| # taz.de -- Performance auf Kampnagel: Ein starker Geruch von Kürbiskernöl | |
| > Wie Delphine glitschen die Performer in „Soiled“ durchs Öl. Michael | |
| > Turinskys Choerografie ist ein lustvoller Gegenentwurf zum aufrechten | |
| > Körper. | |
| Bild: Die Performer*innen rutschen, krümmen ihre Körper… | |
| Auf der Website findet sich eine Triggerwarnung: „Der erste Teil der | |
| Performance findet im Dunkeln und leise statt.“ Und: [1][„Mit der Zeit wird | |
| sich ein starker Geruch von Kürbiskernöl verbreiten.“] Hoffentlich schlafe | |
| ich nicht ein. Ich nehme U-Bahn und Bus und eine Freundin mit. Der Weg hier | |
| in Hamburg zu Kampnagel ist immer weit. | |
| Im Bus verquatschen wir uns und verpassen beinahe die Haltestelle, holen | |
| schnell unsere Karten ab und an der Bar noch ein Bier. Dann überlegen wir, | |
| wie sie werden wird, „Soiled“, die neue Performance von Michael Turinsky, | |
| und ob überhaupt jemand kommt. Zu Turinsky, der sich – ausgehend von der | |
| eigenen Situiertheit als körperlich [2][behinderter Choreograf und | |
| Performer] – mit der Phänomenologie des als „behindert“ markierten Körp… | |
| auseinandersetzt. Doch da knubbelt sich schon eine mittlere Menschenmenge | |
| vor den Stahlglastüren der K1, einer Halle mit circa 200 Plätzen. | |
| Mit festen Ellenbogen und gleichgültigem Gesichtsausdruck schmuggeln wir | |
| das Bier in die abgedunkelte Halle. Dort bauscht eine orangefarbene | |
| Stoffblase von der Decke, eine „pumpkin sun“, wie man aus der kunstvollen | |
| Audiodeskription erfährt. Schemenhaft erkennt man drei Performer*innen. Sie | |
| kauern in einem runden, plastikweiß ausgekleideten Bassin, in das leise und | |
| rhythmisch Kürbiskernöl tröpfelt. | |
| Als es wieder heller wird, hat sich eine grünliche Pfütze gebildet. Langsam | |
| rutschen die Performer*innen durch sie hindurch, krümmen ihre Körper. | |
| Sie glitschen wie Delphine, wie Pinguine durch das Becken, wirken hilflos | |
| wie blinde Katzenbabys. Die Tänzer*innen – ein lustvoller, pulsierender | |
| Gegenentwurf zum „aufrechten, zivilisierten geradlinig voranschreitenden | |
| Körper“ – werden sich im Laufe der Performance nicht aufrichten, sondern | |
| irgendwann rücklings aus dem Becken gleiten. | |
| ## Begeisteter Applaus und gedämpfte Pausengespräche | |
| Die Frau in der Reihe vor mir zeichnet Aktstudien in ihr Skizzenbuch, | |
| während der junge Mann schräg hinter mir zu schlafen scheint. Oder | |
| meditiert er? Sein Kinn ist auf die Brust gesunken, seine Augen sind | |
| geschlossen. Andächtige Ehrfurcht breitet sich aus. Leises Räuspern oder | |
| Stuhlknarzen wirken wie ein sträflicher Tabubruch. Wer hustet, verlässt | |
| augenblicklich den Raum. Herrlich, dass zumindest der anwesende Choreograf | |
| regelmäßig und laut auflacht. | |
| Auf den begeisterten Applaus folgen gedämpfte Foyergespräche mit | |
| Mutmaßungen über den Kürbis und sein Öl. Es sei ja bald Halloween, scherzen | |
| die einen. Der Choreograf, [3][der mit „Soiled“ auch auf Tournee ist], | |
| komme aus der Steiermark, sagen andere, dort habe das „grüne Gold“ eine | |
| eigene Tradition. Ein dritter wiederum äußert seine Enttäuschung, dass kaum | |
| behinderte Tänzer*innen auf der Bühne gewesen seien. Irritierende | |
| Aussagen in löchrigen Samthandschuhen. Jetzt aber habe man Hunger, vor | |
| allem nach dem intensiven Geruch. | |
| Auf der Premierenfeier dann ein heiterer, vollkommen barrierefreier | |
| Austausch mit der [4][sehbehinderten Sophia Neises], einer der drei | |
| Performer*innen. Dazu Wein, Bier und vegetarische Flammkuchen. Kürbissuppe | |
| ist aus. | |
| 3 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://kampnagel.de/produktionen/michael-turinsky-soiled | |
| [2] /Festival-fuer-Disability-Art-No-Limits/!5635591 | |
| [3] https://www.michaelturinsky.org/de/tournee.php | |
| [4] /Inklusion-in-der-Tanzszene/!5607011 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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