| # taz.de -- Klimaproteste in Hamburg: Gegen den Wind gepfeffert | |
| > Die Polizei verbreitet, sie sei von Klimaaktivist*innen mit | |
| > Pfefferspray angegriffen worden. Beweise fehlen. Kritik an der PR der | |
| > Polizei. | |
| Bild: Duckt sich vom Pfefferspray-Strahl des eigenen Kollegen weg: Polizist bei… | |
| Hamburg taz | Die Polizei betreibt mit Blick auf die Klimaproteste im | |
| Hamburger Hafen am vergangenen Wochenende eine zweifelhafte | |
| Informationspolitik. Mit laufenden Nachrichten auf Twitter sowie | |
| Stellungnahmen im Nachhinein versucht sie ihre Version der Ereignisse | |
| durchzusetzen. | |
| Dabei spricht einiges dafür, dass sie die Unwahrheit verbreitet hat. Das | |
| ist umso problematischer als öffentliche Stellen im Journalismus als | |
| besonders vertrauenswürdig gelten, sodass deren Darstellung nicht unbedingt | |
| gegenrecherchiert werden muss. | |
| Am Samstagnachmittag herrscht im Hafen großes Tohuwabohu. Zweitausend | |
| Aktivist*innen des [1][Klimabündnisses „Ende Gelände“ wollen die | |
| „Logistik des fossilen Kapitalismus“ stören]. Eine Gruppe bewegt sich auf | |
| einer angemeldeten Route am stillgelegten Steinkohlekraftwerk Moorburg | |
| vorbei. | |
| Es geht auf einen neuralgischen Punkt – die Kattwyk-Hubbrücke – zu. | |
| Bereits in der Vergangenheit wurde diese von Klimaaktivist*innen | |
| blockiert. [2][Plötzlich bricht ein Teil der Gruppe aus und versucht, auf | |
| nahe Gleise zu gelangen]. | |
| ## Friendly Fire | |
| Mit Schlagstöcken und Pfefferspray versucht die Polizei, dies zu | |
| verhindern. Aus Überkopfhöhe halten Polizist*innen in die Menge. Zum | |
| Teil sprühen sie darüber hinaus. Ein Polizist dreht sich mit | |
| zusammengekniffenen Augen zur Seite. Eine Person liegt mit Platzwunde am | |
| Boden. Währenddessen ziehen die restlichen Aktivist*innen auf der | |
| angemeldeten Route weiter. Auch hier kommt es zum massiven Einsatz von | |
| Reizgas und Tonfas. | |
| Angriffe auf die Polizei finden sich in den Aufnahmen, die auf diversen | |
| sozialen Medien veröffentlicht wurden, bisher nicht – dafür ein | |
| Bereitschaftspolizist, der seine Kolleg*innen anschreit, nachdem ihn der | |
| Pfeffernebel sichtlich erwischt hat: „Nicht auf uns!“ | |
| Es sind diese Szenen, um die nun gestritten wird. Denn die Polizei | |
| begleitet den gesamten Einsatz mit sporadischen Meldungen beim | |
| Kurznachrichtendienst Twitter. Um 17.21 Uhr heißt es dort: „Nachdem die | |
| Kräfte auch mit Pfefferspray angegriffen und ca. 15 Polizeibeamte leicht | |
| verletzt wurden, wurde die Versammlung aufgelöst.“ | |
| Die Bild-Zeitung macht daraus die Schlagzeile: „Klima-Chaoten greifen | |
| Polizisten mit Pfefferspray an“. Auch die dpa und viele seriöse | |
| journalistische Publikationen übernehmen zunächst ungeprüft die Meldung der | |
| Polizei. | |
| Bis heute lässt sich deren Meldung aber nicht bestätigen. Verschiedene | |
| Medien recherchieren. NDR „Panorama“ schreibt etwa: Auch nach der Sichtung | |
| von mehrere Stunden Videomaterial sei keine Pfefferspray-Anwendung durch | |
| die Demonstrant*innen zu erkennen. Dagegen führt auch „Panorama“ die | |
| Szene an, wo ein Beamter sich über das „friendly fire“ beschwert. | |
| Die Polizei Hamburg hat den Vorwurf der Fake News auf Twitter | |
| zurückgewiesen. Alle Bilder und Videos zeigten nur Momentaufnahmen. | |
| Gegenüber NDR „Panorama“ rechtfertigt eine Pressesprecherin die | |
| Kommunikation mit der Anzeige einer Beamtin und Funksprüchen. | |
| Auf Anfrage der taz heißt es von der Pressestelle der Polizei, auf Twitter | |
| würden relevante und belegbare Entwicklungen des Polizeieinsatzes aktuell | |
| kommuniziert, insbesondere um polizeiliche Maßnahmen transparent und | |
| nachvollziehbar darzustellen, aber auch, um auf Auswirkungen, | |
| beispielsweise auf das Verkehrsgeschehen, hinzuweisen. „Ein Pfefferspray | |
| wurde nicht sichergestellt“, heißt es weiter. Die Ermittlungen dauerten an. | |
| Ein Tweet, drei Stunden nach der Eskalation, ist natürlich kein Zufall. | |
| Während in der Vergangenheit die Polizei als Behörde den Medien ihre | |
| Informationen weitergegeben habe und diese dann darüber entschieden hätten, | |
| ob und wie darüber berichtet werde, hätten sich die Verhältnisse geändert, | |
| schrieb der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt bereits vor Jahren. „Die | |
| Polizei selbst ist Medium geworden.“ | |
| ## Pflicht zur Recherche | |
| [3][Im Gegensatz zu Journalist*innen, die zu berichten versuchen, was ist, | |
| haben polizeiliche Pressestellen jedoch ein anderes Ziel.] In dem | |
| „Praxisleitfaden für den Weg zu zeitgemäßer PR – Polizeiliche Presse- und | |
| Öffentlichkeitsarbeit im digitalen Zeitalter“ steht, es gehe eben darum, | |
| das Bild der Polizei zu beeinflussen. | |
| Darauf weist auch Henrik Zörner auf der Seite des deutschen | |
| Journalistenverbandes DJV in einem Kommentar zum Hamburger | |
| Protestwochenende hin. „Die Sicherheitskräfte sind nie unparteiische | |
| Beobachter, sondern spielen bei Demonstrationen oder anderen Ereignissen | |
| eine Rolle“, schreibt Zörner. Weder Bild noch andere Medien dürften deshalb | |
| auf die Informationen der Polizei vertrauen, sondern hätten die | |
| journalistische Pflicht zur Recherche. | |
| Die Twitterei der Polizei könnte ein rechtliches Nachspiel haben. So | |
| schreibt der Jurist Niema Movassat auf Twitter: „Unter Geltung des | |
| Sachlichkeitsgebotes ist Ihre Kommunikation rechtlich nicht haltbar.“ | |
| 18 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Trammer | |
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