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# taz.de -- Scholz bei der UN-Generalversammlung: Ein Hamburger in New York
> Kanzler Scholz verurteilt den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine
> aufs Schärfste. Bei den Ländern des Globalen Südens wirbt er um
> Vertrauen.
Bild: Große Bühne für den Hamburger Scholz: Erste Rede vor der UN-Vollversam…
New York taz | Es ist der Tagesordnungspunkt in dem vollgepackten Programm,
auf den sich Olaf Scholz ausdrücklich gefreut hat: Gemeinsam mit dem
Schriftsteller Daniel Kehlmann, der ihn schon im Januar in seine
Interimsheimat New York eingeladen hat, sucht der Bundeskanzler am Dienstag
den Bryant Park auf und isst an einem Kiosk einen – na klar – Hamburger.
„Er scheint ein einfacher Mann zu sein, sitzt hier einfach so, andere
würden in ein fancy Restaurant gehen, gefällt mir“, sagt ein Mann, der sich
über die bulligen Sicherheitsleute wundert. Zwischen den hunderten New
Yorker:innen, die an dem schattigen Plätzchen unter Platanen ihre
Mittagspause verbringen fällt er, der Mann im weißen Hemd, kaum auf.
Erkannt wird Scholz nur von einem deutschen Touristen.
Er spricht ja auch das erste Mal als Bundeskanzler vor der
UN-Generalversammlung. Und überhaupt: Er ist das erste Mal in New York. Vor
dem United Nations Building, einem Wolkenkratzer mit dem Charme eines
Plattenbaus in Berlin-Marzahn, wehen die Flaggen der 193 Mitgliedsländer.
Man befindet sich auf internationalem Boden und so ist auch das Flair:
Zwischen Anzugträgern tauchen Frauen in wallenden Kleidern und Männer in
weißen Kaftanen auf, die Schönen und die Schurken, die Potentaten und
Demokraten treffen auf der United Nations Plaza aufeinander.
Zum 77. Mal treffen sich die Staatenlenker:innen der Welt und zum
ersten Mal seit der Corona-Pandemie wieder in Präsenz. Deutschland ist der
zweitgrößte Geldgeber der UN und die Rufe, sich gemäß seiner
Wirtschaftsgröße als politische, aber auch als militärische Führungsmacht
zu engagieren, mehren sich. Noch einmal mehr seit dem [1][russischen
Angriff auf die Ukraine].
## Kein Premium-Slot für Scholz
Scholz’ Auftritt auf der Weltbühne ist für den Dienstagabend gegen acht Uhr
angesetzt – in Deutschland ist es tiefe Nacht. Kein Premium-Slot, aber
dieses Schicksal teilt er mit Italiens Premierminister Mario Draghi, der
als letzter an diesem langen Tag an der Reihe ist. Die Generalversammlung
wirkt um diese Zeit wie der Bundestag gegen Mitternacht: Spärlich besetzte
Plätze, müde Diplomat:innen, die die Stellung halten. Immerhin: Die Grüne
Außenministerin Annalena Baerbock kommt um 20:23 als Verstärkung in die
Versammlungshalle und setzt sich auf die deutsche Bank.
Scholz kann erst mit einstündiger Verspätung, um 20.30 Uhr, ans Pult unter
dem UN-Logo treten. Er nutzt die Weltbühne, um die im Bundestag ausgerufene
Zeitenwende international auszubuchstabieren. Wie schon zahlreiche
Vorredner:innen verurteilt er Russlands Krieg: „Das ist blanker
Imperialismus“ – und wirbt abermals für [2][Solidarität mit der Ukraine].
„Wir stehen fest an der Seite des Angegriffenen!“
Es klingt wie eine Beschwörung. Im Frühjahr gleich nach dem russischen
Einmarsch haben 141 Staaten bei einer außerordentlichen Generalversammlung
den russischen Angriffskrieg verurteilt. Doch 35 Länder, darunter die
bevölkerungsreichsten, nämlich China und Indien, haben sich enthalten, vier
und Russland sogar dagegen gestimmt. Und die Sanktionen trägt kaum ein Land
des Globalen Südens mit. Dort herrscht die Auffassung: Das ist euer
Konflikt. Löst ihn.
Denn die Kriegsfolgen bekommen die Schwellen- und Entwicklungsländer
dennoch zu spüren: [3][Steigende Energiepreise, überteuerte Lebensmittel.]
Und die russische Erzählung, der Westen mit seinen Sanktionen sei schuld
daran, verfängt. Es ist auch ein Krieg der Narrative. Scholz geht in New
York rhetorisch in die Offensive: „Nicht ein Sack Getreide wurde aufgrund
dieser Sanktionen zurückgehalten.“ Russland allein habe die ukrainischen
Getreideschiffe am Auslaufen gehindert.
