| # taz.de -- Profiteure der Globalisierung: Ungerechte Verteilung | |
| > Globale Verflechtungen führen zu billigeren Waren. Doch die süßesten | |
| > Früchte ernten die Reichen. Nachteile werden zu wenig berücksichtigt. | |
| Bild: Der Wettbewerb mit Niedriglohnländern hat Nachteile | |
| Die [1][Globalisierung] ist unter Druck: zwei Jahre Pandemie, | |
| Lieferkettenstörungen wie die Suezkanal-Blockade, [2][Russlands Krieg gegen | |
| die Ukraine] und, mit Blick auf die zunehmende Systemrivalität mit China, | |
| die Diskussion, wie viel wirtschaftliche Verflechtung und mit welchen | |
| Ländern überhaupt noch gut ist. Bei alldem sollten wir nicht vergessen, | |
| dass die Globalisierung den weltweiten Wohlstand erhöht und Millionen | |
| Menschen aus der Armut befreit hat. | |
| Allerdings sind mittlerweile auch zwei Dinge klar: Erstens, der | |
| Wohlstandsgewinn, den die Globalisierung mit sich bringt, kommt nicht allen | |
| gleichermaßen zugute; zweitens, ihre ökologischen und sozialen Folgen | |
| werden nicht angemessen berücksichtigt. Die Globalisierung, also die | |
| ökonomische, soziale und politische Verflechtung verschiedener Länder, | |
| bietet viele ökonomische Vorteile: Wenn Länder die Waren und | |
| Dienstleistungen herstellen, die sie am besten können, erzielen sie | |
| Spezialisierungsgewinne. | |
| Die internationale Mobilität von Arbeitskräften und Kapital lässt | |
| Produktionsfaktoren dort zum Einsatz kommen, wo sie am effizientesten sind. | |
| Mehr Wettbewerbsdruck fördert Innovationen und Produktivität in den | |
| Unternehmen, um sich international behaupten zu können. Produzieren sie für | |
| einen größeren Markt, können sie Größenvorteile nutzen und ihre Stückkost… | |
| senken. Günstige Vorprodukte aus Niedriglohnländern verringern in | |
| entwickelten Volkswirtschaften zusätzlich die Produktionskosten. | |
| Diese Faktoren führen zu einem Mehr an günstigen Waren und | |
| Dienstleistungen. Für die Verbraucher:innen bedeutet das: [3][billigere | |
| Konsumgüter]. Dadurch haben sie mehr frei verfügbares Einkommen, womit sie | |
| ebenfalls konsumieren oder das sie sparen können. Dieser Kaufkraftgewinn | |
| ist vor allem für einkommensschwache Haushalte bedeutsam. | |
| ## Ungleich große Kuchenstückchen | |
| Das wird sehr deutlich, wenn umgekehrt günstige Importe ausbleiben wie | |
| aktuell aufgrund der Versorgungsengpässe durch den Krieg gegen die Ukraine | |
| und weltweite Lieferkettenstörungen, die erhebliche Preissteigerungen zur | |
| Folge haben. Diese wiederum treffen die Einkommensschwächeren besonders | |
| hart. | |
| Der Wettbewerb mit [4][Niedriglohnländern] hat jedoch auch Nachteile: Wenn | |
| ein deutsches Unternehmen Vorprodukte aus Asien bezieht, kauft es weniger | |
| bei lokalen Zulieferern. Beschäftigung und Lohneinkommen in entwickelten | |
| Volkswirtschaften wie Deutschland gehen so zurück. Darunter leiden vor | |
| allem Geringqualifizierte. Sie stehen in Konkurrenz zu Arbeitskräften aus | |
| Asien, deren Löhne spürbar niedriger sind. Chinas Aufstieg zur „Fabrik der | |
| Welt“ ist hierfür stellvertretend. | |
| Für Beschäftigte in exportierenden Unternehmen sind hingegen Lohnzuwächse | |
| möglich. Diese „Exporteur-Lohnprämie“ lässt sich so erklären: Der | |
| Exporterfolg der Unternehmen basiert nicht auf niedrigen Löhnen, sondern | |
| auf einer hohen Produktivität. An dieser beteiligen die Unternehmen ihre | |
| Beschäftigten. Bildlich gesprochen bedeutet die Globalisierung also: Der | |
| Kuchen wird größer, aber die Kuchenstücke werden nicht für alle | |
| Personengruppen größer – auch innerhalb eines Landes gibt es | |
| Globalisierungsverlierer. | |
| Dabei handelt es sich oftmals um bereits marginalisierte Gruppen. Ein | |
| weiteres gravierendes Problem der Globalisierung besteht darin, dass nicht | |
| all ihre Kosten in den Marktpreisen enthalten sind. Das gilt besonders für | |
| die Nutzung natürlicher Ressourcen. Der Einsatz fossiler Energien wie | |
| Erdöl, Erdgas und Kohle in der internationalen Arbeitsteilung führt über | |
| Treibhausgasemissionen zur Erderwärmung und zum Klimawandel. | |
| ## Die Ökolast wird unfair verlagert | |
| Die Folge sind Schäden an der Gesundheit der Menschen, an Gebäuden und | |
| Infrastruktur sowie für die Ökosysteme. Auch diese Folgen sind ungleich | |
| verteilt: Beim Aufbau globaler Lieferketten haben multinationale Konzerne | |
| nicht nur die arbeits-, sondern auch die umweltintensive Produktion aus den | |
| Industrieländern in Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert. So konnten | |
| sie die zum Teil niedrigeren lokalen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards | |
| ausnutzen. | |
| Damit tragen die Unternehmen zur Umweltbelastung und zu den CO2-Emissionen | |
| in diesen Ländern bei, ohne dass sie dafür aufkommen müssen. Das führt zur | |
| [5][Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen]. Die | |
| gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt sinkt. Wenn die Globalisierung die | |
| Wohlfahrt der Menschen insgesamt steigern soll, müssen die | |
| Globalisierungsgewinne breit gestreut werden. Zudem müssen alle damit | |
| verbundenen sozialen und ökologischen Zusatzkosten wirtschaftspolitisch | |
| adressiert werden. | |
| Viele Politikbereiche sind aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen: | |
| die sozialen Sicherungssysteme ebenso wie die Struktur- und | |
| Regionalpolitik, das Bildungssystem sowie das Steuer- und | |
| Transfersystem. | |
| Weil die internationale Arbeitsteilung den materiellen Wohlstand der | |
| beteiligten Volkswirtschaften erhöht, können die Globalisierungsgewinner | |
| eines Landes die Verlierer – zumindest im Prinzip – kompensieren und | |
| dennoch ihre eigene Einkommenssituation verbessern. Ökologische Kosten der | |
| Globalisierung müssen in den Marktpreisen abgebildet werden, beispielsweise | |
| durch höhere CO2-Preise. | |
| Allerdings reduziert das die Kaufkraft der privaten Haushalte – besonders | |
| wieder der einkommensschwachen. Diese geben überdurchschnittlich viel ihres | |
| Einkommens für emissionsintensive Energie und Lebensmittel aus. CO2-Preise | |
| müssen daher sozialpolitisch flankiert werden. Ansonsten drohen soziale | |
| Spannungen und politische Widerstände. | |
| Globalisierung ist nach wie vor ein wichtiger Wohlstandstreiber. Aber sie | |
| braucht die richtigen Rahmenbedingungen. Ihre ökonomischen, sozialen und | |
| ökologischen Kosten müssen angemessen berücksichtigt werden. | |
| 27 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Cora Jungbluth | |
| Thieß Petersen | |
| Cora Jungbluth | |
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