# taz.de -- „Ende Gelände“ protestiert in Hamburg: Gegen den fossilen Kapi… | |
> Die Klimaaktivist*innen blockieren diesmal Orte der Infrastruktur und | |
> Logistik: Das LNG-Terminal und den Hamburger Hafen. | |
Bild: 400 Aktivist*innen haben den Hamburger Hafen lahmgelegt | |
HAMBURG taz | Am Samstagmorgen brennt die Sonne auf den Hamburger Stadtteil | |
Hausbruch nieder. Die Luft flimmert vor Hitze. Es sind sengende 30 – | |
gefühlte 40 Grad Celsius. Etwa 400 Aktivist*innen, in den für [1][„Ende | |
Gelände“] typischen Malanzügen, laufen mit einer großen Rettungsdecke als | |
Fahne vorneweg die Neuwiedenthaler Straße entlang. Auf ihren Köpfen tragen | |
die Aktivist*innen goldene Kappen. Fast alle haben goldene FFP2-Masken | |
vor dem Gesicht, halten Sonnenschirme und tragen Sonnenbrillen. Begleitet | |
werden sie von etwa 200 Polizist*innen. Denen schmeckt das Outfit der | |
Aktivist*innen nicht. Immer wieder muss die Gruppe anhalten, weil der | |
Einsatzleiter Vermummung wittert. Dann darf sie doch weiterziehen. | |
Als die Demonstration gegen 12 Uhr auf die Waltershofer Straße in Richtung | |
Hafen einbiegt, rufen Einzelne auf einmal „Stick together“. Dann sprinten | |
die Aktivist*innen los. Es geht einen durch die Polizei völlig | |
ungeschützten Bahndamm hinauf. Polizist*innen versuchen dies mit roher | |
Gewalt zu verhindern. Sie werfen Leute die Böschung hinab und schlagen auch | |
zu. Einige Aktivist*innen stürzen und kauern sich am Boden zusammen. | |
Der Großteil schafft es trotzdem auf die Schienen. Während ein Rauchtopf | |
abbrennt, macht eine Aktivistin eine Durchsage durch ein Megafon: „Wir sind | |
hier genau richtig. Es handelt sich um einen der Hauptverkehrsachsen für | |
den Güterverkehr. Alle 10 Minuten fährt hier ein Zug. Es ist eine der | |
Hauptversorgungslinien des Hamburger Hafens.“ Die Aktivist*innen | |
jubeln. | |
Liv Roth, Pressesprecherin des kommunistischen „ums Ganze!“-Bündnis, das | |
den goldenen „Finger“, wie die Aktivist*innen die einzelnen Demozüge | |
nennen, mitorganisiert hat, sagt: „Mit der Blockade hier im Gleisbett ist | |
ein neuralgischer Punkt unterbrochen.“ Laut Roth fließe hier über die | |
Schienen ein Großteil der Container, die den Hamburger Hafen erreichten, | |
ab. Ob der Hafenbetrieb tatsächlich durch die Aktion gestört wird, ist | |
unklar. Vorerst geht auf den Schienen nichts mehr. | |
In diesem Jahr hatte das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ beschlossen, neben | |
der im Bau befindlichen Infrastruktur für Erdgas, auch den Hafen als Symbol | |
für die Logistik des fossilen Kapitalismus ins Visier zu nehmen. Außerdem | |
fordert „Ende Gelände“ einen sofortigen Gasausstieg. | |
## Sachbeschädigung als Aktionsform ein Novum | |
Am Freitag hatten Aktivist*innen bereits die Baustelle eines | |
LNG-Terminals in Wilhelmshaven blockiert und teilweise Baumaschinen | |
beschädigt. Dass bei den Aktionen Sachbeschädigung als Aktionsform vom | |
Bündnis selbst erlaubt ist und nach außen getragen wird, ist ein Novum. An | |
verschiedenen Stellen wird zumindest bei der goldenen Blockade | |
„geschottert“ – also die Gleise unterhöhlt und Steine entfernt. Eine | |
Technik bekannt von den Castor Protesten. | |
Früh am Samstagmorgen starteten etwa 1.500 Personen in drei Protestgruppen | |
gemeinsam am Camp im Altonaer Volkspark. Zunächst führte eine angemeldete | |
Demonstration in Richtung Bahnhof Altona. „Unser primäres Ziel ist es, | |
fossile Infrastruktur lahmzulegen“, sagte Lou Winters, Pressesprecherin von | |
„Ende Gelände“. Vom Lautsprecherwagen wummerten Techno-Beats. Ein älterer | |
Herr beobachtete oberkörperfrei von seinem Fenster aus mit gerümpfter Nase | |
den vorbeiziehenden Demozug. Andere Anwohner*innen applaudieren. | |
Rudi Mertz etwa, 85, beobachtete die Proteste vom Gehsteig auf seinem | |
Rollator sitzend. Er findet gut, dass die Aktivist*innen für | |
Klimaschutz und gegen den Kapitalismus auf die Straße gehen und sagte in | |
breitem Hamburger Akzent: „Wenn keiner was macht, dann geht das bergab | |
alles.“ In die Politik habe er kein Vertrauen mehr und sei enttäuscht | |
davon, dass die sich von Putin abhängig gemacht hat. | |
Ganz anders sieht das Marko Schomann. Der breit gebaute 40-Jährige steht | |
rauchend vor einem Friseursalon und hält die Proteste für „Schwachsinn“. | |
