# taz.de -- Teilmobilmachung in Russland: Putin schickt Reservisten los | |
> Der Kreml hält an seinen Plänen von der Zerstörung der Ukraine fest. Die | |
> Mobilmachung ist eine panische Antwort auf die militärischen Erfolge | |
> Kiews. | |
Bild: Nicken können sie sehr gut: Szene im Moskauer Verteidigungsministerium a… | |
Das Dekret ist nur wenige Minuten nachdem Russlands Präsident Wladimir | |
Putin geredet hatte auf der Homepage des Kremls zu finden. 300.000 | |
Reservist*innen – Soldat*innen, Offiziere, Fähnriche – sollen für | |
Russland in den Kampf gegen die Ukraine ziehen. Nein, gegen den Westen, wie | |
der bald 70-jährige Präsident am Mittwochmorgen sagt, [1][in demselben | |
Arbeitszimmer], in dem er auch seine hasserfüllte Rede zum 24. Februar | |
aufgenommen hatte und damit den Einmarsch in die Ukraine befahl. Bis heute | |
nennt Putin den gewaltsamen Einsatz seiner Armee im Nachbarland | |
„militärische Spezialoperation“ und hält trotz der militärischen Erfolge | |
der Ukraine weiterhin daran fest. Mit allen Mitteln. Lügen, Drohungen, | |
Verzweiflungstaten. | |
„Das Ziel des kollektiven Westens ist es, unser Land zu schwächen, zu | |
spalten und schließlich zu zerstören. Er will, dass Russland in viele | |
Regionen zerfällt, die sich tödlich bekriegen“, sagt Putin. Der Westen habe | |
die Ukraine zu einem Antirussland gemacht, das ihm nun, um Russland | |
auszurauben, als Kanonenfutter diene. Die Verhandlungen zwischen Russland | |
und der Ukraine im Frühjahr habe der „kollektive Westen“ sabotiert, damit | |
er weiter Krieg führen könne. | |
Es sind die typischen Putin’schen Verdrehungen, die in weiten Teilen der | |
russischen Bevölkerung dennoch greifen. In diesem Duktus redet der | |
Kremlherrscher weiter: Um die Heimat und die Integrität zu schützen, sei | |
eine Teilmobilmachung vonnöten, erklärt er. Bereits ab diesem Mittwoch soll | |
sie beginnen. Russ*innen zwischen 18 und 65 Jahren, die gedient haben und | |
bestimmte Ränge aufweisen, sollen vor allem die „1.000 Kilometer lange | |
Kontaktlinie“ sichern, so Putin. | |
Kurz nach seiner Ansprache sind keine Direktflüge mehr nach Jerewan oder | |
Istanbul für den Tag zu bekommen. Vor allem junge Männer wollen weg – wie | |
bereits Anfang März, als eine regelrechte Ausreisewelle aus Russland | |
begann. Um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen, spricht Putin von | |
der „Erpressung des Westens durch Atomwaffen“. „Bei Bedrohung unserer | |
Integrität werden wir zweifellos alle uns zur Verfügung stehenden Mittel | |
einsetzen. Das ist kein Bluff!“ Putin weiß um die Angst des Westens vor | |
einem Einsatz von Atomwaffen. Er spielt mit diesen Ängsten – und zeigt | |
dadurch seine Verzweiflung. Denn anderes als mit dem Äußersten zu drohen, | |
bleibt ihm nicht. | |
## Es läuft nicht nach Plan | |
Eigentlich hatte der Kreml die Rede für Dienstag angekündigt. Putin sollte | |
sich zu den fürs Wochenende geplanten „Abstimmungen“ in den von Russland | |
besetzten Gebieten in der Ukraine äußern. Nur kurz zuvor war bekannt | |
geworden, dass die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie die | |
Gebiete Saporischschja und Cherson in der Ukraine ihren „Anschluss“ an | |
Russland per „Referendum“ erklären sollten. Ein bizarres Unterfangen mitten | |
in Kampfhandlungen, und doch eine russische Offensive, irgendwie auf die | |
jüngsten Geländegewinne der Ukrainer zu reagieren. Russland will Tatsachen | |
schaffen – und eskaliert. Zumal es auch nach innen mit Gesetzesänderungen | |
reagiert, die Fahnenflucht mit hoher Haftstrafe versieht, selbst „in Zeiten | |
einer Mobilmachung“. | |
Am Dienstagabend halten Beobachter*innen, kremlloyale wie kremlkritische, | |
wegen der erwarteten Rede von Putin regelrecht den Atem an. Manche warten | |
darauf, dass der Kremlherrscher den „Krieg“ erklärt, die | |
Generalmobilmachung ausruft, sich zum Einsatz von Atomwaffen äußert. „Und, | |
wartet ihr? Wartet!“, schreibt Margarita Simonjan, die Chefin des | |
Staatssenders RT, da gewöhnlich höhnisch. Doch auch sie muss nach dem | |
langen Abend zugeben: „Geht ins Bett.“ So manche spotten in den sozialen | |
