# taz.de -- Katarina Barley über 200-Milliarden-Paket: „Keine militaristisch… | |
> Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments sieht Deutschland nicht als | |
> militärische Führungsmacht. Das 200-Milliarden-Paket verteidigt sie gegen | |
> Kritik. | |
Bild: Olaf Scholz besucht die Bundeswehr in Bergen am 17. Oktober 2022 | |
taz: Frau Barley, Deutschland will mit [1][200 Milliarden Euro die | |
Gaspreise] für Verbraucher:innen und Unternehmen subventionieren. | |
[2][In der EU hat das für Empörung gesorgt]: Das reiche Deutschland | |
verzerre damit den Markt. Sind wir zu egoistisch? | |
Katarina Barley: Diese Kritik ist ein bisschen befremdlich. Und die | |
Niederlande haben Deutschland da auch verteidigt. Denn 200 Milliarden sind | |
für ein Land unserer Größe und Wirtschaftskraft und zudem für einen | |
Zeitraum von mehr als zwei Jahren etwa 2 Prozent des | |
Bruttoinlandsproduktes. Das haben auch Frankreich und Spanien in die Hand | |
genommen. Die haben aber die Maßnahmen in den Vordergrund gestellt, | |
Deutschland die Summe. | |
Also ungeschickt kommuniziert? | |
Nein, die 200 Milliarden so zu benennen, zielte auf das heimische Publikum. | |
Es ist verständlich, wenn nationale Regierungen sich um ihre Bürger und | |
Bürgerinnen kümmern und auch versuchen, eine europäische Einigung zu | |
finden. | |
Es gibt einen Vorschlag von 15 EU-Ländern für einen EU-weiten | |
Gaspreisdeckel – Deutschland sagt nein. Warum? | |
Das stimmt so nicht. Deutschland sagt nicht generell nein, sondern: Das | |
darf zu keiner Gasknappheit führen. Dann hätten wir mit Zitronen gehandelt. | |
Problematisch ist, dass Frankreich einen Preisdeckel für Gas ohne | |
Konditionen eingeführt hat und damit keine Sparanreize setzt. Das ist nicht | |
solidarisch. | |
Die deutsche Gaspreisbremse ist besser? | |
Es gibt ja bisher nur den Vorschlag der Expertenkommission. Man muss | |
abwarten, was daraus für ein Gesetz wird. Aber die Idee, eine Basismenge zu | |
subventionieren, ist richtig, weil sie Entlastung und Preisanreiz zum | |
Sparen verbindet. | |
Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte beim [3][informellen europäischen | |
Ratstreffen in Prag], die Wogen wegen der 200 Milliarden zu glätten. Ist | |
damit wieder Ruhe eingekehrt – auch bei Hauptkritiker Polen? | |
In Polen ist es ja Regierungslinie, dass alles, was Deutschland tut, des | |
Teufels ist. Von der polnischen Regierung haben wir kein Lob zu erwarten. | |
Aber ich hatte das Gefühl, alle, die guten Willens sind, haben die deutsche | |
Position nun besser verstanden. | |
Kommt der EU-Gaspreisdeckel trotz deutscher Skepsis? | |
Das kann ich nicht vorhersagen. Ich sitze nicht im EU-Rat. Aber ich glaube, | |
wir werden beides, nationale und gemeinsame Maßnahmen, bekommen. Scholz hat | |
in Prag angestoßen, sich als Gaskäufer nicht nur europäisch | |
zusammenzuschließen, sondern auch die G7 miteinzubeziehen. Das ist ein Weg, | |
um die extremen Preise, die auch Länder wie Norwegen und andere derzeit | |
verlangen, zu senken. | |
In anderen EU-Ländern ging es [4][viel schneller mit einem Gaspreisdeckel]. | |
Wenn Sie Frankreich meinen, ja. Aber dort hat die EDF, Électricité de | |
France, ein Monopol. Frankreich schützt über die EDF seine Märkte und | |
verhindert auch, dass Gas per Pipeline aus Spanien in den Rest der EU | |
kommt. Für die schnelle Reaktion hat die EDF viel Lob bekommen – aber | |
europäisch handelt Frankreich nicht. | |
Fällt die EU auseinander, wenn es nicht gelingt, eine europäische Lösung | |
beim Gas zu finden? | |
Nein. Dann wird jedes Land allein eine Lösung finden. Osteuropa hat auch | |
Probleme mit dem Gas, nicht nur Deutschland. In Polen kam 2020 noch fast | |
die Hälfte des Gases aus Russland. Das wird oft vergessen, wenn die | |
polnische Regierung über Berlin schimpft. | |
[5][Ungarn bezieht weiterhin Gas] von Putin. | |
Ja, und Viktor Orbán wird seinem Freund Wladimir Putin den Gefallen tun, in | |
der EU dafür zu werben: Nehmt doch auch wieder russisches Gas. | |
