# taz.de -- Caritas-Präsidentin über Energiekrise: „Niemand soll im Regen s… | |
> Eva Maria Welskop-Deffaa sitzt als einzige Vertreterin der | |
> Wohlfahrtspflege in der Gaspreisdeckel-Kommission. Die soll nun ein | |
> Konzept vorlegen. | |
Bild: Krise hin, Krise her: Die Wäsche in den Heimen muss gewaschen werden | |
taz am wochenende: Frau Welskop-Deffaa, Sie sitzen als Präsidentin der | |
Caritas in der Expertenkommission Gas und Wärme, die nach diesem Wochenende | |
einen Vorschlag zum Gaspreisdeckel vorlegen soll. Ganz schön sportlich | |
oder? | |
Eva Maria Welskop-Deffaa: Erst einmal bin ich froh, dass die | |
Bundesregierung jetzt mit so einem klaren Signal kommt: 200 Milliarden – | |
da hat man auch als einfacher Bürger das Gefühl, damit kann etwas getan | |
werden. Eigentlich sollten wir mit der Kommission bis Ende Oktober einen | |
Vorschlag ausarbeiten. Nun muss es deutlich schneller gehen, aber der Druck | |
ist auch enorm hoch. | |
Der gesellschaftliche Druck? | |
In dieser Energiekrise und Kriegssituation brauchen wir Solidarität. Wenn | |
ich mit Kolleginnen und Kollegen spreche, dann höre ich, dass diese | |
Solidarität in Gefahr ist. Ich war vor Kurzem in Dresden und habe gehört, | |
wie stark die Ablehnung der Sanktionspolitik gegen Putin dort ist. Weil | |
die Leute sagen, wir müssen unsere Gasrechnung bezahlen können. Angst vor | |
steigenden Energiepreisen kann Menschen veranlassen, die politische | |
Grundlinie der Bundesregierung zu verlassen und empfänglich zu werden für | |
radikale Parteien. | |
Was ist Ihre Rolle als Wohlfahrtsverband in dieser Situation? | |
Wir haben eine hohe Verantwortung, einerseits die realen Gefahren zu | |
benennen und zu sagen: Leute, da braucht es jetzt schnelle Lösungen. Aber | |
auch unsererseits nicht dazu beizutragen, die Situation noch weiter zu | |
dramatisieren, weil das ja tatsächlich politisch sehr schnell ausgenutzt | |
wird. | |
Wie kann diese schnelle Lösung für den Gaspreisdeckel jetzt aussehen? | |
Ich kann natürlich dem Ergebnis der [1][Kommission] nicht vorweggreifen. | |
Aber ich kann sagen, dass es im Detail ganz schön schwierig ist, eine | |
solidarische Lösung für einen Gaspreisdeckel zu finden. Da sind erst einmal | |
die naheliegenden Fragen: Für welchen Teil des Verbrauchs wird der Preis | |
subventioniert, also künstlich niedrig gehalten? Wie hoch wird dieser Preis | |
sein? Für wie lange? Auch deswegen hat man die Expertenkommission | |
eingerichtet, damit man sich nicht zu sehr verschätzt. Es erzeugt | |
politische und gesellschaftliche Verwerfungen, wenn da gleich wieder | |
nachgesteuert werden müsste. | |
Die Frage ist auch, für wen genau der Gaspreisdeckel gilt. | |
Sehr richtig. Die Formulierung ist im Moment, dass die Belastungen für | |
Haushalte und Unternehmen abgefedert werden sollen. Aber was ist mit | |
Menschen, die nicht in Haushalten, sondern in Einrichtungen leben? Es ist | |
jetzt eine Summe von 200 Milliarden Euro im Raum, die verteilt wird. Da | |
darf am Ende niemand im Regen stehen. Erst recht nicht die Menschen, die in | |
Einrichtungen der Altenhilfe, der Eingliederungshilfe oder der Kinder- und | |
Jugendhilfe leben. | |
Müsste man die sozialen Einrichtungen nicht ohnehin gesondert betrachten | |
und finanzieren? | |
