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# taz.de -- Stichwahlen in Thüringen: Politische Zerrissenheit in Gera
> Die AfD und andere Rechtsextreme haben in Thüringen an Macht gewonnen. In
> Gera zeigt sich das auch im Wahlkampf – obwohl sie gar nicht antreten.
Bild: Julian Vonarb (parteilos), Oberbürgermeister von Gera, kommt zur Stimmab…
Berlin taz | In Gera haben es weder Neonazis noch die AfD in die Stichwahl
um das Oberbürgermeisteramt geschafft. Dort treten am Sonntag nur noch der
parteilose Amtsinhaber Julian Vonarb und der Kandidat der CDU, Kurt
Dannenberg, an. Trotzdem geht es in der Stadt im Osten Thüringens hoch her:
Gerüchte besagen, Dannenberg mache mit Rechtsextremen gemeinsame Sache.
Quelle für diese Gerüchte sind mehrere Videos; unter anderem eins, das den
Neonazi Christian Klar zeigt. Er steht Ende Mai vor dem Theater, das
Mikrofon im Anschlag, und brüllt seine üblichen Parolen. [1][Seit Jahren
hetzt er gegen die Coronapolitik] und organisierte zuletzt Protest gegen
eine geplante Asylunterkunft.
Dort hing die Reichsflagge und lief Musik, die das Pogrom von
Rostock-Lichtenhagen verherrlicht. Jahre zuvor war Klar beim Pegida-Ableger
Thügida und lief als Jugendlicher schon beim Thüringer Heimatschutz mit,
der Brutstätte des NSU-Komplexes.
Hinter Klar ist im Video ein großes Plakat am Theater zu sehen: [2][„Nie
wieder ist jetzt“]. Den Neonazi interessiert das nicht. Vor Klar stehen
mehr als hundert Menschen, die zu seiner Hetze applaudieren. Einige filmen
ihn, während er aufruft, nach der Stichwahl vor das Haus von Julian Vonarb
zu ziehen und ihn aus der Stadt zu jagen. Und dann ruft er dazu auf, den
CDU-Kandidaten zu wählen: Dannenberg.
Mittlerweile berichteten mehrere Medien darüber. Die regionale
[3][Ostthüringer Zeitung titelte, es sei eine „Schlammschlacht“]. Einige
Kritiker:innen Dannenbergs zeigen sich besorgt: Die AfD bildet die
stärkste Fraktion im Stadtrat. Was, wenn Dannenberg tatsächlich mit ihr
zusammenarbeitet? Anders als Amtsinhaber Vonarb hielt er bei einer
Podiumsdiskussion nicht dagegen, wenn Rechtsextreme über Migrant:innen
herzogen, berichteten mehrere, die dabei waren, der taz.
## Auch AfD für Dannenberg
Der CDU-Politiker Dannenberg bekam im ersten Wahlgang 33,2 Prozent der
Stimmen und lag damit knapp vor dem Oberbürgermeister Vonarb, 32,3 Prozent.
Der Amtsbonus half offenbar nicht. Wobei auch Kurt Dannenberg schon seit
zehn Jahren in Geras Verwaltung als Dezernent für Sicherheit und Finanzen
im Amt ist. Wie hoch seine Chancen auf einen Sieg am Sonntag stehen, könne
er nicht einschätzen, sagt er der taz. „Die Frage ist, ob die Nichtwähler
dann ihre Stimme abgeben und ob die Wähler es weiterhin tun.“
Der CDU trat er 2017 bei. „Ich stehe für den Erhalt von Werten und in der
CDU habe ich mich am meisten zu Hause gefühlt“, erzählt der ehemalige
Bundeswehroffizier. Im Geraer Wahlkampf versprach er, die Digitalisierung
der Verwaltung voranzutreiben, sofort [4][Bezahlkarten für Geflüchtete]
auszuteilen und die Sicherheit in der Stadt zu erhöhen.
Er unterstützt namentlich die Initiative „Weltoffenes Thüringen“. Gerade
unter den politisch schwierigen Verhältnissen im Freistaat, mit einer
Minderheitsregierung im Landtag und einer starken AfD auf kommunaler Ebene,
„ist es wichtig, zu bekennen, wo man steht“, sagt Dannenberg.
