# taz.de -- HipHop-Choreografin Fatoumata Camara: Ist das jetzt emanzipiert? | |
> Fatoumata Camara ist in Deutschland eine der wenigen Frauen, die | |
> HipHop-Videos choreografieren. Rapperinnen wie Shirin David sind ihre | |
> Kundinnen. | |
Bild: Fatoumata Camara, tanzend im Berliner Regierungsviertel | |
Ein pinker Silikonbadeanzug, bauchfrei, dazu eine feine Netzstrumpfhose und | |
rosarote Stiefel, der Afro rahmt kreisrund das Gesicht. Fatoumata Camara | |
tanzt in einer pinken Plüschästhetik, fünf weitere Tänzerinnen in genauso | |
knappen Badeanzügen und mit Haaren, die runde Kugeln auf dem Kopf bilden, | |
tanzen um sie herum, Popos wackeln im Takt. Mittendrin: Shirin David, der | |
Superstar unter den Deutschrapperinnen. | |
Ihr Musikvideo zum Song „Lieben wir“ hat fast 12 Millionen Aufrufe und ist | |
letztes Jahr erschienen. Camara ist die Choreografin des Videos, ihre | |
Silhouette bewegt sich vor rotem Hintergrund in einer geradlinigen | |
Formation mit ihren Kolleginnen. Sie stehen breitbeinig, die Fäuste heben | |
sie in die Luft oder schwingen sie auf ihre Hüften, dynamische und große | |
Bewegungen. Shirin singt dazu: [1][„Ich sehe aus wie ein Snack …“,] und d… | |
Hook „Lieben wir“. | |
Fast schüchtern schaut Fatou, wie sie von allen genannt wird, unter ihrem | |
beigen Anglerhut hervor. Heute ist Probentag, sie trägt eine schlabbrige | |
Jogginghose, ein weites T-Shirt, kein Make-up und redet über ihre Arbeit. | |
Rapperinnen sind zurzeit ihre besten Kundinnen: etablierte Größen des | |
kommerziellen Deutschraps wie Shirin David, die Fatoumata schon aus | |
früheren Jobs als Tänzerin kennen, oder Newcomer im Business wie Badmómzjay | |
oder Rola, die sie für ihre Choreografien buchen. Eine neue Generation | |
deutscher Künstlerinnen, deren Vorbilder meist aus den Vereinigten Staaten | |
kommen, [2][Rapperinnen wie Cardi B], [3][Megan Thee Stallion] oder Nicki | |
Minaj, allesamt: laut, frech, hypersexuell in der Inszenierung und extrem | |
erfolgreich. | |
## Von Musikvideos und Videokassetten gelernt | |
Heute ist Layla Fatous Kundin, auch ein aufsteigender Stern im deutschen | |
Rap, die auch Genres von R ‚n‘ B bis Trap, einer Unterform des HipHop, | |
bedient. Geprobt wird in der [4][Kreuzberger „Flying Steps Academy“], | |
Deutschlands größter Tanzschule für urbane Tanzstile. Vier Tänzerinnen in | |
extrem weiten Jogginghosen, die fast die Turnschuhe schlucken, üben | |
einzelne Schritte, während Fatoumata mit der Künstlerin spricht. | |
„Alle zurück!“, ruft sie, zeigt mit beiden Daumen nach hinten und zählt | |
ein. Der Song [5][„Trick Daddy“ von Layla] geht an. Heftiger Bass, Layla | |
steht in der Mitte, eine Wasserflasche macht das Mikrofon, um sie herum | |
schwingen die Tänzerinnen dynamisch von links nach rechts und gucken | |
drohend in den Spiegel. | |
„Hoe, was dachtest du denn?“, dröhnt es aus den Boxen, dazu klopfen sie | |
sich theatralisch mit den Fäusten gegen ihre Köpfe, bei „Du kannst es | |
googellen“ tippen sie auf einer imaginierten Tastatur. Fatou Camara | |
korrigiert immer wieder das Bild, die Abstände zwischen den Tänzerinnen, | |
singt jede Textstelle leise mit, wirkt konzentriert. Sie haben nur einen | |
Tag Zeit, morgen ist der Auftritt. | |
„Ich habe mir schon als Kind gern Musikvideos angeschaut und sie dann von | |
Videokassetten abgelernt“, erzählt Fatou. Mit sechs Jahren hätten ihre | |
Eltern sie, ein Kind, das ständig herumsprang, ins Ballett geschickt. Es | |
folgten HipHop-Kurse, Wettbewerbe und Meisterschaften und mit 16 die ersten | |
Jobs. Aufgewachsen ist Camara mit fünf Geschwistern in Pforzheim. | |
## Rapperinnen kommen auf sie zu | |
Der Vater, ein Ingenieur in leitender Stellung, floh aus Guinea nach | |
Unruhen, er bekam in Deutschland politisches Asyl. Ihre Mutter, Ärztin, | |
folgte mit den anderen Kindern, ein Jahr später kam Fatou auf die Welt. | |
Dass Fatou irgendwann vom Tanzen leben wollte, konnten die Eltern nicht | |
verstehen. Tanzen, dafür könne sie in die Disko gehen, aber das sei keine | |
Arbeit. | |
Die Rapperinnen kommen auf Camara zu, wenn sie Coachings haben wollen, | |
meist gibt es die im Paket: Proben mit Tänzerinnen, dann Einzelcoachings | |
für die Künstlerin und zum Schluss die Performance, ob im Videodreh oder | |
live. Sie begleitet auch Tourneen choreografisch, diesen Sommer die von | |
Loredana. Kontakte knüpft sie auf den Jobs und über Instagram. „Früher lief | |
das viel mehr über Tänzeragenturen, doch seit es Social Media gibt, fällt | |
der Mittelsmann oft weg.“ | |
