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# taz.de -- Aufruhr in Gera: Gegeneinander gegen Rassismus
> Nach Diskriminierungsvorwürfen ziehen sich Teile der Geraer Verwaltung
> von Aktionen gegen Rassismus zurück. Die Anschuldigungen seien
> „unhaltbar“.
Bild: Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Rassismus am Dienstag in Erfurt
Berlin taz | In diesen Tagen organisieren mehrere Städte in Deutschland ein
Programm zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus. Auch Gera in
Thüringen ist dabei. Doch nicht alle öffentlichen Einrichtungen machen mit.
Der Grund: eine Demonstration, in deren Aufruf Geras Behörden als
„individuell und strukturell rassistisch“ bezeichnet wurden. Nach der
Veröffentlichung zogen mehrere, teils öffentliche Institutionen ihre
Teilnahme an einer anderen Veranstaltung im Rahmen der Aktionswochen
zurück.
Ursprünglich sollten unter anderem das Arbeitsförder- und
Berufsbildungszentrum Otegau, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter sowie
die Stadt- und Regionalbibliothek und der Service Generationen als
Ausstellungsorte für Plakate zur Verfügung stehen, auf denen Betroffene von
ihren Diskriminierungserfahrungen in Gera berichten. Kurz vor der
Veranstaltung haben jedoch alle der aufgezählten Institutionen ihre
Bereitschaft zurückgezogen.
Das geht unter anderem aus einem Brief der Bundestagsabgeordneten Elisabeth
Kaiser an [1][Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb] hervor, der der taz
vorliegt. Darin bittet Kaiser, die Kreisvorsitzende der SPD in Gera ist,
Vonarb darum, „mit Nachdruck für einen Dialog zwischen allen beteiligten
Akteuren“ zu werben und sich dafür einzusetzen, dass „sich die städtischen
Einrichtungen in diesem Jahr wieder an der Ausstellung zu den Wochen gegen
Rassismus beteiligen“.
Die Aktionswochen wurden vom Bündnis Antira Gera organisiert, die einzelne
Veranstaltungen in Arbeitskreise ausgelagert hat. Die antirassistische
Demonstration am Dienstag plante eine Gruppe von Privatpersonen. In ihrem
Aufruf beschuldigten sie Mitarbeitende des Sozialamtes der Stadt,
Leistungen an Sinti und Roma widerrechtlich eingeschränkt zu haben, zudem
soll die Ausländerbehörde angeblich regelmäßig Reisepässe und Anträge
verschwinden lassen und Menschen absichtlich falsch beraten.
[2][Montagsdemos gegen Pandemiemaßnahmen] und [3][Ansammlungen von
„Putinfans und Verschwörungserzähler*innen“ in Gera] bezeichneten sie als
„Kartoffel-Aufläufe“, die von „Nazis organisiert und begleitet“ würde…
## „Unhaltbar und diffamierend“
Mitglieder*innen des Bündnisses sagten der taz, die genannten
Institutionen forderten nach der Veröffentlichung des Demoaufrufs, die
Antira Gera solle sich von dem Schreiben distanzieren. Dort wurde dies
nicht eingesehen: Auch wenn der Text nur von einigen der
Mitglieder*innen verfasst wurde, stehe man hinter der Sache, heißt es.
Daraufhin zogen Agentur für Arbeit, Jobcenter & Co. ihre Bereitschaft zur
Ausstellung der Plakate zurück.
Auf taz-Anfrage ließ die Pressestelle der Stadtverwaltung ausrichten, die
Stadt habe sich von der Plakataktion distanziert, „da der Demo-Aufruf allen
Mitarbeitern der Verwaltung eine rassistische Arbeitsweise unterstellt“.
Auch die expliziten Vorwürfe gegen das Sozialamt und die Ausländerbehörde
weise man „als unhaltbar und diffamierend zurück“. In der Antwort heißt e…
Anträge würden unter gesetzlichen Vorgaben bearbeitet, ergänzt wird dies
jedoch vielsagend mit: „Ermessensspielräume werden genutzt.“ Der Demoaufruf
fördere „in keinem Maße Toleranz und ein offenes Miteinander“, ein
geschlossenes Auftreten gegen Rassismus rücke in den Hintergrund.
Die Mitglieder*innen von Antira Gera vermuteten gegenüber der taz, Stadt-
und Behördenmitarbeiter*innen hätten sich unter anderem an der
Bezeichnung „Kartoffel-Aufläufe“ gestört und sie als eine Art „Rassismus
gegen Weiße“ empfunden. Auch wenn das Bündnis den Unmut über die
Eindeutigkeit der Vorwürfe im Aufruf verstehen würden, halten sie die
Absage, an der Ausstellung mitzuwirken, für nicht gerechtfertigt. Ein
Demoaufruf solle Menschen auf die Straße bringen und benennen, was falsch
läuft. Zudem wären etwa auch keine öffentlichen Gelder, die dem Bündnis
zukommen, an den Arbeitskreis und somit in die Planung der Demonstration
gegangen.
Auch Elisabeth Kaiser zeigt Verständnis für den Ärger über die
Anschuldigungen, sieht im Rückzug der Institutionen von der Ausstellung
jedoch ein falsches Signal. Im Brief an Oberbürgermeister Vonarb sagt sie:
„Kritik und kontroverse Positionen sollten und können wir als Demokratinnen
und Demokraten wechselseitig annehmen und aushalten, im gemeinsamen
Verständnis, lokal und im Alltag Diskriminierung abzubauen.“ Hinzu komme,
dass der Aufruf nach ihrem Verständnis „nicht die erwähnte Ausstellung oder
gar die gesamten ‚Wochen gegen Rassismus‘ in Gera im Allgemeinen
repräsentiert“.
## Oberbürgermeister schweigt
Und der Oberbürgermeister selbst? Der möchte sich zur Sache nicht äußern,
ließ aber ausrichten, dass er Kaiser noch eine Antwort schicken werde. Die
Pressestelle der Stadt teilte derweil mit, der Service Generationen und die
Bibliothek positionierten sich immerhin durch den Aushang des offiziellen
Plakates zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus.
Die Ausstellung konnte am Samstag, dem 18. März, auch ohne die verlorene
Unterstützung eröffnen. Die Demo ist laut Antira Gera am Dienstagabend mit
etwa 120 Teilnehmer*innen friedlich verlaufen. Auch viele
Migrant*innen seien anwesend gewesen, die teilweise von ihren
Rassismuserfahrungen berichteten.
22 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Dariusch Rimkus
## TAGS
Gera
Anti-Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Demonstration
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Schwerpunkt AfD
Thüringen
Lesestück Recherche und Reportage
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