# taz.de -- UN-Generalversammlung in New York: Zwei Welten | |
> Krisen im globalen Süden wurden in New York nur am Rande erwähnt. Die | |
> Abschaffung des Vetos der ständigen Mitglieder wird gefordert. | |
Bild: Der senegalesische Präsident Macky Sall bei seiner Rede am Dienstag | |
BERLIN taz | Wer den ersten 35 RednerInnen bei der am Dienstag eröffneten | |
UNO-Generalversammlung in New York zuhörte, konnte meinen, die 33 Männer | |
und zwei Frauen lebten in verschiedenen Welten. Bei den [1][Auftritten von | |
Bundeskanzler Olaf Scholz] und anderer Regierungschefs aus den | |
Mitgliedsländern von NATO und EU sowie mit ihnen verbündeter Staaten wie | |
Japan oder der Schweiz war Putin-Russland Krieg gegen die Ukraine das | |
beherrschende Thema. | |
Andere aktuelle Kriege – etwa [2][im Jemen] oder in den vom NATO-Mitglied | |
Türkei bekämpften Kurdengebieten [3][in Syrien] und im [4][Irak] – kamen in | |
diesen Reden überhaupt nicht zur Sprache. Die vor allem den globalen Süden | |
betreffenden Krisen, Katastrophen und Bedrohungen wie Hunger, Klimawandel, | |
gestiegene Energiepreise, Umweltzerstörung und die Folgen der | |
Corona-Pandemie wurden- wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. | |
In den Reden des [5][senegalischen Präsidenten Macky Sall] – derzeit | |
Vorsitzender der Afrikanischen Union – und der anderen Regierungschefs aus | |
Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas war es hingegen genau umgekehrt. | |
Sie konzentrierten sich – ebenso wie UNO-Generalsekretär Antonio Guterres | |
in seiner Rede zur Eröffnung der Generalversammlung – auf die globalen | |
Krisen. Guterres kritisierte, daß zur Finanzierung dringender humanitärer | |
Maßnahmen der UNO in Krisenregionen des Südens derzeit „32 Milliarden | |
US-Dollar fehlen, soviel wie nie zuvor“. Zum Ukraine-Krieg erklärte der | |
UNO-Generalsekretär lediglich, dieser habe die globalen Krisen noch | |
zusätzlich verschärft. | |
## Doppelstandards und selektive Anwendung | |
Eine wesentliche Ursache der großen Diskrepanz bei der Wahrnehmung, | |
Benennung und Beurteilung internationaler Problemlagen ist, daß die Staaten | |
der „westlichen Wertegemeinschaft“ in den letzten 25 Jahren wegen ihrer | |
Doppelstandards und selektiven Anwendung der seit 1945 universell gültigen | |
Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen im „Rest der Welt“ erheblich an | |
Glaubwürdigkeit verloren haben. | |
Eine ganz wesentlich Rolle spielt dabei der von den USA und Großbritannien | |
geführte völkerrechtswidrige Irak- Krieg des Jahres 2003. In Folge dieses | |
Krieges und der nachfolgenden, ebenfalls völkerrechtswidrigen achtjährigen | |
Besatzung Iraks durch die USA verloren rund eine Million IrakerInnen ihr | |
Leben. Es ist unter den Mitgliedern der UNO-Generalversammlung nicht | |
vergessen, daß die USA seinerzeit durch massiven Druck und Drohungen gegen | |
Südafrika und andere Staaten die Verabschiedung einer Resolution zur | |
Verurteilung dieses Krieges verhinderten. Wer – wie die US-Regierung – den | |
Irak- Krieg bis heute zu rechtfertigen versucht oder ihn – wie auch viele | |
Medien in Deutschland – lediglich als „Fehler“ bezeichnet, ist wenig | |
glaubwürdig, wenn er heute Putin-Rußlands Krieg gegen die Ukraine – völlig | |
zu Recht – als völkerrechtswidrig und verbrecherisch kritisiert. | |
Zu dem Glaubwürdigkeitsverlust haben auch die Drohungen der USA gegen den | |
Internationalen Strafgerichtshof beigetragen, um unliebsame Ermittlungen zu | |
mutmaßlichen Verbrechen von US-Soldaten in Afghanistan und anderswo zu | |
verhindern. Die fehlende Kritik oder gar offene Unterstützung der NATO für | |
die völkerrechtswidrige Kriegsführung ihres Mitglieds Türkei gegen die | |
Kurden wird ebenfalls wahrgenommen als selektive Anwendung von | |
völkerrechts-und menschenrechtlichen Normen. Dasselbe gilt seit Jahrzehnten | |
für das mangelnde Engagment der westlichen Staaten zur Umsetzung der | |
zahlreichen Resolutionen von UNO-Sicherheitsrat und Generalversammlung für | |
