# taz.de -- Protest in Ostdeutschland: Immer wieder montags | |
> Gegen „Impfzwang“, Ukrainehilfe und Migranten: Seit Wochen gehen in Gera | |
> Menschen auf die Straße. Droht eine Radikalisierung? | |
Bild: Demo in Gera | |
GERA taz | Immer wieder dröhnen die Forderungen aus den Boxen des | |
Bollerwagens, den Christian Klar an der Spitze der Demonstration hinter | |
sich herzieht. Es dürfe keine Russlandsanktionen mehr geben, keine | |
Waffenlieferungen an die Ukraine, keine „Impfzwänge“ und „keine | |
Massenzuwanderung“. Seit Jahrzehnten werde Thüringen „fremdbestimmt“, he… | |
es da, und es regiere ein „Parteienkartell“. „Wir haben lange genug | |
stillgehalten“, hallt es über die dunklen Straßen Geras. Nun werde man die | |
„Zerstörung der Lebensgrundlagen nicht mehr hinnehmen“. | |
Hinter Christian Klar, dem Demo-Anmelder, gekleidet mit weißer Ordnerweste | |
über der Jacke, folgen an diesem Montagabend mehrere Hundert | |
Protestierende. Die Menschen schwenken Deutschland- und | |
„Widerstand“-Fahnen, darunter auch eine russische. Ihre Banner künden | |
„Deutschland zuerst“ oder „Lieber Kernkraft statt Migrantenstrom“ an, s… | |
trommeln und trillerpfeifen. Fast eine Stunde lang zieht der Tross so durch | |
die fast menschenleere Innenstadt, einige Anwohner beobachten ihn durch | |
ihre Fenster. | |
Der Protest läuft inzwischen routiniert, alles ist wie immer. Auch viele | |
Ältere sind gekommen, Sprechchöre bleiben aus, man kennt sich und plaudert | |
lieber miteinander, so gut man bei dem Getriller eben plaudern kann. Bis | |
Christian Klar am Ende noch mal die Stimmung anzuheizen versucht. Die | |
Regierung habe geglaubt, der Protest sei vorbei, schreit er ins Mikrofon. | |
„Aber jetzt erst recht!“ Gera sei die „Speerspitze des Thüringer | |
Widerstands“. Es klappt: Gejohle. | |
Seit Wochen gehen sie so allmontäglich in [1][Gera], einer | |
90.000-Einwohner-Stadt im Osten Thüringens, auf die Straße. So wie auch in | |
anderen Städten in Ostdeutschland. Protestiert wird gegen die Krisenpolitik | |
der Regierung, gegen steigende Preise, gegen die Russlandsanktionen wegen | |
des Ukrainekriegs – und für einige auch gegen das System. Ein „heißer | |
Herbst“ soll es werden, so wird es beschworen. Aber dieser „heiße Herbst“ | |
ist bisher nur lauwarm. Und doch könnte er gefährlich werden. | |
In Gera liegt der Höhepunkt der Proteste schon einige Wochen zurück. 1.200 | |
Protestierende zählt die Polizei an diesem Montag. Davor waren es noch gut | |
2.000 und am [2][3. Oktober] nach Polizeiangaben gar fast 10.000, darunter | |
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke. Auch andere rechtsextreme Prominenz wie | |
der Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer, Vertreter der Freien Sachsen oder | |
der Patrioten Ostthüringens hatten mobilisiert. „Gera ist heute der Anfang | |
von etwas Neuem. Wir sind die Ersten von morgen“, rief Höcke, einen | |
völkischen Leitspruch aufgreifend. | |
Ob diese Bewegung wirklich entsteht, ist keineswegs ausgemacht. Am 3. | |
Oktober demonstrierten in ganz Thüringen 36.000 Menschen gegen die | |
Bundesregierung, rund hunderttausend waren es insgesamt in Ostdeutschland. | |
