| # taz.de -- Steinmeier besucht Sachsen: Mit Kaffee gegen Spaltung | |
| > Der Bundespräsident reist durchs Land, um mit Menschen zu sprechen. In | |
| > Sachsen trifft er Teilnehmer von Montagsdemos und deren Gegner – an | |
| > einem Tisch. | |
| Freiberg taz | Es dauert einen ganzen Tag, bis Frank-Walter Steinmeier | |
| angebrüllt wird. Bedenkt man, [1][was Ministerpräsident Michael Kretschmer | |
| so widerfährt] oder was Ex-Kanzlerin Angela Merkel in Sachsen alles | |
| wegstecken musste, kann man das einen durchaus freundlichen Empfang nennen. | |
| Am frühen Mittwochnachmittag nähert sich der Bundespräsident dem Café | |
| Hartmann, einer Traditionskonditorei, die nur einen Sprung vom Rathaus | |
| entfernt in der Freiberger Altstadt liegt. | |
| Vor dem Café stehen ein paar Leute herum, es hat sich herumgesprochen, dass | |
| Politprominenz in der Stadt weilt. Einige von ihnen halten das Handy | |
| gezückt, sie wollen ein Foto von Steinmeier machen. Ein kleiner Trupp aber | |
| hat eine Nachricht mitgebracht. „Frieden mit Russland“ steht auf dem | |
| Plakat, das einer von ihnen hält. Vom Christmarkt vor dem Rathaus klingen | |
| Weihnachtslieder herüber, es schneerieselt. | |
| „Kriegstreiber“, ruft der Mann, als er den Bundespräsidenten sieht, und | |
| dass dieser die Gesellschaft spalte – Steinmeier erzählt davon später | |
| drinnen. Dort ist ein langer Tisch aufgebaut, zwölf Freiberger*innen | |
| sitzen daran. Sechs Männer und sechs Frauen, die recht unterschiedlich | |
| ticken – und das ist genau so gewollt. Zwei von ihnen gehen [2][montags | |
| regelmäßig auf die Straße]. Ein Pfarrer hat den Verein „Freiberg für alle… | |
| mitbegründet, der sich [3][für eine weltoffene Stadt und Solidarität | |
| einsetzt]. Dazu unter anderen: eine Mitarbeiterin der Tafel, eine | |
| Altenpflegerin, die sich nicht impfen lassen will, zwei Kulturschaffende, | |
| die Vorsitzende des Gewerbevereins, ein ehrenamtlicher Jugendarbeiter. | |
| Auf der weißen Decke stehen Blumengestecke und Platten mit Kuchen, Stollen | |
| und Plätzchen, über allem hängt viel Stuck und ein gewaltiger Tannenkranz | |
| mit Weihnachtsschmuck. Kaffee und Tee bringt die Bedienung. | |
| Er wolle, sagt Steinmeier, als er und Oberbürgermeister Sven Krüger in der | |
| Mitte Platz genommen haben, die Gesellschaft mit sich selbst ins Gespräch | |
| bringen. „Kaffeetafel kontrovers“ heißt das Format, das sich das | |
| Bundespräsidialamt dafür ausgedacht hat. Es ist der jeweilige Höhepunkt der | |
| sogenannten Ortszeiten, für die Steinmeier in die Provinz reist und drei | |
| Tage lang bleibt. | |
| Offiziell verlegt er seinem Amtssitz hierher, vor der Tür seiner Bleibe | |
| wird also die Flagge gehisst, mal hat er einen Staatsgast dabei, mal | |
| verleiht er im Laufe der Reise Bundesverdienstkreuze. Im Zentrum aber | |
| steht, dass er Leute trifft, Gespräche führt, sich über aktuelle | |
| Herausforderungen und über die Demokratie austauscht, manchmal auch | |
| streitet. Nicht nur, aber eben auch an der Kaffeetafel. | |
| Steinmeier versucht hier also das genaue Gegenteil von dem, was der Mann | |
| vor der Cafétür ihm vorgeworfen hat: Er will die Gesellschaft | |
