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# taz.de -- Mittenmang-Festival in Bremen: Inklusiv ist subversiv
> Höchst unterhaltsam geht es beim Bremer Mittenmang-Festival um die Frage:
> Wer spricht für wen, wenn Menschen mit und ohne Behinderung Theater
> spielen?
Bild: Die Late Night-Show „Himmel Possible II“ ist ausdrücklich kein Himme…
Bremen taz | Eine kunterbunte Invasion gelenkiger Wesen erobert den
Touristenpfad vom Roland zum Theater am Goetheplatz. Professionelle
Performer hat der österreichische Choreograf Willi Dorner mitgebracht,
Bewegungskünstler von Tanzbar Bremen dazu gecastet, auch Blaumeier-Artisten
sind dabei. Sie verschlingen und verknoten sich ineinander, kuscheln
zusammen. Quetschen sich in Gebäudelücken. Hängen auf Automaten, umwickeln
Schilder oder beten einen Baum im Kopfstand an. Nur für jeweils wenige
Minuten erstarren alle zu Körperskulpturen. [1][Parkour] als Streetart für
Flaneure.
„Durch wortwörtliches Auffüllen von Zwischenräumen, die frei gelassen
wurden im Raumdesign der Stadtarchitektur, werden nicht nur Dimensionen
sichtbar, sondern es wird auch herausgestellt, wie der Körper einen
Gegensatz zur Architektur bildet und wie er deren Perspektive ändern kann“,
hat Dorner zu seinem „Bodies in urban space“-Projekt angemerkt, das zur
Gast ist beim [2][„Mittenmang“-Festival].
Vom 29. Mai bis 2. Juni findet es im, am und um das Theater Bremen herum
statt. Ein viriles Ereignis, bei dem ebenfalls Perspektiven verschoben
werden sollen. Eben Behinderung nicht als defizitär wahrzunehmen, also
etwas, das den hegemonialen Bildern von Schönheit, Professionalität und
Perfektion widerspricht, sondern als Potenzial, eben diese Konventionen zu
verändern.
Programm-Scout Georg Kasch findet derart arbeitende inklusive Theater „per
se subversiv“, weil sie das Verständnis von Normalität angreifen und dabei
ein hohes experimentelles Potenzial entwickeln. Denn Schauspieler, die sich
mit ungewohnter Sprechweise und nicht normierten Körpern jenseits des
klassischen Gesten-, Bewegungs- und Mimik-Repertoires ausdrücken, also
etwas Ungewohntes einbringen, ohne es auszustellen, fügen jedem
verhandelten Stoff unweigerlich eine andere Reflexionsebene hinzu. Es ist
der Wert der Differenz zu feiern.
Aber weniger die hübschen Überbaugedanken denn die konkreten
Festivalereignisse verorten „Mittenmang“ ebendort in der Gesellschaft. Was
ist neu bei der dritten Ausgabe des alle zwei Jahre stattfindenden
Veranstaltungsreigens? Da es seit 20 Jahren zunehmend selbstverständlich
wird, dass auch Menschen mit Behinderung auf der Bühne repräsentieren, geht
es jetzt um die Frage: Wer spricht dort für wen? „Wir wollen uns verstärkt
um die Zuschauer mit Handicap kümmern“, erklärt Andreas Meder, Kurator und
Organisator des Festivals von der extra für solche Events gegründeten
Kunst-und-Kultur-Abteilung der Lebenshilfe.
Damit erstmal alle verstehen, was von den Darbietungen zu erwarten ist,
sind die Programmhefttexte in zwei Versionen abgedruckt. In der Performance
„The way you look (at me) tonight“ fragen die schottische Künstlerin Claire
Cunningham und der US-Choreograf Jess Curtis, wie Menschen mit
unterschiedlichen Bedürfnissen einander wahrnehmen und miteinander leben
können. Dabei „entsteht eine soghafte Mischung aus philosophischem Essay,
Kontaktimprovisation, Hommage an das Hollywood der 1930er Jahre und einer
Liebesgeschichte, die niemanden kalt lässt“, behauptet der Werbetext.
Die Übersetzung in leichte Sprache klingt so: „Das Stück ist spannend und
aufregend.“ Da muss schon mal gefragt werden, warum bereits in der
Produktbeschreibung die Erlebnisebene vorgeschrieben wird. Gibt es das
Eintrittsgeld zurück, wenn Besucher der Abend doch kalt lässt und sie ihn
gar nicht aufregend finden?
Viel wichtiger sind aber zwei andere Serviceleistungen. Die Arbeit von
Cunningham/Curtis wird per Audiodeskription für Sehbehinderte besser
erlebbar gemacht, gleichzeitig auch der englische Stücktext in deutsche
Gebärdensprache übersetzt. Des Weiteren bieten die Veranstalter den Abend
als „relaxed performance“ an. Meder: „Jeder kann kommen und gehen, wann er
will, und wer sich von der Darbietung überfordert fühlt, für den stehen
Sitz- und Liegemöglichkeiten auf der Bühne bereit, eine Art miteinander zu
leben als Beispiel gleichberechtigter Teilhabe.“
Zwei Drittel des „Mittenmang“-Etats von 240.000 Euro steuert Aktion Mensch
bei, ein Drittel der Kosten teilen sich das Theater Bremen und das
Blaumeier-Atelier. Das prägt das Festival: Die Blaumeiers machen
Straßentheater auf dem Goetheplatz, veranstalten Konzerte, eine Lesung,
stellen Kunst im Theater aus und gestalten die Eröffnungsshow. Bei den
Gastspielen fallen bekannte Namen nicht zum ersten Mal auf. Etwa die
Theater Hora (Zürich) und Thikwa (Berlin).
Wo sind die neuen Gesichter? „Es gibt seit Jahren keine Neugründungen
inklusiven Theaters mehr“, antwortet Meder, „deswegen laden wir die
Etablierten regelmäßig ein. Das gewachsene Interesse bei Künstlern an
Zusammenarbeit mit Behinderten äußert sich heute eher punktuell in
Projekten.“ Dabei entwickelten sich die Aufführungsformate weg vom
klassischen Theater, hin zu Tanz und Performance. Auch das wird in Bremen
zu sehen sein.
28 May 2019
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Parkour
[2] http://www.mittenmang-festival.de
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Bremen
Inklusion
Festival
Menschen mit Behinderung
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