Seitdem aber stagnieren die Zahlen – oder sie gehen zurück. So sind am | |
Montag laut Polizei thüringenweit nur noch 10.400 Menschen auf der Straße, | |
in Ostdeutschland insgesamt rund 37.000. | |
Für eine Entwarnung sorgt das bei Politik und Sicherheitsbehörden dennoch | |
nicht. Erst vor wenigen Tagen erklärte Verfassungsschutzpräsident | |
[3][Thomas Haldenwang], die Montagsdemonstrationen in einigen ostdeutschen | |
Ländern erfüllten ihn mit „großer Sorge“. Anders als die Coronaproteste | |
würden diese nun „eindeutig“ von Rechtsextremen angemeldet und beworben, | |
ihre Redner stünden auf den Bühnen. „Die normalen Bürger ziehen sich | |
zurück. Der Rechtsextremismus kapert die Straße.“ | |
Auch [4][Holger Münch], Präsident des Bundeskriminalamts, zeigte sich | |
alarmiert, dass „Hass und Hetze“ sich derzeit „rasend schnell im analogen | |
wie digitalen Raum verbreiten“. Radikalisierungsprozesse hätten sich | |
„beschleunigt und intensiviert“. | |
## Der Organisator | |
In Gera lässt sich einiges davon beobachten. Schon seit Wochen gibt hier | |
Christian Klar den Ton vor, ein 42-Jähriger, der zuletzt wegen Diebstahls | |
und Hehlerei verurteilt wurde und den die Polizei der rechten Szene | |
zuordnet. Tatsächlich bewegt sich Klar dort schon seit Jahren. Als | |
Jugendlichen zeigt ihn ein Foto bei einem Aufmarsch des Thüringer | |
Heimatschutzes, der Brutstätte des NSU. Später tauchte er beim | |
Pegida-Ableger Thügida auf. Auch zu den Patrioten Ostthüringen um den | |
szenebekannten Dachdecker Frank Haußner hält Klar beste Kontakte, ebenso | |
zur AfD. Dass er dort, wie kolportiert, gar Mitglied ist, bestreitet er. | |
Vor Kurzem allerdings baute er für die Partei einen Infostand auf. | |
Und erst vor gut einer Woche nahm Klar am Volkstrauertag an einem | |
Neonazi-“Heldengedenken“ in Gera teil, danach an einem Liederabend des | |
rechtsextremen Sängers und NPD-Mannes Frank Rennicke. Mit dem verbinde ihn | |
eine „jahrelange Freundschaft“, teilte Klar auf seinem Social Media Kanal | |
mit. | |
Schon vor einem Jahr protestierte Klar montags in Gera, damals noch gegen | |
die Coronamaßnahmen. Im Frühjahr brachte ihm das nach eigener Auskunft eine | |
Gefährderansprache ein: Er hatte dem Gera Polizeidirektor Schikanen | |
vorgeworfen und ihn auf einem Plakat in Sträflingskleidung gezeigt. | |
Im August lud Klar mit den vom Verfassungsschutz beobachteten Freien | |
Thüringern zu einem „Sommerfest“ in Gera, mit Hüpfburg und Bratwurst. Sch… | |
dort wurde ein „heißer Herbst“ beschworen. Danach stieg Klar voll auf das | |
Thema ein. | |
„Egal ob Massenmigration, Klimawandel, Corona, Impfung oder Ukrainekrieg: | |
Alles dient einem großen Plan“, rief Klar am 3. Oktober in Gera auf der | |
Bühne. „In den feuchten Träumen der Globalisten, der Kabalen, sind wir alle | |
das untere Ende der Nahrungskette.“ Der Regierung sei „jedes Mittel recht, | |
um uns gefügig zu machen“. | |
Auch am Montag durchmischen sich die Themen. Protestiert wird immer noch | |
gegen die Coronamaßnahmen, obwohl von denen kaum noch welche gelten, gegen | |
die Russlandsanktionen, die Deutschland ruinierten, gegen die Nato, gegen | |