| zusammenhalten. Die Stärkung der Demokratie, das ist sein großes Thema als | |
| Bundespräsident. „Wenn wir aus den großen Umbrüchen einen gemeinsamen | |
| Aufbruch machen wollen, dann geht das nicht durch staatliche Verordnung | |
| allein. Dann müssen wir Brücken bauen“, so hatte er es im Februar in der | |
| Bundesversammlung gesagt, [4][als er zum zweiten Mal gewählt wurde]. Was | |
| ohne Zweifel stimmt. Zumal der Bundespräsident nichts verordnen kann, als | |
| Werkzeug hat er vor allem das Wort. | |
| Kann das aber mit seinen Kurztrips gelingen? Hilft es einer gespaltenen | |
| Stadt, wenn der Bundespräsident mit dem Zug aus Berlin anreist und Menschen | |
| an einem Cafétisch versammelt? Wenn er auf dem Weihnachtsmarkt spontane | |
| Gespräche führt und mit dem Ministerpräsidenten Unternehmen der | |
| Halbleiterindustrie besucht? Wenn er Grundschullehrerinnen, die mit | |
| ukrainischen Kindern arbeiten, ausländische Studierende und | |
| Händler*innen in ihren Geschäften in der Altstadt trifft? | |
| Vier Ortszeiten gab es schon: Altenburg, Quedlinburg und Neustrelitz in | |
| Ostdeutschland sowie Rottweil in Baden-Württemberg hat Steinmeier bereist. | |
| Jetzt also drei Tage in Freiberg in Sachsen, am Fuße des Erzgebirges. Die | |
| 40.000-Einwohner Stadt hat mit der Bergakademie die älteste noch bestehende | |
| technisch-montanwissenschaftliche Universität der Welt, sie ist von Bergbau | |
| und Hüttenindustrie geprägt. Diese Tradition lebt, Bergmannsmotiven | |
| jedenfalls entkommt man in Freiberg nicht. Selbst zur Weihnachtsbeleuchtung | |
| am Rathausturm gehört der mit dem Eisen gekreuzte Bergmannshammer, das | |
| bekannteste Symbol. | |
| Freiberg geht es heute nicht schlecht. Mit Halbleiterfertigung und | |
| Solartechnik gehört es zum „Silikon Saxony“, dies sei die Basis für den | |
| Wohlstand der Stadt, sagt der Oberbürgermeister. Die Altstadt mit den | |
| vielen kleinen Geschäften und Cafés ist hübsch saniert und steht unter | |
| Denkmalschutz, gerade in der Weihnachtszeit zieht sie viele Touristen an. | |
| Der Stadtkern gehört zum Unesco-Welterbe Montanregion Erzgebirge, das | |
| grenzüberschreitend bis nach Tschechien reicht. | |
| Im Stadtrat aber ist, wie so häufig in Sachsen, [5][die AfD stärkste | |
| Kraft], während der Hochzeiten der Coronapandemie wurde Freiberg zu einem | |
| Zentrum der rechten Proteste. Der parteilose Oberbürgermeister verhielt | |
| sich ambivalent, sein Stellvertreter von der CDU lief auf den Demos mit, | |
| auch Rechtsextremisten wie die Freien Sachsen kamen, was kaum jemanden zu | |
| stören schien. Heute wird hier weiter montags demonstriert, wenn auch bei | |
| Weitem nicht mehr mit vierstelliger Beteiligung. | |
| Auch wegen dieser Demonstrationen ist Steinmeier nach Freiberg gekommen und | |
| das sagt er an der Kaffeetafel im Café Hartmann auch gleich. „Was treibt | |
| die Gesellschaft hier in der Stadt auseinander, wo sind die Ursachen für | |
| Risse und Spaltungen, die beklagt werden?“, fragt der Bundespräsident. Und: | |
| „Warum hatte das auf einmal eine solche Dynamik?“ | |
| Dann spricht er den Mann, der ihm gegenüber sitzt, direkt an. „Wollen Sie | |
| vielleicht beginnen? Sie gehören zu den Organisatoren der Proteste.“ | |