Das führte der CDU-Politiker auch in einer Distanzierung von Klars Aufruf
an, Politiker:innen zu jagen, die er drei Tage später veröffentlichte.
Allerdings heizte er die Gerüchte weiter an: Neonazi Klar hatte die
Distanzierung schon vor der Veröffentlichung in [5][einem internen Chat
angekündigt und als abgesprochene Schutzbehauptung] bezeichnet. Sie solle
„nicht ernst genommen werden“, sagt er in der öffentlich gewordenen
Sprachnachricht.
Dannenberg entgegnet auf Nachfrage der taz, das stimme nicht. „Es gab und
gibt keinerlei Absprachen mit Christian Klar.“ Er glaube, Klar habe Wind
von der Distanzierung bekommen und das genutzt. „Ich hatte vorher mehreren
Leuten gesagt, ich werde mich im Laufe der Woche positionieren“, erklärt
der CDU-Politiker.
In einer weiteren öffentlich gewordenen Nachricht ärgert sich Klar jedoch,
dass seine Sprachnachricht die interne Chatgruppe verlassen hat. Außerdem
heißt es, Klar habe was gegen Dannenberg in der Hand. Das glaube Dannenberg
wiederum nicht.
Mittlerweile hat laut Medienberichten auch der AfD-Kandidat Wieland
Altenkirch dazu aufgerufen, Kurt Dannenberg die Stimme zu geben. Obwohl die
Rechtsextremen es selbst nicht in die Stichwahl geschafft haben, mischen
sie bei der Wahl immer noch mit – nicht nur in Gera. [6][Dass die AfD in
Thüringen kein politisches Amt im ersten Anlauf] holen konnte, sollte nicht
darüber hinwegtäuschen, dass sie an Stärke gewonnen hat.
## Stärkste Fraktion im Stadtrat
In acht Kreistagen und im Stadtrat Gera stellt die AfD nun die stärkste
Fraktion. In vielen anderen ist sie die zweitstärkste. Die sogenannten
Kommunalparlamente erlassen zwar keine Gesetze, können in vielen Fragen
aber Beschlüsse verabschieden und entscheiden, was mit Geld passiert und
was nicht.
Das betreffe auch die marginalisierten Gruppen, warnt etwa Franz Zobel von
der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Thüringen. Es gehe
auch darum, wie Kommunen Geflüchtete unterbringen, oder um die Finanzierung
von Demokratieprojekten. „Die AfD konnte da ihren Einfluss in der Fläche
enorm ausbauen.“
Ein Beispiel dafür ist Sonneberg. Dort gewann im vergangenen Jahr der
[7][AfD-Politiker Robert Sesselmann die Landratswahl]. Danach scheiterte er
mit dem Versuch, Demokratiefördergesetze abzubauen, am Kreistag. Bei der
Wahl legte die AfD dort um 10 Prozent zu und bekam 34,7 Prozent. Sie hat
zwar immer noch keine eigene Mehrheit, aber etwa die Wählerinitiative Pro
Sonneberg, aus dem Stand 13,5 Prozent, schließt grundsätzlich keine
Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aus.
Zobel befürchtet, dass sich die Zusammenarbeit mit der AfD normalisiere.
„In der CDU werden Stimmen laut, die beklagen, es gäbe keinen politischen
Spielraum. Oder sie berufen sich auf vermeintliche Sachpolitik.“
Außerdem [8][berichten Kreistagsmitglieder und Stadträte] anderer Parteien
der taz, die AfD mache dort nichts außer Lärm. Das behindere die
Stadtentwicklung und vergifte die Debattenkultur.
## Anschlag auf die MLPD
Den größten Stimmanteil in Kreistagen oder Stadträten bekam die AfD in
Gera: 35,1 Prozent. Sie stellte [9][in der Stadt schon vorher die stärkste
Fraktion] und konnte um 6 Prozent zulegen. Neonazis wie Christian Klar
fühlen sich dadurch bestärkt, wie er vor dem Theater in sein Mikrofon ruft.
Energisch zieht er beleidigend über die her, die nicht in sein Weltbild
passen, und bekommt von seinen Anhänger:innen Applaus.