den Atomausstieg, gegen die Grünen. Christian Klar wettert dazu noch gegen | |
die GEZ. Er selbst rede mit der „Lügenpresse“ nicht mehr, ruft er ins | |
Mikrofon und erntet dafür Applaus. | |
Später redet Klar im direkten Gespräch dann doch. Was er denn wirklich | |
erreichen wolle? Es müsse sich grundsätzlich etwas verändern in | |
Deutschland, antwortet Klar. Was genau? Er weicht aus und holt lieber zum | |
Rundumschlag aus, was alles dieses Land zugrunde richte. Ein Nazi aber sei | |
er nicht, wehrt sich Klar vehement. Er habe einen schwulen Cousin und | |
ausländische Freunde, sein Friseur sei Syrer. | |
## Die Sorgen in der Stadt | |
Ein rechtsextremer Anführer, die radikalen Worte, sie stören die Geraer | |
Montagsdemonstrierenden nicht. Offenbar wollen sie genau das hören. Der | |
Zulauf hat auch mit einer zweiten Person zu tun, die mit Klar regelmäßig | |
auf der Straße steht: Peter Schmidt, lokaler Geschäftsführer einer | |
Zeitarbeitsfirma, einst im Vorstand des Thüringer CDU-Wirtschaftsrats. | |
Einer, der in der Stadt gut vernetzt ist und dem lange kein | |
Rechtsaußenimage anhaftete. Der auf Facebook aber ebenso brachial gegen | |
die „grüne Hassideologie“ oder den „Corona-Terror der Regierung“ wette… | |
Am Montag ist Schmidt nicht dabei, offenbar im Urlaub. Zuvor aber rief er | |
via Facebook wieder zum Protest auf: „Lasst Euch nicht länger für dumm | |
verkaufen!“ | |
[5][Jana Prochnow] beobachtet all das mit Sorge. Die Psychiaterin ist | |
Linken-Stadtvorsitzende in Gera. Als die Montagsprotestierenden am 3. | |
Oktober zu Tausenden durch die Stadt zogen, stand sie auf einer | |
Gegenkundgebung an einer Bahnunterführung, mit 350 Teilnehmenden. | |
„Bedrohlich“ sei der Aufmarsch gewesen, sagt Prochnow. „Während wir von … | |
Polizei eingekesselt waren, konnten die Rechten Migrantinnen und Migranten, | |
Journalistinnen und Journalisten anpöbeln.“ | |
Dass der Montagsprotest in Gera verfängt, rechnet Prochnow den | |
Abstiegserfahrungen vieler in der Stadt zu. „Heute hat die Stadt wenig | |
Perspektive und wenig Bildungsbürgertum, aber viel Frust. Verlustängste | |
sind sehr präsent, auch ein Gefühl der Kränkung.“ Dazu kämen, anders als … | |
Westen, geringere finanzielle Polster. Die Krise treffe hier viele | |
unvermittelter, sagt Prochnow. Wenn dann jemand wie Peter Schmidt auf die | |
Straße gehe, ziehe das. Dass auch Rechtsextreme mit marschieren, sei vielen | |
egal – umso mehr, da es seit jeher eine selbstbewusste Neonaziszene in der | |
Stadt gebe, an die sich viele gewöhnt hätten. | |
Christian Klar weiß diese fehlende Distanzierung seiner Mitprotestierer zu | |
nutzen – und seine jahrelangen Szenekontakte. Schon beim „Sommerfest“ | |
tauchte Höcke auf, stand Szenesänger Rennicke auf der Bühne. Die „Freien | |
Thüringer“ und die „Patrioten Ostthüringen“ bewerben die Geraer Aufzüg… | |
Und auf der Demo am Montag trägt eine Frau auch eine AfD-Weste, sonst hält | |
sich die Partei im Hintergrund. | |
In der Stadt Gera ist die AfD schon länger tonangebend. Im Stadtrat hält | |
die Partei seit 2019 die meisten Sitze. Bei der letzten Bundestagswahl | |
holte sie 28 Prozent im Wahlkreis, gut 6 Prozentpunkte mehr als die | |
