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# taz.de -- Alleingang der Innensenatorin: Spranger schockt mit Taser-Kauf
> Noch vor der Evaluation des Testlaufs verspricht die Innensenatorin der
> Polizei, 300 neue Taser anzuschaffen. Auch die Koalitionspartner übergeht
> sie.
Bild: Polizisten mit Taser
Berlin taz | In der im Oktober vorgestellten [1][Rassismusstudie zur
Berliner Polizei] wird die sarkastische Bemerkung eines Polizeibeamten
beschrieben: Angesichts eines vermeintlichen Drogendealers, den man „etwas
gesprächiger“ machen müsse, fragt er seine Kolleg:innen, warum sie denn
nicht den „Translator“ benutzen würden. Gemeint ist eine auf dem Tisch
liegende Elektroschockpistole.
Die in Fachkreisen auch als „Taser“ bekannte Waffe, die elektrisch geladene
Pfeile über eine Distanz von bis zu sechs Metern abschießen kann, ist
höchst umstritten. Die Polizei und ihre Gewerkschaften werden nicht müde,
ihre grundsätzliche Ausstattung mit den Geräten zu fordern.
Viele andere, darunter Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty
International, sehen die Gefahr, dass die Waffe die Einsatzschwelle
verringert, und halten sie für hochgefährlich. Erst im Oktober [2][kam in
Dortmund ein herzkranker Mann infolge eines Taser-Einsatzes durch die
Polizei ums Leben]. Es ist der siebte Todesfall in Deutschland innerhalb
der vergangenen drei Jahre.
In Berlin gehören die Geräte zur Ausstattung des Sondereinsatzkommandos, im
regulären Streifendienst sind sie bislang nicht flächendeckend verbreitet.
[3][Seit 2017 jedoch werden Taser in zwei Polizeiabschnitten in Mitte und
Kreuzberg sowie bei der Polizeidirektion 5 (City) erprobt]. 34 Geräte, auch
für die Aus- und Fortbildung, wurden dafür bislang angeschafft.
Die im September zum mittlerweile dritten Mal verlängerte Testphase soll
endgültig Ende des Jahres abgeschlossen und dann evaluiert werden. Bis März
soll ein polizeiinterner Abschlussbericht vorliegen. Eine Einigung, wie es
dann weitergeht, steht in der Koalition aus, denn während die SPD Taser
befürwortet, lehnen Grüne und Linke das Gerät ab.
## 300 Geräte
Nun aber hat Innensenatorin Iris Spranger (SPD) einfach Fakten geschaffen
und der Polizei die Zusage für die Beschaffung von 300 Geräten gegeben –
ohne die Evaluierung abzuwarten, ohne die Koalitionspartner zu informieren
oder mit ihnen über die Finanzierung zu sprechen. Gefragt zum Grund für das
Vorgehen, teilt die Innenverwaltung lapidar mit: „Grundsätzliche
Zielsetzung ist die Einführung des Distanzimpulsgeräts im täglichen Dienst
der Polizei Berlin.“
Die Finanzierung der neu anzuschaffenden Geräte erfolge „gemäß
Neupriorisierung im Rahmen der Haushaltswirtschaft“. Als würde Spranger
nicht bereits Fakten schaffen, hält sie an einer „Evaluation des
Probelaufes“ fest. Der Abschlussbericht der Polizei werde der
Innenverwaltung vorgelegt.
In einer kaum beachteten [4][Mitteilung] von Ende September nannte die
Gewerkschaft der Polizei (GdP) die geplante Anschaffung einen „wichtigen
Meilenstein für die flächendeckende Einführung“ des Tasers. Die GdP
bedankte sich bei der edlen Spenderin Spranger, „die hier trotz des
durchaus spürbaren Konflikts zwischen den drei Koalitionspartnern ein
klares Signal aussendet“.
Der Zusage Sprangers vorausgegangen war ein wütender offener Brief des für
den derzeitigen Probelauf zuständigen Personalrats der Direktion 5. Darin
wird der Taser als lebensrettendes Gerät beschrieben: 43-mal sei er in der
Testphase zur Anwendung gekommen, meist als Drohung, nur fünf Mal
tatsächlich. Verhindert worden sei dadurch jeweils der
Schusswaffengebrauch. Ergo: „Der Taser rettet Leben.“ Der Brief war eine
Reaktion auf die förmliche Mitteilung von Sprangers Staatssekretär Torsten
Akmann im August, in der er darüber informierte, dass der Probelauf wie
geplant am 31. Dezember beendet werde.
## Koalitionspartner düpiert
[5][Spranger hatte daraufhin öffentlich verkündet], den Taser beibehalten
zu wollen, und gesagt: „Wie Taser eingesetzt werden, werden wir nach der
Evaluierung des Modellprojekts entscheiden. Dafür werde ich mir die
Ergebnisse der Evaluierung genau ansehen.“ Doch anscheinend konnte es ihr
nun nicht schnell genug gehen: Wenige Wochen nach dem offenen Brief stand
ihre Zusage an die Polizei zur Beschaffung einer Vielzahl neuer Geräte. Mit
dem Schritt düpiert die Innensenatorin ihren eigenen Staatssekretär – und
die Koalition.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Vasili Franco, kritisiert: „Die
Ausweitung des Taser-Einsatzes kommt überraschend und entbehrt jeder
faktischen Grundlage.“ Er spricht von „eigenmächtigem“ Handeln und einem
„Aktionismus, der die Risiken des Einsatzes völlig ignoriert“. Außerdem
wirft er Spranger vor, den Haushaltsgesetzgeber zu ignorieren. Das sei
„inakzeptabel“, so Franco. Die Koalition hat keine Mittel für die
Anschaffung bereitgestellt. Die Anschaffung würde die Senatorin über
Umschichtungen ihres Etats finanzieren. Nur wenn die Kosten einen
bestimmten Schwellenwert überschreiten, müsste der Hauptausschuss des
Abgeordnetenhauses zustimmen.
Sollten Taser in dieser Größenordnung eingeführt werden, bräuchte es dafür
eine Gesetzesgrundlage, sagt der innenpolitische Sprecher der Linken,
Niklas Schrader. Bislang fehlt diese, mit der Folge, dass Taser
Schusswaffen gleichgestellt sind. Befürworter:innen der
Elektroschockpistole wollen sie deshalb als milderes Mittel im Waffengesetz
festschreiben lassen. Schrader aber stellt sich dagegen: „Das werden wir
nicht machen.“ Auch einer geplanten Beratung über die Evaluation im
Innenausschuss werde er unter diesen Umständen nicht zustimmen.
In Sprangers Vorgehen erkennt Schrader ein Muster. Sie habe auch schon die
[6][Polizeiwache am Kotti] gegen alle Bedenken durchgezogen oder sich
entgegen anderen Absprachen im Koalitionsvertrag für den flächendeckenden
Einsatz von Bodycams ausgesprochen. „Es entsteht der Eindruck, dass sie auf
Zuruf und im Schlagzeilenmodus handelt“, so Schrader.
22 Nov 2022
## LINKS
[1] /Rassismusstudie-ueber-die-Polizei-Berlin/!5886548
[2] /Gewalt-durch-Beamte-in-Dortmund/!5889625
[3] /Ausruestung-der-Berliner-Polizei/!5822007
[4] https://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/id/de_deine-gdp-informiert-zum-sachstand-…
[5] https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitteilungen/2022/pressemitt…
[6] /Polizeiwache-am-Kottbusser-Tor/!5878589
## AUTOREN
Erik Peter
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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