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# taz.de -- Sexistische Cocktail-Namen: Screaming Orgasm und Angel Tits
> Cockails mit frauenfeindlichen Namen gehören umbenannt. Wer kann das?
> Benjamin von Stuckrad-Barre, er ist ja jetzt Frauenversteher.
Bild: Manchmal ist ein Drink noch schlechter als sein Name
Was haben Benjamin von Stuckrad-Barre und Cocktails gemeinsam? Ich will es
gern erklären, muss dazu aber ein wenig ausholen und von einem
Erweckungserlebnis erzählen, das ich neulich in einer hippen Bar in Hamburg
hatte. Diese Bar wird von einer Frau geführt, die mit einem wesentlich
jüngeren Mann liiert ist. Das Publikum trägt T-Shirts mit Aufschriften wie
„Bevor du fragst: Nein“ oder „Nevertoolate“ oder „Wer nicht gendert, …
die Kontrolle über sein Leben verloren“.
Man sitzt am Tresen oder auf flachen Hockern im Fenster, es ist dunkel und
die Stimmung gut. In diese Bar gehen die Freundin, die ich regelmäßig in
Hamburg besuche, und ich sehr gern. Weil die Bar eben cool ist. Unser
erstes Getränk – traditionell ein Martini Bianco auf Eis – war rasch
ausgetrunken, ich ging an die Theke, um zwei neue Drinks zu ordern, da
hörte ich eine Bestellung: „Einen Screaming Orgasm, zwei Angel Tits, einen
Slippery Nipple und vier Blowjob Shots.“
Ich wiederhole es gern: einen Screaming Orgasm, zwei Angel Tits, einen
Slippery Nipple und vier Blowjob Shots. Erst dachte ich, da lassen vier
junge Männer zum Junggesellenabschied, die jetzt gern ausschweifend
gefeiert werden, noch einmal so richtig die Sau raus und bestellen Drinks,
von denen einer schlüpfriger klingt als der andere. Ich suchte den Raum ab
nach den Trinkgefährten des Mannes und erwartete Typen, die sich scheckig
lachen über Getränkenamen, die sich nur jemand wie Benjamin von
Stuckrad-Barre für seinen sogenannten [1][#MeToo-Roman „Noch wach]?“ hätte
ausdenken können. Ich erwartete Typen, die wie Stuckrads Protagonisten mit
gegelten Haaren und dicken Eiern daherkommen. Die einen Blowjob-Kalauer
nach dem anderen reißen, so wie das „Stucki“ früher mal für die
Harald-Schmidt-Show getan hat.
Aber dann sagte die Stimme zur Barfrau: „Hast du vielleicht ein Tablett?“
Furztrocken, bierernst. Der junge Mann trug die [2][Orgasm-, Nipple- und
Blowjob-Gläser] zu seinen Freunden. Die nahmen die Cocktails entgegen,
ebenso furztrocken und bierernst, als seien ihnen die sexistischen
Cocktailnamen entweder wurscht oder nicht aufgefallen. Letzteres kann ich
verstehen, ich hatte sie ja selbst nicht bemerkt – aber ich trinke in dem
Schuppen eh immer dasselbe.
## Je frivoler der Name, desto besser der Drink
Seitdem scanne ich Cocktail-Karten in allen Bars sehr genau. Was soll ich
sagen? Es gibt noch ganz andere Bezeichnungen für süße, bunte Drinks: Cock
Sucking Cowboy. Fuzzy Navel. Sex with an Alligator. Leg Spreader.
Je frivoler der Name, desto besser der Drink. Zum Beispiel der Silk
Panties: Wodka, Pfirsichschnaps, Himbeerlikör, Eis, Zitronenzeste. Frisch,
leicht, belebend. Beim French Kiss – ausnahmsweise mal romantisch getitelt
– werden Gin, St-Germain-Liqueur (ein französischer Holunderblütenlikör),
Aperol, Zitronensaft und Champagner Rosé gemixt. Sieht in der
Champagnerschale hochgradig elegant aus – und schmeckt noch besser.
Warum aber heißen solch wunderbare Getränke so, als seien sie in einem
Testosteronshaker durchgeschüttelt worden? Für eine Antwort muss man ein
wenig in die Cocktail-Geschichte einsteigen. Diese reicht in die Zeit der
sogenannten Goldenen Zwanziger zurück. Damals kannten die Menschen weder
Gender noch Gedöns und hatten Geschlechtervorstellungen, die in Bars dafür
sorgten, dass Männer [3][harte Sachen] tranken – Whiskey, Korn, Cognac –,
und Frauen [4][süßes Zeug]: Likör, Fruchtweine, Sherry. Die
Cocktail-Legende besagt, dass der Drink Between the Sheets – Cognac, weißer
Rum, Triple Sec, Zitronensaft – allein dafür gedacht war, sich wegzuballern
und dabei wild zu vögeln. Irgendwann wurde daraus [5][Sex on the Beach],
der heute von keiner Cocktailkarte wegzudenken ist.
## Neue Namen müssen her
Die Neigung, süße Drinks erotisch zu benennen, soll besonders in den USA
verbreitet sein, wo schon vor hundert Jahren an den Stränden zuckrige
Drinks gekippt und Frauen „wie Pralinen vernascht“ worden sind.
Das mit den zuckrigen Drinks geht in Ordnung, das mit den Frauen auf keinen
Fall. Das findet auch BSB, zumindest findet das sein Roman-Ich. Frauen
indes, die das laut sagen, so wie die Schauspielerin Rose McGowan, die den
Filmmogul Harvey Weinstein zu Fall bringt, gelten in den Kreisen, in denen
sich BSB und sein Roman-Ich bewegten und von ihnen profitierten, schnell
als „irgendwie anstrengend“. In diesen Kreisen trinkt man sicher auch gern
Cocktails mit schlüpfrigen Namen.
Neue Namen müssen her. Herr Stuckrad-Barre, übernehmen Sie!
19 May 2023
## LINKS
[1] /Stuckrad-Barres-neuer-Roman/!5926448
[2] /Sex-on-the-Beach/!5884960
[3] /Trinkfest-im-Osten/!5861733
[4] /Echt-nur-ohne-Milch-Eierlikoer/!5543472
[5] https://www.chefkoch.de/rezepte/122841052818254/Sex-on-the-Beach.html
## AUTOREN
Simone Schmollack
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