Wird er damit Erfolg haben? | |
Es ist zumindest eine Gefahr. Putin will die EU spalten. Und Orbán und die | |
AfD helfen ihm dabei. Bei den Sanktionen gegen Russland ist Orbán zwar | |
völlig isoliert in der EU. Aber was das Gas angeht, schon weniger. Es gibt | |
Länder wie Bulgarien, Rumänien und auch die Slowakei, die sehr abhängig von | |
russischem Gas sind. Deshalb ist es so wichtig, dass die EU beim Gaspreis | |
und auch bei der Beschaffung gemeinsam vorgeht. | |
Was hilft denn gegen den Autokraten Orbán? | |
Er versteht nur ein Druckmittel: Geld. Die EU-Kommission will Ungarn einen | |
Teil der Fördergelder sperren, weil Orbán nicht gegen Korruption vorgeht | |
und Rechtsstaatlichkeit missachtet. | |
Reicht das? | |
Diesen Rechtsstaatsmechanismus hätte die EU schon 2021 gegen Ungarn | |
anwenden können. Auf dem Verordnungsweg, also unmittelbar. Doch dann hat | |
die Kommission diesen Mechanismus ohne Not verlangsamt – und ernsthaft bis | |
zum Tag nach der Wahl in Ungarn gewartet. | |
Warum? | |
Wenn ich das so genau wüsste. Orbán ist nicht so isoliert, wie es nötig | |
wäre. Seine Partei Fidesz war zehn Jahre lang Mitglied der EVP-Fraktion. | |
Die CSU hat Viktor Orbán lange jedes Jahr als Ehrengast empfangen. | |
Wie gefährlich ist der [6][Sieg der Rechten in Italien] für die EU? | |
Wenn Giorgia Meloni Italien als Ministerpräsidentin führt, wird sie Orbán | |
unterstützen. Auch wenn unklar ist, ob Meloni in der EU | |
Fundamentalopposition machen wird oder nicht – das verändert die | |
Machtverhältnisse in der EU. | |
Verändert der Ukraine-Krieg auch die deutsche Rolle in der EU? SPD-Chef | |
Lars Klingbeil hat gefordert, dass Deutschland eine Führungsrolle spielen | |
muss. Wie findet man das in der EU? | |
Das ist widersprüchlich. Aus Osteuropa hört man oft: Legt euren | |
Minderwertigkeitskomplex und das Schuldbewusstsein gegenüber Russland | |
endlich ab. Ein litauischer Kollege sagte mir kürzlich: Germany has to act | |
according to its size. Deutschland muss entsprechend seiner Größe handeln. | |
Wie finden Sie das? | |
Ich habe ihm geantwortet: Überlegen Sie sich das genau. Sie werden es nicht | |
immer gut finden, wenn Deutschland sich in der EU so verhält, wie es seine | |
Größe zulässt. | |
Der Bundeskanzler fordert, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU zu | |
beseitigen, damit die EU handlungsfähiger wird. Und er will mehr Stimmen | |
für Deutschland im EU-Parlament. Ein richtiger Schritt oder mobilisieren | |
solche forschen Reden in der EU Gegenkräfte? | |
Ich finde es hilfreich, dass Olaf Scholz sich dem Thema Reform der EU | |
gewidmet hat. Emmanuel Macron hat das auch getan. Und bei der Reform der EU | |
steht die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips zu Recht ganz oben auf | |
der Agenda. | |
Das aber kann nur einstimmig abgeschafft werden. Weil kleinere Länder sich | |
sperren, wird es nicht passieren. | |
Ja, und deshalb versuchen wir, dieses Prinzip für einzelne Bereiche wie | |
Steuern und Außenpolitik aufzuheben. Ich hoffe sehr, dass es uns in diesen | |
beiden Bereichen gelingt. | |
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat gesagt, Deutschland sei in | |
der EU jetzt eine militärische Führungsmacht. Einverstanden? | |
Deutschland ist keine militärische Führungsmacht und sollte das auch nicht | |
werden. Es gibt keine militaristische Zeitenwende. | |
Lambrecht sieht das anders. | |
Ich kenne den Zusammenhang dieser Aussage nicht. Aber die Bundeswehr ist | |
verglichen mit der Bevölkerungszahl Deutschlands keine große Armee. | |
Deutschlands Stärken sind Diplomatie, Krisenprävention, soft power. Da | |
müssen wir eine Führungsrolle spielen, nicht beim Militär. Ich glaube: | |
Germany has to act according to its history. Deutschland muss gemäß seiner | |
Geschichte handeln. Und hoffe, dass dies so bleiben wird. | |
17 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Stefan Reinecke | |
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