure ein wenig von ihrer
Intensität nimmt.
Okay, dachte ich, warum nicht? Einfach mal abhotten, sich auspowern – was
gibt es Besseres nach einem langen Tag im Homeoffice? Ich stellte mir diese
5 Rhythmen so ähnlich vor wie Tanzen in einem Klub. Nur eben nicht in einem
dunklen, verschwitzten Keller mit Soul, Rock, Hiphop, sondern – wie sie
mich vorwarnte – in einem alternativem Kulturzentrum. Also beruhigend
ausgeleuchtet, ohne DJ – [3][und ohne Pisco.]
Aber dann war da Gudrun. Und da waren all die anderen Tanzenden. [4][Frauen
und Männer, die meisten etwas älter, in wallenden Hosen und Röcken,] weiten
Batik-Oberteilen, selbstgestrickten Socken. Mehr Frauen als Männer, eine
Grauhaarige mit Zöpfen, ein Mann, der auf Frauen starrt. Die 5 Rhythmen,
erklärt Gudrun zu Beginn, stehen für die fünf Lebensphasen eines jeden
Menschen: Geburt, Kindheit, Jugend, Erwachsenendasein, Tod. Je nach
„Energie, Kraft und Lebensphase“ sei die Musik aufgebaut: Die Geburt
beginnt ruhig, die Kindheit ist schon aufregender, in der Jugend rebelliert
sie, danach wird es ganz wild, bevor die letzte Ruhe einkehrt.
Gudrun singt ihre Erklärungen ins Mikro, dreht, hüpft, wiegt sich in den
Hüften, ruft: „Lasst es raus, lasst alles raus. Befreit euch von schlechter
Energie, schöpft frische.“ Sie tanzt mit dem Mikro, liebkost es. „Seht ihr
meinen Arm?“ Sie reißt ihren linken Arm nach oben, lässt ihn hastig
kreisen, schüttelt ihn. „Er will mir etwas sagen. Ich weiß zwar nicht, was,
aber er sagt mir etwas.“
Manche Frauen und Männer drehen sich um die eigene Achse, andere rennen
durch den Raum, die nächsten hüpfen auf der Stelle. Gudrun stöhnt ins
Mikro: „Jaaaaaa, oh, jaaaaaaaa.“ Die Frau neben mir [5][stimmt einen
orgiastischen Gesang an]. Ein Mann mit Filzkappe auf dem Kopf greift nach
einer Frau, die gerade an ihm vorbeiwackelt, drückt sie an sich, fasst ihr
an den Hintern, streicht darüber. Die Frau lacht, laut, noch lauter, hört
gar nicht mehr auf. Ein anderes Paar wälzt sich auf dem Boden übereinander.
Der starrende Mann schiebt sich eng an den Frauen vorbei.
Eine Frau raunt mir ins Ohr: „Es ist so schade, dass du nicht mit uns
tanzt.“ „Ist schon okay.“ „Befrei dich!“ „Wovon?“ „Wir müssen …
Aber heute sind wir noch einmal zusammengekommen, um miteinander zu
tanzen.“
Das Ganze kostet 15 Euro.
Draußen im Vorraum steht eine Wasserkaraffe mit Steinen auf dem Grund.
Früher schwammen mal Zitronenscheiben in Karaffen mit Leitungswasser,
bestenfalls Rosmarinzweige, Minzblätter, Blaubeeren. Aber seit einigen
Jahren hält sich hartnäckig der Trend zum Stein in Wasserkaraffen, selbst
in Cafés jenseits von Eso-Kiezen. Der „gemeine Wasserstein“ – Rosenquarz,
Amethyst, Bergkristall – soll das Wasser energetisch aufladen. Vorher muss
der Stein natürlich aufgeladen werden, am besten bei Vollmond. Wenn man von
dem Wasser trinkt, fließt die Energie der Steine in den Körper. Sagen die
Esoteriker:innen.
## Ganze besondere Energie im Apfelsaft
Und sie sagen, dass auch Saft gut für die Spiritualität sei. Falls Sie
demnächst Orangen-, Apfel- oder Pfirsichsaft trinken, nehmen Sie ganz
besondere Energie auf. Welche? Keine Ahnung, Sie werden es sicher merken.
Und natürlich soll Alkohol kontraproduktiv für den Energiehaushalt sein.
Falls Sie doch mal aus Versehen ein Glas Wein trinken sollten, können Sie
Ihren vernachlässigten Energiehaushalt leicht wieder auffüllen. Mit Milch
indischer Kühe. Die soll „spirituell ungeheuer vorteilhaft“ sein. Sagen die
Spiritualist:innen.
Nun sind Kühe in Indien bekanntermaßen heilig. In dem südasiatischem Land
dürfen sie alles. Einmal ruhte sich eine Kuh auf der Autobahn, die von
Delhi nach Agra führte, aus, [6][ich saß in dem Bus,] der an der Kuh nicht
vorbeikam. Hinter uns bildete sich ein Stau. Und die Inder:innen? Blieben
sämtlich gelassen, die im Bus genauso wie die in den Autos. Wer schon mal
in Indien war, weiß, dass dort unablässig gehupt wird. Nur eben nicht, wenn
eine Kuh auf der Autobahn schläft.
Irgendwann holte ein Inder eine Flasche aus seinem Beutel. Es war [7][Feni,
ein indischer Schnaps,] der aus Cashewäpfeln gebrannt wird. Eine
Spezialität aus Goa. Feni schmeckt fruchtig-süß, manche verdünnen ihn mit
Limonade, andere würzen ihn zusätzlich mit Salz oder Chili. Ein Schluck
genügt und in den Körper dringt Wärme. Wärme ist – physikalisch gesehen �…
Energie. Und die Kuh stand auch irgendwann auf.
10 Nov 2022
## LINKS
[1] https://info-peru.de/pisco-sour/
[2] /Echt-nur-ohne-Milch-Eierlikoer/!5543472
[3] /Alkoholatlas-2022/!5881916
[4] /Lamberty-und-Nocun-ueber-Esoterik/!5885366
[5] /Sex-on-the-Beach/!5884960
[6] /Reisen-in-Zeiten-des-Klimawandels/!5603259
[7] https://mixology.eu/goa-schnaps-feni-cashewbrand-reise/
## AUTOREN
Simone Schmollack
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