„Wenn die dagegen demonstrieren würden, dass wir alle zu viel für unser Gas | |
und Strom bezahlen, würde ich das verstehen.“ Er wohnt direkt neben dem | |
System Change Camp und ist genervt von den Aktivist*innen. „Seit heute | |
morgen um fünf kreisen Hubschrauber“, so Schomann. | |
## Kein Wasser für Aktivist*innen | |
Ohne große Zwischenfälle zogen die Aktivist*innen zum Bahnhof Altona. | |
Während einer Zwischenkundgebung strömte der goldene Finger in die S-Bahn | |
ab. Auf der Kundgebung vor dem Bahnhof Altona sprach währenddessen eine New | |
Yorker Aktivistin und sagte, sie spüre die Folgen des Klimawandels auch bei | |
sich zu Hause und rief: „Ratet mal, wer sich mit den größten Problemen | |
konfrontiert sieht? People of Color mit niedrigem Einkommen“. | |
S-Bahn-Fahrer*innen und Kioskbesitzer*innen blickten teils ungläubig, | |
während auch die restlichen Aktivist*innen sich in Richtung Gleis | |
schlängelten und schließlich in die S3 Richtung Hammerbrook stiegen. | |
Während die Aktivist*innen des goldenen Finger gegen 13 Uhr bereits mit | |
Schmerzgriffen von den Schienen geräumt werden, schafft der pinke | |
Ende-Gelände-Demozug im etwa 6 Kilometer entfernten Wilhelmsburg ebenfalls | |
einen Durchbruch auf Gleise. Die Pressestelle der Polizei Hamburg sagt | |
gegen 14 Uhr gegenüber der taz, die Blockierer*innen würden nun gelöst | |
und gegebenenfalls einer Identitätsfeststellung unterzogen. Es würden | |
mögliche Straftaten geprüft. Mehr will man im laufenden Einsatz nicht | |
herausgeben. Es könnte aber sein, dass der Gruppe etwa ein gefährlicher | |
Eingriff in den Schienenverkehr vorgeworfen wird. | |
Während der Räumungsaktion dürfen die Aktivist*innen zunächst nicht von | |
Unterstützer*innen mit Wasser versorgt werden. Knapp eine Stunde | |
stehen vier Kanister Trinkwasser bereit, werden aber nicht – wie von der | |
Polizei zugesagt – von Beamt*innen zu den in der Sonne Sitzenden | |
gebracht. Es gäbe angeblich keinen Platz, sagt eine Kontaktbeamtin. | |
Anwält*innen werden zeitgleich daran gehindert, zu den in Gewahrsam | |
genommenen Aktivist*innen zu gelangen. Sanitäter*innen müssen | |
immer wieder Verletzte versorgen. Ein Krankenwagen fährt vor. „Einmal | |
Hitzschlag“, ruft ein Polizist. Erst dann fordert ein Bereitschaftspolizist | |
die taz-Journalist*innen vor Ort auf, das Wasser doch zu den Menschen | |
auf den Gleisen zu tragen. | |
## Internationale Protestgruppen | |
Die internationale lila Protestgruppe läuft derweil an den Anlagen der | |
Holborn Europa Raffinerie vorbei. Ihr Ziel ist das Kraftwerk Moorburg, ein | |
seit 2021 stillgelegtes Steinkohlekraftwerk. „Die Konzerne fordern, dass es | |
wieder ans Netz gehen soll. Wir können ein starkes Zeichen setzen, dass wir | |
für den Ausstieg aus der Kohle sind“, sagt die Ende-Gelände-Sprecherin | |
Charly Dietz, die vor Ort ist. Hier wird auch ein LNG-Terminal geprüft. | |
Eine Person ruft auf Englisch in ein Megafon: „A- anti- anticolonalista!“ | |
Die Masse antwortet: „Who shuts Moorburg down? We shut Moorburg down!“. | |
Viele international angereiste Aktivist*innen beteiligen sich an diesem | |
Teil der Aktion. Mit dabei sind Menschen aus Kolumbien, Italien, Finnland | |
und Schweden. Es ist eines der großen Ziele der Klimabewegung, globaler und | |
diskriminierungssensibler zu werden. Denn betroffen sind von der | |
Erdgas-Förderung und auch den unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels | |
vor allem Menschen im globalen Süden. | |
Als letzte der drei Protestgruppen erreicht lila schließlich ihr Ziel und | |
blockiert die Kattwyck-Hubbrücke. Während die Aktivist*innen versuchen, | |
auf die Schienen auf dem linken Brückenteil zu kommen, schlagen | |
Polizist*innen brutal mit Schlagstöcken auf die vorderen Reihen ein und | |
setzen Pfefferspray ein. Einige wenige schaffen es trotz allem auf die | |
Schienen. Auf die Straße auf dem anderen Brückenteil haben es 60 | |
Aktivist*innen geschafft. Die Polizei löst die Versammlung auf der | |
Straße auf, setzt dabei Wasserwerfer ein und nimmt den Klimabewegten ihre | |
Regenschirme weg. Doch die bleiben, wo sie sind. | |
13 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
Jelena Malkowski | |
Michael Schlegel | |
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