## Deutschland nicht nur als Geber in der Welt
Doch der Kanzler weiß auch: Mit warmen Worten lassen sich die Länder des
Südens nicht abspeisen, es geht darum Vertrauen zurück zu gewinnen. Am
Nachmittag – noch bevor er in der Generalversammlung spricht – hält der
Kanzler seine erste Rede. Auf Englisch. Der Vorsitzende der Afrikanischen
Union, der senegalesische Präsident Macky Sall, hat einen Gipfel zur
Ernährungssicherheit einberufen.
Scholz erinnert bei dieser Gelegenheit daran, dass er als amtierender
G7-Präsident das Thema Ernährungssicherheit ganz oben auf die Agenda
gesetzt hat, dass Deutschland seinen Beitrag zur Ernährungssicherheit
verdoppelt hat und in diesem Jahr 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellt.
Das ist nicht selbstverständlich. Noch im Frühsommer sah es so aus, als ob
der deutsche Etat für Entwicklungshilfe in den Haushaltsverhandlungen
gekürzt würde. Dennoch: Bei laut Welthungerhilfe über 820 Millionen
Menschen, die weltweit hungern, reicht das bei weitem nicht aus. Und
UN-Generalsekretär António Guterres beziffert die Finanzierungslücke für
die humanitären Aufgaben der UN auf 32 Milliarden Dollar. So viel wie nie
zuvor.
Doch klar ist: Die Ukraine-Krise und der damit einhergehende Mangel an
Getreide und Düngemitteln haben die weltweiten Hungersnöte nur verschärft,
die Zahl der Hungernden steigt bereits seit mehreren Jahren. Der
entscheidende Treiber dafür ist der Klimawandel, mit Dürreperiode,
Hitzewellen und Überflutungen.
Als er die Versammlung am Dienstagmorgen um 9 Uhr eröffnete – vor vollen
Sitzreihen und wachen Zuhörer:innen – [4][benannte UN-Generalsekretär
Guterres die Klimakrise] als das bestimmende Problem unserer Zeit. Und als
Fallbeispiel moralischer und ökonomischer Ungleichheit. Denn die
G20-Staaten der reichsten Industrie- und Schwellenländer emittierten 80
Prozent aller Treibhausgase, „während die ärmsten Länder, die am wenigsten
für die Krise können, die Auswirkungen am brutalsten spüren“, so Guterres.
## Appell an die Industrieländer Übergewinne zu besteuern
Der UN-Generalsekretär rief die Industrieländer dazu auf, die Übergewinne
der ärgsten Verschmutzer, namentlich die Mineralölkonzerne, aber auch die
dahinterstehenden Finanzinstitutionen, zu besteuern und dieses Geld an die
Länder und Menschen des Südens zu überweisen, um die Folgen des
Klimawandels abzufedern. Forderungen, die später am Abend fast wortgleich
die Präsidenten der Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik
wiederholen, die noch vor dem Bundeskanzler sprechen.
Der lehnt sich so weit dann doch nicht heraus. Aber er verspricht: „Wir
werden auch die Länder nicht allein lassen, die am stärksten mit Verlusten
und Schäden durch den Klimawandel zu kämpfen haben.“ Bis zur Klimakonferenz
in Ägypten wolle man einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken
entwickeln. Am Nachmittag des gleichen Tages hat Scholz auch afrikanische
Regierungschef:innen im deutschen Haus empfangen. Es wird ein längeres
Gespräch.
Scholz wirbt wohl auch um ihre Stimmen, als er in der Generalsversammlung
darum bittet, die Kandidatur Deutschlands um einen Sitz im Sicherheitsrat
zu unterstützen, zumindest als nichtständiges Mitglied. Im Jahr 2027/28.
Der Bundeskanzler denkt eben in langen Linien. Es ist aber auch der
Versuch, in einer multipolaren Welt, in der Mächte wie China und Russland
mit List und Gewalt ihre Einflussspären ausweiten wollen, neue Partner zu
gewinnen und neue Bündnisse zu schließen.
Mit Ländern, die mehr oder auch weniger demokratisch sind, aber zumindet
nicht danach trachten, ihre Nachbarn zu überfallen. Scholz schwebt eine
multipolare Welt vor, die auch eine multilaterale Welt ist. Eine Welt, in
der die Regeln gelten, die sich alle gegeben haben und an die sich alle
halten. So wie es die UN-Charta vorsieht. So einfach. Und doch so
schwierig.
21 Sep 2022
## LINKS
[1] /Russland-beruft-Volksabstimmung-ein/!5883002
[2] /SPD-Aussenexperte-ueber-Waffenlieferungen/!5882055
[3] /G7-Treffen-auf-Schloss-Elmau/!5861001
[4] /UN-Generaldebatte-eroeffnet/!5882996
## AUTOREN
Anna Lehmann
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