zweitplatzierte SPD. Und am 3. Oktober nahmen AfD-Vertreter reihenweise am | |
Geraer Aufzug teil. Ein lokaler Parteifunktionär lobte danach die | |
„fantastische Organisation der Montagsfamilie“. Es ist kein Zufall, dass | |
der Großaufmarsch ausgerechnet in Gera stattfand. | |
Die Grenzen verschwimmen auch anderswo. In Sachsen traten zuletzt Redner | |
der NPD oder der rechtsextremen Freien Sachsen auf den Montagsprotesten | |
auf. In Brandenburg gehört der rechtsextreme Verein Zukunft Heimat zu den | |
Protestorganisatoren, in Mecklenburg-Vorpommern die Fraktion „Heimat und | |
Identität“. Dazu stehen auch Andreas Kalbitz oder André Poggenburg auf den | |
Bühnen, frühere AfD-Männer und Radikale, die die Partei ausgeschlossen hat. | |
Und auch diese Auftritte sind kein Zufall. Schon im August rief der | |
neurechte Vordenker Götz Kubitschek dazu auf, die Herbstproteste zu | |
unterstützen, damit diese „nachhaltig, unversöhnlich und grundsätzlich“ | |
werden. Vor allem die „Freien Sachsen“ und „Freien Thüringer“ treiben … | |
voran. In Thüringen wurde im September auf mehreren Montagsprotesten | |
plötzlich parallel ein Forderungskatalog mit zehn Punkten verlesen, den | |
auch die Landes-AfD kurz darauf veröffentlichte – es ist der, der auch am | |
Montagabend in Gera immer wieder ertönt. Unabhängiger Bürgerprotest vor | |
Ort? Es wirkte eher wie die Orchestrierung rechtsextremer Strippenzieher. | |
Auch die Bundes-AfD hatte zuvor einen „heißen Herbst“ ausgerufen, | |
organisierte dafür eine „Großdemo“ in Berlin. Ihren rechtsextremen | |
Frontmann Höcke zieht es mehr in die Provinz, momentan pilgert er dort von | |
Montagsdemo zu Montagsdemo. Dass in seiner Partei eigentlich ein | |
Unvereinbarkeitsbeschluss etwa mit den Freien Sachsen existiert, ignoriert | |
er. „Wir lassen uns nicht spalten, niemals“, verkündete Höcke zuletzt. Und | |
die Fraktionschefs der ostdeutschen AfD gaben eine Erklärung ab, man | |
verstehe sich „als Teil der bundesweiten Protestbewegung“. | |
In Gera gibt es aber auch andere, die wegen der Energiekrise protestieren – | |
und genau diesen Schulterschluss nicht wollen. Anfang Oktober rief erstmals | |
die [6][Kreishandwerkerschaft] zu einem Autokorso in der Stadt auf. Mehr | |
als 200 Firmenautos beteiligten sich. „Ohne Mittelstand geht das Licht | |
aus“, verkündeten Banner. Vor wenigen Tagen erfolgte der zweite Korso. Die | |
Handwerker wählten dafür bewusst nicht den Montag, sondern einen | |
Donnerstag, wie Organisator Stefan Haase, Geschäftsführer der | |
Kreishandwerkerschaft, betont. | |
Die Krise treffe die Branchen hart, klagt der KfZ-Fachmann. Die | |
Materialengpässe seien massiv, die Sprit- und Energiepreise völlig | |
überzogen, man könne kaum noch planen. „Wir können das nicht alles auf die | |
Kunden umlegen. Aber wenn wir es nicht tun, werden einige von uns auf der | |
Strecke bleiben.“ Man müsse die Politik aufrütteln, deshalb die Autokorsos. | |
Haase sagt: „Es muss etwas passieren.“ | |
Zu den Montagsdemos aber halte man Distanz, sagt Haase. Der Protest dort | |
sei zu „AfD-lastig“, man selbst setze auf Überparteilichkeit. Auch dass | |
Politiker dort persönlich angegangen oder in Sträflingskleidung gezeigt | |