Sie hätte am liebsten die Schule mit 16 für eine Tanzausbildung | |
abgebrochen, doch die Eltern bestanden auf dem Abitur. 2011 zieht sie nach | |
Berlin, ist früh finanziell auf sich selbst gestellt, jobbt, gibt abends | |
ihre ersten Tanzkurse. Langsam setzt sie einen Fuß ins Business. | |
Heute beschreibt sie ihren Tanzstil als kommerziellen HipHop. Dass eine | |
Frau nicht nur vor der Kamera steht und tanzt, sondern auch dahinter die | |
Anweisungen gibt, ist immer noch die Ausnahme. „Ich habe selbst als | |
Tänzerin erst mit ein oder zwei Choreografinnen gearbeitet, aber ich hoffe, | |
dass sich mehr Frauen herantrauen.“ | |
Fatoumata sieht das nicht als Problem des HipHop, oft als Männerdomäne | |
verrufen: „Nein, das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Wenn man in | |
andere Felder reinschaut, ist das selbst bei Ärzten so, dass mehr Frauen | |
Medizin studieren und am Ende mehr Männer praktizieren.“ | |
„Es gab lange ein bestimmtes sexistisches Narrativ im HipHop, doch das | |
wandelt sich.“ Rapperinnen wie Shirin David oder Badmómzjay würden eigene | |
Wege gehen, Frauen facettenreicher porträtieren. „Klar, es gibt die, die | |
sagen: Ah, es ist immer viel zu nackig!“, sagt Fatou und lacht, aber sie | |
hat damit kein Problem, im Gegenteil, sie sieht darin Freiheit und | |
Selbstbestimmung. | |
„Natürlich ist es ein schwieriges Thema, man weiß nicht immer, ist das | |
jetzt emanzipiert oder möchte man einfach nur der Männerwelt noch einen | |
Ball zuspielen?“ Definitiv werde inzwischen diverser gebucht, was | |
Körperform und Hautfarbe angeht, sagt sie. „Das habe ich noch anders | |
erlebt, früher musstest du dünn sein als Tänzerin, und mir wurde mehrmals | |
gesagt: ‚Sorry, wir haben schon eine Schwarze Tänzerin‘, dann musste ich | |
gehen“. Heute sagt Fatoumata ihrerseits ab, wenn die Bedingungen nicht | |
passen. | |
„Wenn die Energie oder der Respekt nicht stimmt oder versucht wird, die | |
Gage der Tänzerinnen zu drücken.“ Als Tänzer werde man oft auf Drehs am | |
schlechtesten bezahlt, „obwohl wir sehr zum Endprodukt beitragen, das ganze | |
Bild ausmachen“. | |
Es ist ein sonniger Samstag und der Tag des Auftritts. Auf dem Tempelhofer | |
Feld in Berlin wird ein [6][lila-rot angesprühter Basketballplatz] explizit | |
für Frauen eröffnet. Layla soll mit Rap für Stimmung sorgen. Fatoumata | |
filmt am Rand des Basketballfelds, während ihre Tänzerinnen performen, für | |
Instagram. | |
Sie füllen den Platz mit ihrer Energie und ihrem strahlenden | |
Selbstbewusstsein, dazu Laylas Hook „Ich muss Geld verdien', Baby“, die | |
Tänzerinnen heben die Ellenbogen vor die Brust, die Hände nach oben und | |
reiben Daumen und die Finger mit den langen Nägeln aneinander, als würden | |
Geldscheine darin liegen. Fatoumata ist mit diesem Bild zufrieden. | |
8 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=zuyN8KshIf4)%20Lyrics%3A%20https%3A%2F%2Fge… | |
[2] /Die-steile-These/!5710962 | |
[3] /Album-Good-News-von-Megan-Thee-Stallion/!5731433 | |
[4] /Berliner-Breakdance-Crew-Flying-Steps/!5046042 | |
[5] https://genius.com/Layla-trick-daddy-lyrics | |
[6] https://www.sportsillustrated.de/basketball/satou-sabally-nike-eroeffnet-in… | |
## AUTOREN | |
Judith Rieping | |
## TAGS | |
Musik | |
HipHop | |
Rap | |
Rapperin | |
Tanz | |
Choreografie | |
Porträt | |
Zeitgenössischer Tanz | |
Tanz | |
Ghana | |
Tanz | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Performance auf Kampnagel: Ein starker Geruch von Kürbiskernöl | |
Wie Delphine glitschen die Performer in „Soiled“ durchs Öl. Michael | |
Turinskys Choerografie ist ein lustvoller Gegenentwurf zum aufrechten | |
Körper. | |
Tanz-Festival in Berlin: Das Einsaugen der Welt | |
Gerade läuft das Berliner Festival Tanz im August. Sehenswert ist etwa die | |
spannende Performance der Kanadierin Daina Ashbee. | |
Schwarze Musikerin über Musikmarkt: „Afropop hat die Welt übernommen“ | |
Die Kieler Musikerin Adi Amati tritt bei „21 Sunsets“ in Berlin auf. Hier | |
spricht sie über ihren Umzug nach Accra und über den deutschen Musikmarkt. | |
Choreograph über afrikanische Tänze: „Jeder Schritt hat eine Geschichte“ | |
Seit Beyoncés Hit „Already“ liegen afrikanische Tanzschritte im Trend. | |
Choreograf Isaac Kyere hat ein Videolexikon dieser Bewegungen erstellt. | |
HipHop in Berlin-Neukölln: So real wird es nie wieder | |
Die drei Brüder der MIK-Family tanzen, modeln und schauspielern. Aber am | |
liebsten sind sie dort, wo alles begann: im Jugendclub in Berlin-Neukölln. |