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# taz.de -- Ursprünge des HipHop: Die drei Säulen des HipHop
> Wovon Kanye West keine Ahnung hat: Wild Style und die frühe New Yorker
> Graffiti-Szene in den Fotografien Martha Coopers.
Bild: DEZ an einem Zug in Harlem 1982
Tanzende Buchstaben stiften Orientierung in unsicheren Zeiten. Sie
markieren Präsenz, weisen einen Weg durch den Großstadtdschungel und gelten
als eine von drei eng miteinander verbundenen Säulen: HipHop-Kultur besteht
aus Rappen, Breakdance und Graffiti. Durchaus drastisch aber weitgehend
friedlich in ihrem Wettbewerbscharakter waren die drei Zweige zunächst
gleichbedeutend: sich sprechend, tanzend und schreibend fortbewegen, im
Zusammenhang mit afroamerikanischen Musikkulturen.
Die Ursprünge dieser Story liegen im [1][New York] der mittleren 1970er
Jahre. Sein ökonomisch bedingtes Elend bildet zwangsläufig den Freiraum,
auf dem HipHop als „Wild Style“ (so der Titel eines frühen Films von
Charlie Ahearn über die entstehende Szene) den Humus dieser Jugendkultur
bildet.
## Rappen, Breakdance und HipHop
Aus Oldschool-HipHop spricht überlebensgroße Vitalität bei gleichzeitig
spielerischer Aneignung von Musik. Je akrobatischer die Bewegung an den
Plattentellern, auf Tanzflächen und je absurder die Mitteilungen an den
Wänden, desto existenzieller die Notwendigkeit als Gegenmittel zur
Entfremdung. Keine Subkulturszene hat die erodierende Infrastruktur des
industriellen Zeitalters besser zu eigenen Formen von Kommunikation
transformiert: Rappen, Breakdance und Graffiti.
Seither wurde HipHop zur weltumspannenden Jugendkultur, teils abgekoppelt
von ihren Wurzeln. Jedes Land hat eigene Stars etabliert, manche vergessen
trotz Erfolges nie, wo sie hergekommen sind. Unter der kommerziellen
Verwertung leidet der Community-Gedanke, der vor bald 40 Jahren die drei
Säulen in New York umrankte und heute oft aus den Erzählungen getilgt ist.
Soll nicht heißen, HipHop als vermarktbares Phänomen von Individuen sei
deshalb automatisch verdorben. Nur hat sich der Diskurs über Breakdance und
Graffiti längst so verselbstständigt, dass er inzwischen abseits von HipHop
geschildert wird. Obwohl Graffiti nicht mal anhaben konnte, dass darüber in
den 1980ern eine Weile in der Closed-Shop-Atmosphäre der bildenden Kunst
verhandelt wurde, es gehört – genau wie Breakdance – mehr zu HipHop als
manchen lieb ist.
Dass zwei gleichzeitig erschienene Bücher vergegenwärtigen, wie eng
verknüpft Rappen, Breakdance u n d Graffiti in New York einmal waren, ist
wichtig, in Zeiten von weltentfremdeten Superstars wie Kanye West, die ohne
Bezug zur Realität ständig in den Medien auftauchen.
## Martha Cooper
Man kann den Gemeinschaftscharakter von HipHop nicht oft genug betonen. Der
Band Spray Nation der US-Fotografin Martha Cooper veranschaulicht wie
beweglich Breakdance, Rap UND Graffiti in New York in den frühen 1980er
Jahren waren, wie zahlreich die Überschneidungen.
Das Design der von ihr abgebildeten Graffiti, Schriftarten,
Buchstabenkonturen, hinzugefügte Symbole und Figuren – diese teilweise von
Undergroundcomics inspiriert, steigern Unruhe, Schwindel, alltägliches
Nicht-Einverstanden-Sein. Die unersättliche kinetische Energie der Jugend
bricht sich in den Farbexplosionen und irren Meinungsäußerungen Bahn. Wer
sagt, dass die Synapsen immer exakt verschaltet sein müssen?
Auf einer Doppelseite, das Foto „Teenage Wasteland“, ein Piece von
„Nike&Loe“ von 1982, auf einen silbrigen U-Bahnzug gesprüht. Die Schrift in
Bordeauxrot mit blauen Wölkchen, Miniaturblitzen und einer umrandeten
Schraffur, die wie Stacheldraht wirkt. Im Hintergrund geraten Kabeltrommeln
ins Bild, der Ausleger eines Krans und typische US-amerikanische
Mietskasernen.