würden, sei nicht der richtige Weg. „Das löst nicht die Probleme.“ | |
## Der bedrohte Bürgermeister | |
Geras Oberbürgermeister [7][Julian Vonarb], ein parteiloser Bankkaufmann, | |
im badischen Freiburg aufgewachsen und seit dem Jahr 2018 im Amt, treibt | |
das Protestgeschehen um, zwangsläufig. Weil er die Krisenfolgen sieht. Und | |
weil der Protest ihn schon länger zum Feindbild erkoren hat. Schon vor | |
Wochen warnte Vonarb, dass die Energiekrise die Bürger und Unternehmen hart | |
treffen könne, und forderte einen Energiedeckel. Der 50-Jährige besprach | |
das Thema auf dem Städte- und Gemeindebund, traf sich in Berlin mit dem | |
Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider. „Ich versuche auf | |
allen Ebenen, die Lage für die Menschen erträglicher zu machen“, versichert | |
Julian Vonarb. Stefan Haase lobt ihn: „Das Problem ist ja kein lokales, | |
aber er unterstützt uns und macht Druck.“ | |
Dass Menschen wegen der Krise auch auf die Straße gehen, sei erst mal „ein | |
legitimes Mittel“, das vom Grundgesetz geschützt sei, sagt der | |
Oberbürgermeister. Gerade der Autokorso der Handwerker sei „ein gutes | |
Beispiel“, wie das aussehen könne. „Dafür haben sie meine vollste | |
Unterstützung.“ | |
Bei den Montagsprotesten seien dagegen „Narrative der vermeintlichen | |
Spaltung zu hören, welche die Situation verschärfen“, klagt OB Vonarb. Es | |
sei „bedauerlich“, dass Rechtsextreme versuchten, die Proteste zu | |
benutzten, um ihr Gedankengut zu verbreiten und den Rechtsstaat infrage zu | |
stellen. Dennoch, das ist Vonarb wichtig zu betonen, liefen montags auch | |
viele Menschen mit, die „eindeutig nicht der rechtsextremen Szene | |
angehören, sondern dieses Format lediglich als Möglichkeit sehen, ihrer | |
Unzufriedenheit oder ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen“. | |
Linken-Chefin Prochnow kritisiert, dass Vonarb die Montagsdemos erst sehr | |
spät kritisierte. Dass der OB nun aber deutlichere Worte findet, erzürnt | |
wiederum die Montagsdemonstrierenden. Schon als er die Coronamaßnahmen | |
mittrug, geriet Vonarb dort ins Visier. Im Januar zogen Hunderte | |
Protestierende unangemeldet an seinem Wohnhaus vorbei, wo er mit seiner | |
Frau und den Kindern lebt. Ministerpräsident Bodo Ramelow sprang Vonarb | |
bei. Er wolle so etwas nie wieder erleben, sagte Vonarb damals. Danach | |
suchte er das Gespräch mit den Protestierenden, lud Peter Schmidt zu einem | |
Videotalk ein. Es half nichts, im Gegenteil. | |
Zuletzt brandeten die Anfeindungen wieder auf. Vonarb war beim Autokorso | |
der Handwerker als Gastredner aufgetreten. „Ich stehe eng an Ihrer Seite. | |
Ich arbeite intensiv im Hintergrund für Sie“, versicherte er. Von den | |
Montagsprotesten aber distanzierte er sich nochmal ausdrücklich: „Im | |
Dunkeln mit Trommeln und Fackeln zu marschieren, hilft der Lösung unserer | |
Probleme nicht.“ Sofort brandeten Buh- und Pfui-Rufe. „Hau ab“, riefen | |
einige. Nur mit Mühe beruhigte Geschäftsführer Stefan Haase die Lage. | |
Ja, es stimme, erklärte Haase danach der taz, dass wohl auch einige der | |
Handwerker montags mitliefen. Aber umso wichtiger sei es, mit dem Korso ein | |