| Thorsten Hedrich-Wild antwortet, er sei in Berlin gewesen, als das | |
| Infektionsschutzgesetz von Bundestag und Bundesrat an nur einem Tag | |
| beschlossen wurde, während die Polizei draußen in der Novemberkälte mit | |
| Wasserwerfern gegen Demonstrierende vorgegangen sei. „Das hat für mich | |
| nichts mehr mit Demokratie zu tun.“ | |
| Warum er Maßnahmen, die mit demokratischer Mehrheit beschlossen worden | |
| seien, für eine Unterdrückung der Demokratie halte, will Steinmeier nun | |
| wissen. Da ist Hedrich-Wild schon bei kritischen Ärzten, deren Meinung | |
| unterdrückt würde, und dass mit Masken nur Geld gemacht werde. Schnell ist | |
| klar: Der Mann zweifelt die Pandemie grundsätzlich an. Steinmeier | |
| widerspricht, es geht hin und her, die anderen schweigen noch. | |
| Hedrich-Wilds Initiative „Dialog für unsere Zukunft“ hat auch am Abend | |
| zuvor demonstriert, ausnahmsweise an einem Dienstag. Steinmeier sei in der | |
| Stadt fehl am Platz, sagt einer der Redner und fordert den | |
| Bundespräsidenten zum Rücktritt auf. | |
| Gut 100 Demonstrant*innen sind auf den Schlossplatz gekommen, manche in | |
| blauen AfD-Westen, einige mit Armbinden mit der Aufschrift „Ungeimpft“, | |
| andere fordern auf Plakaten „Unser Land zuerst“. Auch die örtliche | |
| AfD-Bundestagsabgeordnete und der Organisator der Dresdner | |
| „Querdenker“-Demos sprechen. | |
| Steinmeier bekommt davon nichts mit, auch wenn er zu dieser Zeit nur wenige | |
| hundert Meter entfernt mit dem Oberbürgermeister im Schneeregen über den | |
| Christmarkt zieht. Hier ist die Stimmung ganz anders. Zwischen Schwibbögen | |
| und Glühweinständen wünschen sich viele ein Selfie mit dem | |
| Bundespräsidenten, mal fragen sie dies zögerlich, mal offensiv an, mal | |
| bieten die Mitarbeiter dies an; eine Frau mit Pudelmütze hakt sich einfach | |
| bei Steinmeier unter. Der lächelt und lacht, legt seinen Arm auf Schultern | |
| und Rücken, wirkt gelöst und ganz bei sich. Er möge Menschen, wird er | |
| später dem WDR ins Mikrofon sagen. | |
| Ein alter Mann erzählt ihm von seinem Rentnerdasein, ein Chefarzt spricht | |
| über den Pflegenotstand im Krankenhaus und dann steht plötzlich ein junger | |
| Mann neben Steinmeier und hält ihm auf dem Handy ein Foto entgegen, ein | |
| Denkmal für die Opfer der beiden Weltkriege ist darauf zu sehen. | |
| Steinmeiers Sprecherin ist alarmiert und rückt sofort an seine Seite, auch | |
| der Personenschutz aus BKA-Beamten nähert sich rasch. Doch der Mann sagt, | |
| dass man Putin drei Tage lang vor dieses Denkmal zwingen sollte. Und | |
| Steinmeier erzählt, [6][wie er jüngst in der Ukraine in einem Keller war], | |
| wo zuvor Menschen wochenlang von Russen gefangengehalten wurden und Kinder | |
| neben Leichen spielen mussten. Dann gehen die beiden auseinander. | |
| Fragt man bei Christmarkt-Besucher*innen, ist die Rückmeldung zu Steinmeier | |
| durchgehend positiv. Es sei doch gut, dass er sich für ihre schöne Stadt | |
| Zeit nehme und mit den Leuten spreche. Und was für ein Glück überhaupt, | |
| dass der Markt wieder öffnen dürfe. Manch einer sagt aber auch, dass dessen | |
| zweijährige Schließung wegen Corona keineswegs angemessen gewesen sei. Der | |