„Sprayer in New York sagen, sie betreiben Style Writing. Diese Bezeichnung
definiert akkurat den künstlerischen Akt, also das Taggen eines Worts in
bestimmter Form auf eine U-Bahn, oder an eine Häuserwand.
Betrachter:Innen erkennen die charakteristischen Schriftzüge sofort
wieder,“ erklärt Martha Cooper der taz.
Die heute 79-Jährige ist eine Legende. Nicht nur, weil sie als resolute
Frau als Erste den zumeist männlichen Jugendlichen gefolgt ist. Eher
zufällig geriet die preisgekrönte Fotoreporterin der Zeitung New York Post
1979 ans Thema. Weil Kolleg:innen nur den Vandalismus von Graffiti sahen
und darüber ausschließlich aus Polizeiperspektive berichteten, entschied
sie sich, die andere Seite zu recherchieren.
## Professionelle Distanz
„Ich war älter als die Sprayer und hielt zu ihnen professionelle Distanz.
Um besser zu verstehen, was den Reiz von Graffiti ausmacht, bin ich ihnen
nachts über Zäune in die U-Bahn-Depots gefolgt. Ohne die Informationen, die
mir Writer wie Dondi aus Brooklyn gegeben haben, hätte ich weder Zugang zur
Szene gefunden, noch ihr Tun einordnen können.“
Coopers erster Fotoband, „Subway Art“ (zusammen mit Henry Chalfant,
erschienen 1984), gilt heute als Referenzwerk und Stilfibel der frühen New
Yorker Graffitiszene. Weil in ihrem Archiv tausende, ungesichtete Negative
lagern, hat man Cooper nun überredet, einige für „Spray Nation“
freizugeben.
Ein Segen, denn die beeindruckende Auswahl aus Graffiti-, Breakdance- und
Personenporträts unterstreicht, wie eine Jugendkultur, weitgehend
schriftlos und entrechtet, über das Do-It-Yourself allmählich zu sich
selbst gefunden hat und ihr Alien-Dasein feierlich illuminiert. Einer der
von Cooper Porträtierten ist der Rapper und Sprayer Rammellzee (1960–2010),
von dem es so gut wie keine Fotos ohne Maske gibt.
## Der Sprayer Rammellzee
Schon sein Alias RAMM:ELL:ZEE ist ein komprimiertes Kunstwerk:
Zusammengezogen aus Ramm-Elevation-Z, wobei das Z als Symbol für Energie
steht, die in zwei Richtungen strömt, und das E dem griechischen Buchstaben
Sigma nachempfunden ist. Rammellzees Track „BeatBop“, erschienen 1981
zusammen mit K-Rob, gehört zu den Signaturtracks des frühen Rap, eine
Wortkaskade mit Zickzackbeat.
Rammellzees rites de passage wird neben weiteren, nachdrücklich empfohlenen
Essays im Sammelband „Boogie Down Predictions“, herausgegeben von Roy
Christopher, aufgezeichnet. Auch wenn Themen der jüngeren Rap-Vergangenheit
im Fokus liegen, sie sind darin immer erhellend dargestellt, so dass
aktuelle Bedeutungen und Ableitungen sofort ersichtlich werden. Auch in
„The Cult of the RAMM:ELL:ZEE. A Hagiography of Chaos“ von Joël Vacheron.
Der Schweizer schreibt über Rammellzee, er habe „in einer symbiotischen
Feedback-Endlosschleife im Bewusstseinsstrom freestyle gerappt, als direkte
Reaktion auf den Breakdance, der vor ihm stattfand“.
Dadurch habe Rammellzee den entfesselten Tanzstil wieder zurückgeworfen ins
Publikum, um ihn erneut zu beschwören. Buchstaben bekommen bei ihm Flügel,
können fliegen und verschwinden so aus Buch- und Zeitungsseiten, um auf dem
Fahrersitz eines Pkws zu landen. Daneben sitzen die drei Säulen von HipHop:
Rappen, Breakdance + Graffiti.
13 Nov 2022
## LINKS
[1] /Buch-ueber-den-Wu-Tang-Clan/!5847240
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Buch
HipHop
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