Alles, was zusätzliche Bürokratie schafft, führt dazu, dass die Auszahlung | |
sich verzögert, dass der Aufbau der bürokratischen Strukturen zu lange | |
dauert und zu viel Geld verschlingt. Deshalb bin ich dafür, möglichst | |
geübte Strukturen zu verwenden. Ein Problem ist, dass einige schnell | |
umsetzbare Vorschläge zur Entlastung von Unternehmen an deren Größe | |
anknüpfen. In der Wohlfahrtspflege werden die Kriterien dafür ganz schnell | |
überschritten. Ein Träger kann fünf Kitas und ein Krankenhaus haben – klar | |
sind das mehr als 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Solange nicht | |
geklärt ist, dass die Kriterien hier großzügig ausgelegt werden, bleibt die | |
Nervosität in den Einrichtungen groß. | |
Sie sind die einzige Vertreterin eines Sozialverbandes in der Kommission. | |
Wie groß sind die Chancen, Ihre Belange neben Wirtschaft und Wissenschaft | |
überhaupt durchzusetzen? | |
Der Mieterbund und die Gewerkschaften sind in der Kommission auch an Bord | |
und verschiedene Wissenschaftlerinnen sehe ich durchaus als Anwältinnen | |
sozialer Belange. Die eigentliche Herausforderung besteht in der engen | |
Frist und der gleichzeitig hohen Komplexität. Energiepolitik muss als | |
europäische Politik gedacht werden. Wir werden für die Rentnerin in | |
Deutschland keine Versorgungssicherheit zu fairen Bedingungen gewährleisten | |
können, wenn wir nicht auch den ungelernten Arbeiter in Polen im Blick | |
haben. | |
Ihr Kollege von der Diakonie sprach von Hilferufen, die ihn täglich aus den | |
Einrichtungen erreichen. Geht es Ihnen auch so? | |
Ich bin im Moment viel unterwegs, wir haben gerade sehr viele Jubiläen bei | |
der Caritas. Sobald die Festtagsreden vorbei sind, drehen sich 80 Prozent | |
der Gespräche um die Energiepreise. Es gibt da meiner Ansicht nach keine | |
grundsätzliche Befürchtung, dass der Staat die erhöhten Kosten der sozialen | |
Dienstleistungen am Ende nicht abfedern wird. Die große Angst ist, dass die | |
Preise schneller fällig werden, als die Verträge mit den Kostenträgern | |
angepasst werden können – und dass so die Einrichtungen in existentielle | |
Liquiditätsnöte kommen. | |
Weil die Finanzierung von sozialen Einrichtungen so kompliziert ist? | |
Das kann man so sagen. Es gibt je nach Einrichtung unterschiedliche | |
Kostenträger – die Kommune, die Kranken- und Rentenversicherung, die | |
Länder, der Bund, das Sozialamt, das Jugendamt … Nun sind nahezu alle | |
Preise höher als ursprünglich erwartet und ausgehandelt. Inflation und | |
Energiekrise betreffen ja nicht nur die Einrichtungen selbst, sondern auch | |
alle Zulieferer. Es gibt zum Beispiel kaum noch Wohneinrichtungen, die | |
selber waschen. Und wenn die Wäscherei mit ihren hohen Energiekosten nicht | |
ausreichend entlastet wird, dann geht sie in die Insolvenz. Das ist jetzt | |
anekdotisch, aber ich kenne Einrichtungsleiter, die sagen: Gut, dass ich | |
die alte Waschmaschine noch im Keller habe. | |
Im Ernstfall kann bei der Caritas doch die Kirche zuschießen, oder nicht? | |
Durchaus stecken in vielen sozialen Einrichtungen kirchliche Mittel. | |
Angesichts der rückläufigen Mitgliedszahlen werden die Kirchen aber prüfen, | |
ob und wo sie auch bei den Caritas-Einrichtungen sparen müssen. Ich freue | |