Wie lange kann das gut gehen? Es gibt Hinweise darauf, dass die politische
Debatte auch in Gera gefährlich werden kann, etwa einen Fall, in dem nun
die Kriminalpolizei ermittelt.
Dieter und Petra Ilius sind seit Jahren für die marxistisch-leninistische
Partei MLPD aktiv und kandidieren bei der Thüringer Landtagswahl im
September. In Gera werben sie um Stimmen und sind dafür oft mit ihrem Auto
unterwegs. Genau bei diesem Auto lockerten jetzt Ende Mai Unbekannte am
vorderen Reifen die Radmuttern und setzten eine Bautackernadel in den
Reifen, offenbar, um die Luft herauszulassen. Eine Werkstatt bestätigt die
Manipulation, die Polizei sucht Zeug:innen.
Den Ilius fiel bei der Fahrt auf, dass etwas nicht stimme. „Zum Glück ist
nichts Schlimmeres passiert“, sagt Dieter Ilius der taz. Wer konkret hinter
dem Anschlag stecke, wisse er nicht. Aber für ihn und seine Frau ist
aufgrund der Zusammenhänge klar, dass dieser von faschistischen Kräften
organisiert wurde.
Wenige Tage zuvor besuchte das Ehepaar eine Podiumsdiskussion zur
Oberbürgermeisterwahl in Gera – sie waren dort als Aktive der MLPD zu
erkennen. Vor Beginn verteilten sie Flugblätter der MLPD „Für das Verbot
der AfD und aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda!“.
Während der Diskussion stellte Petra Ilius eine Frage an die Kandidaten und
hielt einen kritischen Beitrag zu den sogenannten „Montagsspaziergängen“ in
Gera sowie zum „faschistischen Camp“ vor der neuen Erstaufnahmeeinrichtung
für Geflüchtete. Anmelder war dabei jeweils Christian Klar.
Am Ende der Veranstaltung sei dann ein ihnen unbekannter Mann auf sie
zugekommen: „Euren Namen merken wir uns.“ Das schüchtere sie nicht ein,
versichern beide. „Die bedrohen antifaschistische Kräfte und Kommunisten.
Wir werden dagegen weiter Front machen“, sagt Dieter Ilius. „Aber das war
schon eine Ansage.“
## Gespräche, aber nicht mit Klar
Der CDU-Mann Kurt Dannenberg sagt der taz, er wisse nichts von dem Vorfall.
Christian Klars Veranstaltungen könne die Stadt nur mit Auflagen regeln –
so sei der rechtliche Rahmen. Als Dezernent für Sicherheit fällt so etwas
seit Jahren in den Bereich von Dannenberg. Allerdings zeigte eine Recherche
des ARD-Investigativformats Kontext, dass Klar bisher kaum schriftliche
Auflagen bekam.
Darauf angesprochen, verweist der CDU-Politiker auf Kooperationsgespräche
zwischen Demoanmelder:innen und der Stadt. Halte sich Klar nicht an
die besprochenen Vereinbarungen, könne die Polizei wie bei Auflagen
eingreifen. Bisher blieb die Polizei bei Klars Demos jedoch auffällig
untätig. In dieser Woche zeigte ein Demo-Teilnehmer sogar den verbotenen
Hitlergruß, wie Aufnahmen belegen.
Die Verrohung und Zerrissenheit der Gesellschaft besorge Dannenberg, „nicht
nur in Gera“. Was dagegen helfe? Gespräche, antwortet der CDU-Kandidat und
betont, das gehe. Allerdings: „Ein Gesprächsformat mit Christian Klar
schließe ich derzeit aus.“
8 Jun 2024
## LINKS
[1] /Protest-in-Ostdeutschland/!5893766
[2] /Demos-gegen-rechts/!5987599
[3] https://www.otz.de/lokales/gera/article406455718/schlammschlacht-vor-der-ob…
[4] /Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!6004003
[5] https://x.com/ostdivan/status/1798571393191477524
[6] /Kommunalwahl-in-Thueringen/!6012744
[7] /Kommunalwahl-in-Thueringen/!6012744
[8] /Kommunalwahlen-in-Thueringen/!6010264
[9] /AfD-Vorsitz-im-Stadtrat-Gera/!5717320
## AUTOREN
David Muschenich
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