| Unterton kann dabei auch mal etwas aggressiv werden. Steinmeier aber | |
| bekommt das an diesem Abend nicht mit, was auch am Respekt vor dem Amt | |
| liegen kann. | |
| Als er zur Bühne des Markts kommt, bei der großen Weihnachtspyramide, auf | |
| der sich, na klar, Berg- und Hüttenleute im Kreis drehen, spielt das | |
| Berg-Musikkorps Saxonia ihm zu Ehren das Steigerlied; viele der | |
| Besucher*innen stimmen ein. Dass Steinmeier die erste Strophe mitsingen | |
| kann, dürfte ihm hier zusätzliche Sympathien einbringen. Das Handy mit dem | |
| Text, das ein Mitarbeiter des Oberbürgermeisters schnell rüberreicht, | |
| braucht er nicht. | |
| Die Ortszeit sieht eine Mischung aus spontanen und geplanten Begegnungen | |
| vor. Am Mittwochmorgen lässt sich Steinmeier gemeinsam mit | |
| Ministerpräsident Kretschmer in einer Halle mit großen silbernen Kesseln | |
| die Züchtung von Einkristallen zeigen. Die Halbleiter-Firma Freiberger | |
| Compound Material stellt daraus sogenannte GaAs Wafer her, die unter | |
| anderem in Handys und Autos verbaut werden. Für die Produktion wird sehr | |
| viel Strom gebraucht. | |
| Als später Mitarbeitende dieser und zweier anderer Firmen mit Steinmeier | |
| und Kretschmer zusammensitzen, fragt der Bundespräsident, was die Firmen | |
| umtreibe. Es geht um die hohen Energiepreise, die Konkurrenz in Singapur, | |
| fehlende Fachkräfte und darum, dass viele ausländische Studierende | |
| Deutschland nach ihrer Ausbildung verlassen, obwohl sie als | |
| [7][Arbeitskräfte dringend gebraucht werden]. Steinmeier hört zu, fragt | |
| nach. Das kommt hier ebenso gut an wie später beim Gespräch mit | |
| Studierenden des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie. „Ich fand | |
| es gut, das unsere Nöte gehört werden“, sagt Schichtleiter Thomas Buschner. | |
| „Ich denke, er will sich Input holen und das ist wichtig“, meint Tina | |
| Pereira, Projektmanagerin am Helmholtz-Institut. Internationales Personal | |
| sei „essenziell“ für sein Institut, betont der wissenschaftliche Direktor | |
| Jens Gutzmer gegenüber Journalist*innen. Wie die Unternehmer sorgt er | |
| sich um den Ruf der Stadt. Darum, dass die Demonstrationen diesen | |
| verderben. | |
| Der Ruf der Stadt treibt auch Oberbürgermeister Krüger um, doch lange hat | |
| er sich zu den Protesten nicht verhalten. Auch die Polizei griff erst nicht | |
| ein, obwohl die Demonstrierenden damals klar gegen die Corona-Verordnung | |
| verstießen. Schließlich initiierte der Verein „Freiberg für alle“ eine | |
| Unterschriftenliste und forderte die Polizei auf, die Aktionen nicht länger | |
| zu dulden. Mehr als 5.000 Bürger*innen unterschrieben. | |
| Krüger war früher in der SPD, fast 20 Jahre lang. 2018 ist er aus Protest | |
| gegen die Große Koalition in Berlin und auch gegen deren Flüchtlingspolitik | |
| ausgetreten. Fragt man ihn danach, winkt er ab. Das könne man alles auf | |
| seiner Facebook-Seite nachlesen. Jetzt sitzt er im Café Hartmann neben dem | |
| Bundespräsidenten und scheint froh darüber, hier auf der richtigen Seite zu | |
| sein. | |
| An der Tafel geht es zunächst um die Vergangenheit, um | |
