# taz.de -- Festival für Disability Art „No Limits“: „Gut, wenn es kompl… | |
> Michael Turinsky ist Kurator des internationalen Festivals „No Limits“ | |
> und stellt Forderungen: sowohl ans Publikum wie an die Künstler*innen. | |
Bild: Michael Turinsky, Künstler und Kurator des „No Limits“ Festivals | |
Michael Turinskys erste bekannte Arbeit war ein Solo, in dem es um | |
Philosophie, Jackson Pollock und das Wackeln ging. Seine zweite ein | |
Gruppenstück, in dem er andern das Wackeln, Zucken, Krampfen beibrachte. | |
„Den Sexappeal des Wackelns deterritorialisieren“, nannte er das Übertragen | |
von Körperreaktionen, die durch Zerebralparese verursacht sind, als | |
Bewegungsvokabular für Tänzer*innen. | |
Damit knüpfte er an die Tatsache an, dass sich Schauspieler*innen, wenn sie | |
die Rollen behinderter Protagonisten spielen, immer wieder unhinterfragt | |
deren äußere Körperlichkeit aneignen. Cripping up heißt der inzwischen | |
gängige Begriff dazu. Turinsky begegnete der zweifelhaften Praxis mit Humor | |
und machte geradezu einen Wettbewerb daraus, den er, als Fachmann, | |
kontrollierte. | |
Vor vier Jahren war der Wiener Künstler mit „Heteronomous Male“ und „my | |
body your pleasure“ zum Berliner Festival No Limits gekommen. 2019 ist er | |
als Kurator da. Zwar war das Internationale Theaterfestival, das in diesem | |
Jahr seine neunte Ausgabe präsentiert, schon lange tanzaffin, aktuell aber | |
setzt es zum ersten Mal den Fokus auf Tanz und Performance. | |
## Ohne Begleitschutz | |
„Disability and Performing Arts“, so der neue Untertitel. Ausgewählt sind | |
vorzugsweise Stücke, bei denen behinderte Künstler*innen selbst | |
verantwortlich zeichnen, das heißt, keine Produktionen, bei denen ein | |
„großer Name“ aus der Kunstwelt einer „Inklusionstheatergruppe“ zu gr�… | |
Breitenwirkung verhilft. Bekannte Namen sind trotzdem dabei. | |
Das Wort „Inklusion“ versucht das Festival schon lange abzustreifen. Das | |
gütige Adoptiertwerden von einem vorausgesetzten Mainstream entspricht | |
nicht seiner Selbstverortung und damit auch nicht dem, für was es | |
gesellschaftspolitisch stehen will. Turinsky hat zusammen mit dem | |
Dramaturgen Marcel Bugiel kuratiert, der hinter mehreren | |
diskursverschiebenden Produktionen steht. | |
So auch hinter „Regie 2“ von Monster Truck, einem Stück, das wie ein | |
Blinddate funktionierte. Festivalbesucher*innen von No Limits wurden mit | |
ihrem „Inklusionstheater“-Ticket mit Bussen zu Inszenierungen jenseits des | |
Festivals gefahren. Zum Beispiel zum „Fliegenden Holländer“ an der | |
Staatsoper. Das postinklusive Theaterzeitalter war angebrochen. | |
Tatsächlich sind an Berliner Theatern seitdem mehr Produktionen mit oder | |
von behinderten Künstler*innen zu sehen und [1][Prozesse des | |
Zugänglichmachens] von Ausbildungen und Produktionsweisen angestoßen. Wie | |
schnell das Bewusstsein dafür jedoch vom Alltagsgeschäft verdrängt werden | |
kann, hatte zuletzt der internationale Tanzkongress in Dresden im Juni des | |
Jahres gezeigt. Er endete mit der Verlesung eines offenen Protestbriefes | |
vieler Künstler*innen und Kurator*innen, die im Namen derer sprachen, die | |
sich ausgeschlossen fühlten. Auch Turinsky hat unterschrieben. | |
## Wer produziert wen? | |
Daher geht es Turinsky kuratorisch auch um einen produktionsästhetischen | |
Blick. Wer produziert wen, wer choreografiert wen, in welchen Räumen, wer | |
trägt die Verantwortung, übernimmt das Controlling? Eine komplizierte | |
Blickrichtung, führt sie doch schnell zu der Forderung: Nur Gleiche dürfen | |
mit Gleichen arbeiten. „Nein“, meint Turinsky, der „eine | |
moralapostelschiefe Optik“ ablehnt: „Es besteht ein Unterschied zwischen | |
einer identitätspolitischen Verengung und blinder Aneignung“. | |
Das heißt, die Arbeit mit Differenzen verpflichtet. Zum Andersdenken. Zum | |
Andersmachen. Graubereiche findet Turinsky interessant. „Das halte ich für | |
gut, wenn es kompliziert wird!“, ruft er begeistert aus. | |
Die Probe aufs Exempel: eine Frage, die sich auf sein Essay für das | |
Programmheft von No Limits bezieht, in dem er mit einem Begriff Robert | |
McRuers „compulsory ableism“ (in etwa: vorausgesetzte, | |
behindertenfeindliche Qualitätsstandards) ablehnt. Wie verhält er sich in | |
dieser Beziehung als stark an Wissenschaft und Philosophie anknüpfender | |
Kurator nun zu einem Kollegen mit Lernschwierigkeiten? | |
## Gegen die Fetischisierung | |
Die Antwort fällt ihm nicht leicht. Aber bei aller Unterschiedlichkeit | |
körperlicher, kognitiver oder seelischer Behinderungen sieht er doch | |
verbindende Elemente: Ausgrenzungserfahrungen und Abweichungen. Wenn diese | |
nun nicht fetischisiert, sondern „zum Material werden, das in der Lage ist, | |
die Identität des behinderten Körpers genauso wie die Identität des Tanzes | |
zu verändern“, dann wird es für ihn interessant. | |
Kritisch mit der Frage von Fetischisierung und Spektakularisierung des | |
behinderten Körpers umzugehen, erwartet er aber auch vom Publikum. | |
Alles-Beklatscher-Zuschauer*innen will er nicht. Auf beiden Seiten gehe es | |
um eine „differenzierte Haltung“, darum, „den Widerspruchssinn zu erhalte… | |
– „mit Empathie, aber ohne Anbiederung“. | |
8 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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