Protestangebot zu schaffen, bei dem es nur um die Unternehmen gehe. | |
Von Vonarbs Auftritt bei den Handwerken verbreiteten Christian Klar und | |
Peter Schmidt einen Videoauschnitt. Der Bürgermeister treibe „einen | |
Spaltkeil zwischen die Menschen“, ätzte Schmidt. Andere reagierten noch | |
deutlicher. Ein „Drecksspalter“ sei Vonarb, hieß es in Kommentaren zu dem | |
Video. „Was für eine Lusche“ oder „einfach nur Schmutz der Typ“. Vonarb | |
sagt dazu, Kritik sei für ihn als Oberbürgermeister selbstverständlich. | |
„Wenn die Anfeindungen jedoch, wie bereits mehrfach geschehen, mein | |
Privatleben treffen, wird eine nicht zu tolerierende rote Linie | |
überschritten.“ | |
Damit ist Julian Vonarb in diesen Zeiten nicht allein. Auch andererorts | |
werden Politiker:innen von den Montagsprotestierenden als | |
„Volksverräter“ beschimpft oder bedroht. In Rostock ertönte der Ausruf | |
„Scholz an die Wand“, in Zwickau wurde Verfassungsschutzchef Haldenwang mit | |
dem KZ-Arzt Josef Mengele verglichen. | |
## Zahl der Straftaten steigt | |
Zahlen zu Straftaten auf den Thüringer Herbstprotesten liegen noch nicht | |
vor. Aber Sachsen zählte allein für September und Oktober 277 Straftaten | |
auf Protesten im Land. Auch Brandenburg zog zuletzt Zwischenbilanz: Dort | |
stiegen von Jahresbeginn bis Mitte Oktober die politisch motivierten | |
Delikte um 47 Prozent, auf 1.093 Fälle. Der Großteil davon wurde laut | |
Landeskriminalamt auf den Corona- oder Herbstprotesten begangen. | |
Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts, nennt die Straftaten gegen | |
Mandatsträger „besorgniserregend“. Diese hätten seit 2018 um 276 Prozent | |
zugenommen. Es seien Angriffe „gegen das Rückgrat unserer Demokratie“, | |
warnt Münch. „Hass und Hetze sind zu einer konkreten Gefahr für unsere | |
Demokratie und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt geworden.“ | |
Die Töne der Rechtsextremen werden derweil immer schriller. So propagieren | |
die „Freien Sachsen“ seit Wochen einen „Aufstand gegen das Regime des | |
Unrechts“. Compact-Herausgeber Elsässer erklärte zuletzt auf Kundgebungen, | |
es gehe „um das nackte Überleben“. Deutschland werde „vor die Hunde gehe… | |
wenn wir diese Bande, die die Macht in ihren Krallen hält, nicht | |
davonjagen“. Und auch Höcke holte vor wenigen Tagen auf einer Kundgebung in | |
Erfurt aus: Man werde das herrschende System in Gänze „zu Fall bringen, | |
ihren politischen Amoklauf stoppen“. | |
Das Hauptthema der rechtsextremen Anheizer wandelt sich gerade wieder. Mehr | |
und mehr rückt ein Klassiker in den Vordergrund: der Hass auf Migranten – | |
konkret gegen ukrainische Geflüchtete. So ätzte Höcke in Erfurt, dass | |
Hunderttausende Ukrainer:innen inzwischen in Deutschland seien, obwohl | |
in acht Zehntel ihres Landes angeblich kein Krieg herrsche, und dass diese | |
bald das neue Bürgergeld bekämen – mehr Geld als der deutsche | |
Durchschnittsrentner. „Das ist Diskriminierung von uns Deutschen im eigenen | |
Land. Das ist eine Schande.“ | |
Diese Töne sind auch am Montagabend in Gera zu hören. „Asylflut stoppen“ | |
künden dort Banner, oder „Wir sind nicht das Sozialamt der ganzen Welt“. Am | |