| Corona-Einschränkungen, [8][das Impfen, die Proteste dagegen]. Schnell wird | |
| klar, wie sehr das alles die meisten noch umtreibt, wie tief die | |
| Verletzungen auch heute noch sind. „Bin ich eine schlechtere | |
| Krankenschwester, weil ich ungeimpft bin?“, fragt die Frau von der AWO. | |
| Nein, entgegnet Steinmeier. „Das nicht. Aber nach Meinung einer Mehrheit | |
| der Immunologen sind Sie ein höheres Risiko für die Patienten.“ Die | |
| Superintendentin der Kirchengemeinde am Dom berichtet, wie sie von | |
| Demonstranten übel beschimpft worden sei, weil sie eine Maske getragen | |
| habe. | |
| Hannelore Lohse, die ehrenamtlich „Ausländern hilft“, wie sie es nennt, hat | |
| sich einen Zettel gemacht, um nichts zu vergessen. Die 72-Jährige | |
| demonstriert regelmäßig am Montag mit und ärgert sich darüber, als | |
| Schwurblerin und Nazi bezeichnet zu werden. Wer bei den Demonstrationen | |
| mitlaufe, dafür könne sie doch nichts. Lohse vermisst Demut und Dankbarkeit | |
| bei den Geflüchteten aus der Ukraine, auch sorgt sie sich, dass „alle | |
| reingeholt werden und unsere Kultur überrannt wird“. | |
| Wenn rechtsradikale Gruppen sich vor die Demonstrationen stellten, müsse | |
| man das schon unterbinden, entgegnet Pfarrer Michael Dieter Stahl von | |
| „Freiberg für alle“. Er berichtet, dass sich bei vielen Menschen bereits | |
| der Eindruck festgesetzt habe, wieder in einer Diktatur zu leben, Vertrauen | |
| in den Staat werde strategisch erschüttert. | |
| Auch Hiltrud Anacker, die Superintendentin, meldet sich. Später wird sie | |
| sagen, dass ihre Erfahrung mit den Geflüchteten aus der Ukraine eine ganz | |
| andere ist: „Sie sind für unsere Hilfe sehr dankbar.“ Das war auch | |
| Steinmeiers Eindruck, als er am Vortag eine Initiative der Kirchengemeinde | |
| besucht hat, in der Ukainerinnen Deutsch lernen. | |
| Doch manche krude Äußerung an der Kaffeetafel bleibt auch unwidersprochen – | |
| etwa als Lohse die USA als „unsere Marionettenspieler“ bezeichnet, was eine | |
| klassische Verschwörungserzählung ist. Auch beklagt die alte Frau, dass von | |
| der Presse niemand verstehe, warum demonstriert werde und dass ständig alle | |
| als Nazis diffamiert würden. | |
| Robert Ahnert arbeitet ehrenamtlich im kirchlichen Jugendtreff Teeei, auch | |
| den hat Steinmeier kurz besucht. Ahnert organisiert dort Freizeiten für | |
| benachteiligte Kinder und Jugendliche. Er kritisiert, dass die Stadt durch | |
| die Berichterstattung stigmatisiert worden sei. „Aus Freiberg seid ihr?“, | |
| sei er gefragt worden, als er eine Skifreizeit in Bayern organisiert hatte. | |
| Die Antwort sei dann oft abweisend gewesen: „Mit euch wollen wir nichts zu | |
| tun haben.“ | |
| ## Die Teilnehmer*innen bewegen sich aufeinander zu | |
| Auch der Intendant des örtlichen Theaters stimmt bei der Medienschelte ein. | |
| Die Demonstrant*innen bekämen zu viel Aufmerksamkeit, findet er. Jüngst | |
| hätten 400 demonstriert, vier Mal so viele aber seien im Theater und beim | |
| Domkonzert gewesen. Dann erinnert Olaf Thomas Erler an die Pressefreiheit. | |
| Er ist Betriebsleiter eines Kinos, das auch Raum für Dialoge bietet. | |
| Im Laufe des Gesprächs werden bei vielen der Teilnehmer*innen | |