Netzwerken, ob Putin sich denn in die Hose gemacht habe oder gar aus dem | |
Fenster gefallen sei. | |
„Nach Plan“, wie der Kreml stets behauptet, läuft es in der Tat nicht für | |
Moskau. Die Rede, lediglich eine Viertelstunde lang, strahlen die | |
Staatssender am Mittwochmorgen aus, samt einem inszenierten Interview des | |
russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu. Dieser schwadroniert über | |
die hohen Verluste der Ukrainer, spricht von 61.000 Toten und 49.000 | |
Verletzten, nennt nach Monaten auch die Zahl der toten russischen Soldaten: | |
5.937. Selbst offiziell zugängliche Quellen sprechen von größeren | |
russischen Verlusten. Seinem Präsidenten folgend wiederholt auch Schoigu | |
das Narrativ von Russlands Kampf gegen die Nato. In Kiew säßen „westliche | |
Kommandeure“, „die gesamte Nato-Aufklärung arbeitet gegen uns“. | |
Das eigentliche russische Ukraine-Narrativ hat sich erschöpft. Und so wählt | |
Putin – für ihn nicht ungewöhnlich – große Worte, macht klar, dass durch | |
die Referenden (wer sollte sie denn anerkennen?) der Donbass und die | |
anderen Gebiete russisch würden, Russland sich also verteidige. Doch um die | |
Legitimität geht es hier ohnehin nicht. Die Ukraine wird die Gebiete als | |
ihr eigenes Territorium ansehen und weiter dafür kämpfen, die Besatzer zu | |
vertreiben. Russland hat sich in eine Sackgasse manövriert und redet sich | |
die Lage weiterhin schön. | |
Auch die Zahl von 300.000 Reservist*innen klingt nach Bedrohung. Wie | |
diese 300.000 Menschen zum Dienst gezwungen werden sollen, ist jedoch nicht | |
klar. Russlands Oppositionspolitiker in Haft, Alexei Nawalny, spottete | |
bereits: „Sollen Polizisten hinter den Reservisten herrennen?“ | |
Der Krieg, der in Russland nicht so heißen darf, er ist nun in der Mitte | |
der Gesellschaft angekommen. Viele russische Familien schauen, wie sie ihre | |
Söhne vor dem Einsatz in der Ukraine retten können, besorgen sich | |
Krankschreibungen, kaufen Bescheinigungen, dass sie kranke Eltern zu | |
versorgen oder Kinder unter 16 Jahren hätten. 25 Millionen Russ*innen | |
unterliegen potenziell einer Einberufung. Für Putin ist damit noch viel | |
Luft nach oben. | |
21 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Putins-Monolog-an-seine-Regierung/!5842372 | |
## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russland | |
Mobilmachung | |
Wladimir Putin | |
GNS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Kolumne Krieg und Frieden | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Kolumne Krieg und Frieden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Protest gegen Mobilisierung | |
In mehreren russischen Städten kam es zu Festnahmen bei | |
Anti-Mobilisierungs-Protesten. Russland entlässt | |
Vize-Verteidigungsminister. Die Scheinreferenden gehen weiter. | |
Teilmobilmachung in Russland: Patrioten werden zu Pazifisten | |
Putin hat eine Teilmobilmachung für 300.000 Reservisten angeordnet. | |
Plötzlich positionieren sich die Menschen in Russland zum Krieg. | |
Scheinreferenden in der Ostukraine: Eine Region soll entführt werden | |
Im Gebiet Cherson werden immer wieder Ukrainer verschleppt. Mit einem | |
Scheinreferendum will Russland hier ab Freitag die Einnahme besiegeln. | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Erneute Sanktionen angekündigt | |
Brüssel will mit Sanktionen auf die Teilmobilmachung reagieren. | |
Verhandlungen über eine Schutzzone für Saporischschja wurden laut IAEA | |
aufgenommen. | |
AfD-Abgeordnete in Russland: Reiserücktritt bei der AfD | |
Drei AfD-Abgeordnete machten sich gen Ostukraine auf, nun brechen sie ihre | |
Reise offenbar ab. Die Aktion sorgte auch parteiintern für viel Ärger. | |
Scholz bei der UN-Generalversammlung: Ein Hamburger in New York | |
Kanzler Scholz verurteilt den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufs | |
Schärfste. Bei den Ländern des Globalen Südens wirbt er um Vertrauen. | |
Ausländische Filme im russischen Kino: Batman in St. Petersburg | |
Offiziell dürfen US-amerikanische Blockbuster nicht mehr in Russland | |
gezeigt werden. Ungenehmigt laufen sie trotzdem auf der großen Leinwand. |