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# taz.de -- Entlastungspaket der Bundesregierung: Doppelwumms trotz Schuldenbre…
> Die Bundesregierung plant einen 200 Milliarden Euro teuren Abwehrschirm
> für Energiepreise. Er soll und kann über Kredite finanziert werden.
Bild: Der große Wumms bei den Eergiekosten: 200 Milliarden soll der Abwehrschi…
Freiburg taz | Die Bundesregierung will 200 Milliarden Euro neue Schulden
aufnehmen – um Bürger:innen und Unternehmen vor hohen Energiepreisen zu
schützen. Verfassungsrechtlich ist dies möglich – trotz Schuldenbremse.
Vorige Woche stellten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert
Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihre Pläne für
einen „Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges“ vor.
Kanzler Scholz gab ihm den [1][griffigen Namen „Doppel-Wumms“], weil die
bisherigen Entlastungspakete zusammen einen Umfang von rund 95 Milliarden
Euro haben sollen und der neue Abwehrschirm mit mehr als dem doppelten
Umfang angekündigt wurde.
## Gigantischer Nebenhaushalt
Der Abwehrschirm ist zunächst ein gigantischer Nebenhaushalt, der über
Kredite mit bis zu 200 Milliarden Euro gefüllt wird. Mit dieser Summe
sollen folgende Maßnahmen finanziert werden: [2][eine Gaspreisbremse]
(deren konkretes Design gerade von einer Expertenkommission erarbeitet
wird), eine Strompreisbremse (in deren Finanzierung auch die Zufallsgewinne
der Stromversorger einfließen sollen), Hilfen für Gasimporteure (als Ersatz
für die gekippte Gasumlage) sowie weitere Hilfen für Unternehmen.
Auch wenn der Abwehrschirm über einen Nebenhaushalt ausgestattet wird und
nicht über den regulären Bundeshaushalt, so sind die bis zu 200 Milliarden
Euro doch bei der Schuldenbremse zu berücksichtigen. Laut Grundgesetz darf
der Bund eigentlich nur Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des
Bruttinlandsprodukts aufnehmen. Es ist aber möglich, dass sich der
Bundestag auf die Notfallklausel des Artikels 115 Grundgesetz beruft. Dort
heißt es: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen
Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die
staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese
Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder
des Bundestages überschritten werden.“
## Schuldenbremse 2022 schon lange passé
In diesem Beschluss würde [3][der russische Angriffskrieg] und seine Folgen
für die Energiepreise als „außergewöhnliche Notsituationen, die sich der
Kontrolle des Staates entziehen“ eingestuft. Das dürfte unproblematisch
sein, auch wenn die Notlage teilweise auf Wirkungen der westlichen
Sanktionen zurückgeht. Diese sind aber als gerechtfertigte Abwehrmaßnahmen
ebenfalls dem russischen Angriffskrieg zuzurechnen. Inzwischen hat Russland
auch selbst die Gaslieferungen gedrosselt und eingestellt.
Auch politisch fällt es der Ampelkoalition leicht, einen solchen Beschluss
zu fassen, denn es ist schon lange klar, dass der Bund die Schuldenbremse
2022 nicht einhalten kann. Wie schon 2020 und 2021 hat der Bundestag
bereits im Juni einen entsprechenden Beschluss gefasst. Konkret hat sich
der Bundestag damals bereits eine Überschreitung der Kreditobergrenze um
rund 115 Milliarden Euro genehmigt.
## Vorteilhafte Buchungsmethode
Für die zusätzlichen „bis zu 200 Milliarden Euro“ des Abwehrschirms ist n…
zwar ein neuer Beschluss des Bundestags erforderlich. Dabei genügt jedoch
eine Mehrheit der Abgeordneten. Die CDU/CSU-Fraktion wird hier also nicht
gebraucht und hat damit auch keine Verhandlungsposition.
Beim [4][Sondervermögen Bundeswehr], das im Juni mit 100 Milliarden Euro
eingerichtet wurde, war dieser Weg nicht gangbar. Der schlechte
Ausrüstungszustand der Bundeswehr galt nicht als „außergewöhnliche
Notsituation“. Dass die Bundeswehr marode ist, war schließlich keine Folge
der russischen Aggression. Damit die Schuldenbremse für [5][das
Sondervermögen Bundeswehr] dennoch nicht gilt, mussten Bundestag und
Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz ändern.
Probleme könnte es beim neuen Energiepreis-Abwehrschirm nur an einem Punkt
geben. Die Ausgaben sollen in den Jahren 2022 bis 2024 erfolgen, sie werden
aber nur im Jahr 2022 bei der Prüfung [6][der Schuldenbremse]
berücksichtigt. Diese Buchungsmethode ist für Finanzminister Christian
Lindner (FDP) vorteilhaft, denn sie ermöglicht ihm, die [7][Schuldenbremse
2023 wieder einzuhalten]. Zumindest kann er dies derzeit glaubhaft
ankündigen.
Diese trickreiche Buchungsregel wurde erst vor rund einem Jahr im
Zusammenhang mit dem zweiten Nachtragshaushalt für 2021 eingeführt. Damals
setzte die Ampelkoalition durch, dass 60 Milliarden Euro nicht
[8][ausgegebene Coronahilfen] in den Energie- und Klimafonds verschoben
werden, um das Geld dann in den folgenden Jahren an der Schuldenbremse
vorbei für klimaförderliche Konjunkturwiederankurbelung ausgeben zu können.
Unter anderem gegen diese neue Buchungssystematik haben 197 Mitglieder der
CDU/CSU-Fraktion im April 2022 eine abstrakte Normenkontrolle beim
Bundesverfassungsgericht erhoben. Ein Erfolg der Unionsklage in Karlsruhe
könnte auch die Pläne der Ampel mit dem Abwehrschirm durcheinanderbringen,
insbesondere die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2023. Die
Unionsabgeordneten haben zwar eine einstweilige Anordnung beantragt, noch
ist aber völlig offen, wann Karlsruhe entscheiden wird.
4 Oct 2022
## LINKS
[1] /Energiepreisbremse-der-Bundesregierung/!5882806
[2] /Bundesregierung-verkuendet-Gaspreisbremse/!5880548
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[4] /Grundgesetzaenderung-fuer-die-Bundeswehr/!5860270
[5] /Nutzung-des-Bundeswehr-Sondervermoegens/!5862608
[6] /Gruener-ueber-Sondervermoegen-und-Buergergeld/!5860048
[7] /Christian-Lindners-Finanzpolitik/!5881434
[8] /Haushalt-mit-Schuldenbremse/!5864729
## AUTOREN
Christian Rath
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