eine gerechte Friedenslösung im Konflikt Israel/Palästina. | |
In jüngster Zeit hat die anhaltende Weigerung der nördlichen | |
Industriestaaten, die bereits im September 2020 von über 100 UNO- Staaten | |
aus dem globalen Süden beantragte Aussetzung der [6][Patente für Corona- | |
Impfstoffe] zu ermöglichen, das Glaubwürdigkeitsdefizit weiter verstärkt. | |
Dasselbe gilt für die seit Jahren anhaltende Blockade der Verhandlungen im | |
UNO-Menschenrechtsrat in Genf über ein von den Ländern des Südens | |
angestrebtes Abkommen über völkerrechtlich verbindliche Menschenrechts-, | |
Umwelt- Umwelt- und Sozialnormen für transnationale Konzerne mit wirksamen | |
Überwachungs-, Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen. In beiden Fällen | |
ist Deutschland sowohl als nationaler Akteur wie auch als wirtschaftliche | |
Führungsmacht der EU wesentlich verantwortlich für die Blockaden. All dies | |
steht im Widerspruch zu den hehren – und richtigen – Bekenntnissen zu den | |
„weiterhin universell gültigen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen“, z… | |
Institution der UNO sowie zu einer „regelbasierten Weltordnung“, die | |
Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede vor der Generalversammlung | |
vorgetragen hat. | |
## Die Zusammensetzung des UNO- Sicherheitsrates ist obsolet | |
In einem Punkt herrscht unter den 193 Mitgliedern der UNO | |
Generalversammlungen ein Konsens zwischen fast allen westlichen Staaten | |
-mit Ausnahme der USA, Frankreichs und Großbritanniens- und sämtlichen | |
Ländern des Südens: die derzeitige, 1945 in der UNO-Charta festgelegte | |
Zusammensetzung des Sicherheitsrates wird als historisch überholt | |
kritisiert und seine Reform durch eine Erweiterung um zusätzliche | |
Mitglieder gefordert. Die allermeisten Staaten fordern die Abschaffung des | |
Vetos der fünf ständigen Mitglieder. Denn dieses das Veto – oder oft auch | |
nur schon seine Androhung – in den letzten 77 Jahren fast immer nur dazu | |
eingesetzt wurde, die Handlungsfähigkeit des Rates in den Fragen seiner | |
exklusiven Zuständigkeit für die Bewahrung/Wiederherstellung des Friedens | |
und der internationalen Sicherheit zu verhindern. Letztes Beispiel war das | |
Veto Russlands vom 24. Februar gegen die Resolution zur Verurteilung des am | |
selben Tag begonnenen Angriffskrieges gegen die Ukraine. | |
Die deutsche Bundesregierung hingegen strebt für Deutschland die ständige | |
Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mit Vetorecht an. Daß der | |
Regierungsvertreter eines UNO-Mitgliedslandes so wie Bundeskanzler Olaf | |
Scholz am Dienstag seinen Auftritt vor der Generalversammlung nutzt zur | |
Formulierung dieser Forderung, ist allerdings seit Beginn der Debatte um | |
eine Reform des Sicherheitsrates nach Ende des Kalten Krieges nur einmal | |
vorgekommen:im September 1993 preschte der damalige Bundesaußenminister | |
Klaus Kinkel (FDP) völlig überraschend und ohne Absprache mit Kanzler | |
Helmut Kohl mit dieser Forderung vor. Seitdem schürten sämtliche | |
Bundesregierungen die Illusion, daß diese Forderung in absehbarer Zeit | |
erfüllt würde. Kinkel sagte den Einzug Deutschlands als ständiges Mitglied | |
des Sicherheitsrates bereits zum 50. Gründungsjubiläum im Jahr 1995 voraus | |
und – als daraus nichts wurde – für das Jahr 2.000. | |
Die Länder des Südens, die völlig zu Recht eine stärkere Vertretung ihrer | |
Weltregionen Afrika, Asien und Lateinamerika im Sicherheitsrat fordern, | |
sind da viel realistischer. Sie wissen, daß eine Erweiterung des Rates | |
nicht nur am Widerstand der autokratisch regierten ständigen Mitglieder | |
Russland und China scheitert, sondern ebenso am Widerstand der drei | |
westlichen Demokratien USA, Frankreich und Großbritanniens. Denn alle fünf | |
fürchten gleichermaßen, bei einer Erweiterung an Macht und Einfluß zu | |
verlieren. | |
21 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
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