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# taz.de -- Junge Menschen und Alkohol: Nüchtern ins neue Jahr
> Junge Menschen heute trinken nicht mehr so viel wie vorherige
> Generationen. Ältere finden das super, aber fragen sich: Hat die Jugend
> trotzdem Spaß?
Bild: Feuerwerk statt Alkoholrausch: Kaufbeuren, kurz nach Mitternacht bei zune…
Erinnern Sie sich noch an ihren ersten Vollrausch? Ich schon. Ich war 17
oder 18, eine Silvesterparty mit allem Drum und Dran. Wir haben es so
richtig krachen lassen. Wie Jugendliche das damals so machten. Als Ausdruck
von vermeintlichem Erwachsensein und Coolness, aus einem zweifelhaften
Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit heraus. Ungeachtet dessen gehörte in
den [1][Achtzigern Massen von Alkohol zu jeder Feierlichkeit] wie heute
vegane Weißwurst zum Oktoberfest.
Ich habe [2][keinerlei Erinnerung an diese Nacht] – liegt wohl in der Natur
der Sache. Aber peinlich war mir der Absturz recht lange. Just an dieses
Gefühl wurde ich zum Jahreswechsel erinnert. Durch junge Menschen.
Ausgerechnet. Jedoch nicht, weil die beiden Söhne meiner Silvestergastgeber
im Morgengrauen ins Haus ihrer Eltern torkelten, noch in der Eingangstür
lang hinschlugen und sich am Neujahrsnachmittag die Seele aus dem Leib
kotzten. Nein, im Gegenteil.
Kurz vor Mitternacht überraschten die beiden jungen Männer, die bei
Freunden im Nachbardorf feierten, ihre Eltern und deren Partygäste, also
uns, die wir gerade die Palette mit Sektgläsern füllten. Die Jugendlichen
fuhren mit dem Auto ihrer Gastgebereltern vor, sackten im heimischen Bad
ihre Zahnbürsten ein – sie hatten spontan beschlossen, bei den Freunden zu
übernachten. Wir gingen davon aus, dass die jungen Menschen ebenso
Rambazamba machten wie wir. Schließlich war es das erste Silvester nach
drei Jahren Pandemie, bei dem wieder alles erlaubt war. Und schließlich
litten Jugendliche unter den Corona-Einschränkungen um ein Vielfaches
stärker als wir Ältere.
„Wie? Ihr seid mit dem Auto gekommen?“, fragte die Mutter ihre Zahnbürsten
holenden Söhne, so irritiert wie entsetzt. Weil man a) von einem Dorf zum
anderen NATÜRLICH mit dem Fahrrad fährt und b) weil Silvester war, der Tag,
an dem SOWIESO die Sau rausgelassen wird, erst recht nach diesen
Coronajahren. „Wieso nicht“, entgegnete einer der beiden Jugendlichen mit
unschuldiger wie ahnungsloser Miene. „Na, Alkohol und so?“ „Hä?“
Um es kurz zu machen: Die jungen Menschen verbrachten den Jahresausklang
bei Tee, Wasser, Club Mate. [3][Kein Wein, kein Sekt, kein Bier, erst recht
kein Schnaps]. Am Neujahrsmorgen kehrten sie ins elterliche Haus zurück, wo
wir Erwachsene noch schliefen. Als wir (nur ganz leicht) verkatert (doch,
doch, im Alter tanzt man mittlerweile mehr, als man trinkt) und mit einer
losen Folge Milchkaffees versuchten, wach zu werden, saßen die jungen
Menschen frisch geduscht und gut gelaunt zwischen uns. Wir smalltalkten so
vor uns hin, über die Unterschiede beim Böllern in Stadt und Land, über den
sich zu diesem Zeitpunkt bereits anbahnenden [4][politischen
Krawallkonflikt in Berlin], das vergangene und das kommende Jahr.
## Mein Gott, wie spießig!
Bis jemand die Frage stellte, die uns Erwachsene am stärksten
interessierte: „Und ihr habt wirklich nichts getrunken?“ Die Jugendlichen
zuckten mit den Achseln: „Nö.“
Man sah den Erwachsenen an, was sie dachten: Mein Gott, [5][wie spießig
diese junge Menschen] heute doch sind. Haben sich immer unter Kontrolle,
immer komplett im Griff. Kennen die auch Spaß? Also nicht solchen Spaß, wie
jene jungen Männer, die in [6][Berlin in der Silvesternacht Polizisten und
Feuerwehrleute mit Feuerwerkskörpern und Steinen angegriffen] haben. Aber
mal so richtig ausgelassen sein, über die Stränge schlagen, sich gehen
lassen. Können die das überhaupt?
Den Erwachsenen sah man auch an, wie neidisch sie auf die jungen Menschen
waren. Wie selbstbestimmt und selbstverständlich die feiern (können), mit
Freude und Lust, ohne sich die Kante zu geben. So manches Wochenende,
erinnerten wir Alten uns insgeheim, wäre für uns vorteilhafter verlaufen,
[7][hätten wir nicht so lange ausnüchtern] müssen.
Seit Jahren geht der Alkoholkonsum von Jugendlichen zurück. Die
[8][Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sieht da einen klaren
Trend]: 1979 haben noch 66 Prozent der jungen Menschen regelmäßig einen
gehoben, mindestens einmal in der Woche. Bis 2018 hat sich dieser Anteil
schon halbiert. Hätte es Corona nicht gegeben, wäre die Zahl sicher weiter
gesunken. Aber Homeschooling, Homeoffice, Zurückgeworfensein auf sich
selbst während der Pandemie haben laut einer [9][Umfrage der Kaufmännischen
Krankenkasse] vor allem junge Erwachsene zum Glas und zur Zigarette greifen
lassen.
Unter den Jüngeren trifft das jeden Achten, während von den Älteren nur
jede und jeder Zehnte anfällig dafür ist. Der Schnaps ist, wenn man so
will, von der Party auf die Coronacouch gewandert. Der Satz, den zu Beginn
der Pandemie nahezu alle Spaziergänger:innen in ihre Handys sprachen,
ging so: „Ich esse zu viel und trinke jeden Abend.“
## Alkoholverzicht macht gute Laune
Möglicherweise löst sich das in diesem Jahr wieder auf. Man hofft es
jedenfalls. Und man weiß es ja auch, es ist ein uraltes Mantra:
Alkoholverzicht wirkt sich positiv auf die Laune aus, sorgt für besseren
Schlaf, man fühlt sich gesünder und dynamischer. Gilt für jedes Alter, aber
niemand bestätigt das gerade besser als die abstinenten Jugendlichen der
Gastgebereltern.
Über „gute Vorsätze“ für 2023 haben wir am Neujahrsmorgen nicht gesproch…
das erledigt sich mit der altersgemäßen Erfahrenheit des Scheiterns von
selbst. Hätte aber jemand mit dem Blick auf die ausgeschlafenen jungen
Männer angeregt, weniger zu trinken, hätte ich mit dem Wissen einer meiner
Freundinnen gekontert. Wie sagt sie so schön: „Man braucht keinen Alkohol,
um lustig zu sein. Aber mit macht mehr Spaß.“
10 Jan 2023
## LINKS
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[6] /Debatte-um-die-Silvesternacht/!5903528
[7] /Kolumne-Nuechtern/!5039178
[8] https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/BZgA_Alkoholsurvey_20…
[9] https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/konsum
## AUTOREN
Simone Schmollack
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