Mikrofon kritisiert Christian Klar, dass die USA ukrainische Soldaten in | |
Deutschland ausbildeten. „Und das wollen wir nicht“, schreit er und erntet | |
Applaus. Später beschwert er sich am Rande, dass ukrainische Geflüchtete | |
hierzulande mehr Sozialhilfe bekämen als seine 75-jährige Mutter. Und | |
Christian Klar wird noch deutlicher. Auch hierzulande stehe man vor einem | |
Krieg, im Grunde sei dieser längst da, sagt er. Und er werde nicht zusehen, | |
sondern für seine Kinder kämpfen. | |
Der Linken Jana Prochnow machen solche Aussagen Angst. „Wer das Sagbare | |
immer weiter verschiebt, der handelt irgendwann auch so. Da ist eine | |
Radikalisierung vorprogrammiert.“ Auch deshalb versucht Prochnows | |
Linkspartei dagegen zu halten. Mit Gegenprotesten zumindest zu einigen der | |
Montagsdemos, mit einer eigenen Krisendemo im September. Erst am Samstag | |
war Linken-Ikone Gregor Gysi in der Stadt. Doch bisher waren die Rechten | |
stets in der Überzahl. | |
## Mehr AfD-Wähler, weniger Demonstranten | |
Zumindest für die AfD zahlt sich das Anheizen der Proteste aus. In Umfragen | |
liegt die Partei bundesweit wieder bei 15 Prozent, in Thüringen gar bei 25 | |
Prozent. Doch der Protest stößt eben auch an Grenzen. Nicht nur in Gera | |
gehen die Teilnehmerzahlen zurück. In Erfurt folgten zuletzt nur rund 2.000 | |
Teilnehmende statt der angemeldeten 10.000. | |
In wenigen Tagen, am kommenden Samstag, wollen es die Rechtsextremen nun | |
noch einmal probieren, diesmal in Leipzig. Da soll der Antiamerikanismus | |
ziehen. „Ami, go home“, lautet der Slogan. Die „Ami, go home“-Fahnen we… | |
am Montag auch in Gera, und Christian Klar ruft auf, sich in Buslisten für | |
Leipzig einzutragen. „Ganz Europa schaut auf diese Demo.“ Das darf | |
bezweifelt werden. | |
Aber zumindest in Gera wird der Protest weitergehen. Schon am Donnerstag | |
lädt die Kreishandwerkerschaft zu ihrem dritten Autokorso. Und auch die | |
Protestierenden um Christian Klar wollen kommende Woche wieder auf der | |
Straße stehen. Am Montagabend endet ihre Demo mit einem kleinen Feuerwerk | |
und dem Singen der Nationalhymne. Der Text wird an das städtische Theater | |
projiziert. Das lässt es geschehen. | |
Nach den Großdemos wolle man künftig wieder auf Gera fokussieren, kündigt | |
Christian Klar noch an. Es gebe genug vor der eigenen Tür zu kehren. „Vor | |
einer bestimmten Tür.“ Höhnisches Gelächter. Und damit auch der Letzte | |
versteht, um wen es geht, fordert Klar, dass Gera endlich einen | |
Bürgermeister aus Thüringen brauche. Keinen Zugezogenen wie Julian Vonarb | |
also. | |
Aktualisiert und ergänzt am 24.11.2022 um 10:20 Uhr. d. R. | |
23 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gera.de/sixcms/detail.php?id=10213 | |
[2] /Rechtsextreme-Montagsdemos/!5882340 | |
[3] /Verfassungsschutzchef-zu-Letzte-Generation/!5895968 | |
[4] /Neuer-BKA-Chef-Holger-Muench/!5028293 | |
[5] https://www.die-linke-gera.de/startseite/aktuelles/detail/news/uebergabe-de… | |
[6] https://www.kh-gera.de/ | |
[7] https://julian-vonarb.de/ | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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