mich jedenfalls, dass die zusätzlichen Einnahmen der Kirchen aus der | |
Besteuerung der Energiepauschale ausschließlich sozialen Zwecken | |
zugutekommen werden. Da geht es um einen zweistelligen Millionenbetrag. | |
Wir müssen auch über das Sparen sprechen. Wenn alle 20 Prozent Heizkosten | |
einsparen müssen, weil es sonst schlicht nicht reicht, dann gilt das ja | |
auch für die Einrichtungen … | |
Wenn es ein besonders kalter Winter wird, ist die Diskrepanz zwischen | |
geübtem und Sparverbrauch vielleicht noch viel größer. In einer | |
Altenhilfeeinrichtung kann man den Begegnungsraum aber nicht einfach auf 16 | |
Grad runterkühlen. Nicht bei älteren Menschen, die ohnehin schneller | |
frieren. Das klingt banal, aber das ist es nicht. Es ist eine Frage der | |
Solidarität, wer wie viel einsparen kann. | |
Es ist auch eine Frage von Wissen. | |
Das stimmt. Wir bieten schon seit 15 Jahren in immer mehr Städten den | |
[2][„Stromspar-Check“] an. Das ist eine Peer-to-Peer-Beratung, bei der | |
Langzeiterwerbslose geschult werden zu Energieberatern und in die | |
Haushalte von Menschen in prekären Einkommenssituationen kommen. Das hat | |
wirklich dramatisch gute Effekte. In den Einrichtungen ist es komplexer, da | |
wurde uns jetzt ein Projekt genehmigt, mit dem wir für einzelne Standorte | |
eine systematische Begleitung auf dem Weg hin zur Klimaneutralität anbieten | |
können. | |
Das klingt nicht nach schnellen Einsparungen. Was passiert, wenn die | |
Energie wirklich knapp wird? | |
Dann wäre es vielleicht sinnvoller, man würde gezielt einige produzierende | |
Unternehmen für den Winter vom Netz nehmen. Das hat Minister Habeck schon | |
vorgeschlagen und dafür viel Prügel bekommen. Ich meine zu Unrecht. | |
Bereiten sich Ihre Einrichtungen auf den Ernstfall vor? Dass Heizungen | |
tatsächlich ausfallen könnten? | |
Unsere Leute vor Ort, das sind schon krisenfeste Anpacker, die, ich hab es | |
schon erwähnt, im Zweifel noch die alte Waschmaschine im Keller haben. Und | |
wenn Sie bei den Maltesern durch die Hallen gehen, da merken Sie, da ist | |
ein breites Wissen da, wie man sich für Krisen ausrüstet. Aber insgesamt | |
sind wir in Deutschland nicht gut vorbereitet für Versorgungskrisen. | |
Können wir uns da von der Katastrophenhilfe in anderen Regionen der Welt | |
etwas abschauen? | |
Wir wissen aus Katastrophengebieten, wie wichtig es ist, dass auch bei | |
strenger Rationierung die Menschen noch einen Spielraum haben, indem sie | |
zum Beispiel zugeteilte Lebensmittel tauschen können, weil der eine lieber | |
Reis und der andere lieber Nudeln mag. | |
Inwiefern lässt sich das auf die Gasrationierung in Deutschland übertragen? | |
Es wäre zum Beispiel denkbar, dass Menschen, die den subventionierten | |
Grundbedarf nicht verbrauchen, diesen spenden können oder einen Bonus dafür | |
kriegen. Das wäre ein zusätzlicher Anreiz zu sparen und man behält das | |
Gefühl, selbst noch gestalten zu können. Dann fühlt sich Rationierung | |
weniger schlimm an und das ist wichtig für die Akzeptanz. | |
8 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Energiepreisbremse-der-Bundesregierung/!5882806 | |
[2] https://www.stromspar-check.de/ | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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