| Ambivalenzen deutlich, sie wägen ab, bewegen sich. Der Kinobetriebsleiter | |
| und die Vorsitzende des Gewerbevereins erzählen, dass sie zu Beginn der | |
| Pandemie auch demonstriert haben. Man sei empört gewesen, dass Kultur nicht | |
| als systemrelevant gegolten habe, sagt Erler. „Wir hatten Angst um unsere | |
| Existenz“, betont Anke Krause, die Frau vom Gewerbeverein, die einen | |
| Schreibwarenladen in der Altstadt betreibt. „Deshalb haben wir mit den | |
| Montagsdemonstrationen angefangen.“ Ihr Verein habe damit aufgehört, als | |
| nicht mehr zu kontrollieren gewesen sei, wer da alles so mitlaufe. | |
| Die Superintendentin macht später, als Steinmeier nach dem Ukrainekrieg | |
| fragt, ihr eigenes Dilemma klar: Dass sie gegen jeden Krieg sei, aber | |
| Unrecht eben auch Unrecht sei und unterbunden werden müsse. „Ich finde da | |
| keine Lösung“, sagt sie. | |
| Nicht nur die Kirchenfrau scheint sich im Laufe des Gesprächs zu öffnen, | |
| einen Schritt auf die anderen zuzugehen. Beide Seiten – sie meint die | |
| Coronaverharmloser und deren Gegner – hätten in den letzten Jahren Dinge | |
| gesagt, die besser nicht gesagt worden wären. Und dass jedes Gespräch | |
| hilfreich sei, um den entstanden Verletzungen und Verhärtungen zu begegnen. | |
| Möglicherweise ist es genau das, was Steinmeiers Initiative leisten kann. | |
| Dass die Menschen friedlich zwei Stunden lang an einem Tisch sitzen und | |
| debattieren, sich im respektvollen Umgang auch mal die Gegenseite anhören. | |
| Einige Teilnehmer*innen wollen das nun häufiger tun. „Ich kann mir | |
| vorstellen, dass wir wieder in den Dialog treten“, sagt jedenfalls Robert | |
| Ahnert, der ehrenamtliche Jugendarbeiter nach dem Gespräch. „Das ändert | |
| atmosphärisch schon etwas“, meint auch der Pfarrer. | |
| Ob das auch bei Hedrich-Wild von den Montagsdemonstranten der Fall ist? Das | |
| kann man bezweifeln. Als Einziger hat er sich während des Gesprächs keinen | |
| Millimeter bewegt. Fragen kann man Hedrich-Wild nicht mehr. Während die | |
| anderen nach dem offiziellen Ende des Gesprächs noch weiter plaudern, ist | |
| er gleich verschwunden. | |
| Der Bundespräsident jedenfalls betont, dass sein Anstoß in anderen Städten | |
| verfangen habe. Auch nach der Tafel in Freiberg ist Steinmeier zufrieden. | |
| „Mein Eindruck ist, wir müssen den politischen Dialog miteinander wieder | |
| neu lernen.“ Zuzuhören, das Argument der anderen zu bewerten und sich | |
| selbst zu überprüfen, all das wieder einzuüben, dazu diene die Kaffeetafel. | |
| „Es war eine kontroverse Auseinandersetzung, aber ich darf auch sagen, wenn | |
| sie immer so verläuft wie an diesem Tisch, dann kommen wir in dieser | |
| Gesellschaft ein Stück voran“, sagt Steinmeier. Dass dies der Demokratie in | |
| unserem Land guttun werde. | |
| Man kann sich für diese Gesellschaft durchaus einen Dialog wünschen, der | |
| egalitärer und weniger an einer Person ausgerichtet ist als Steinmeiers | |
| Tafel. Und man kann sich fragen, ob sein Ansatz wirklich nachhaltig ist. | |
| Aber einen Versuch sind seine Kaffeefahrten in jedem Fall wert. | |
| 8 Dec 2022 | |
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