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# taz.de -- Abgeordneter über Inklusion im Kulturbereich: „Wir wollen Normal…
> Das Bremer Landesparlament beschäftigt sich mit der Frage, wie und unter
> welchen Bedingungen Menschen mit Beeinträchtigungen am Kulturleben
> teilhaben.
Bild: Die Theatergruppe „Blaumeier“ bei einem Auftritt in Bremen
taz: Herr Pirooznia, Sie bringen gerade die Inklusion des Kulturbetriebs
ins Bremer Landesparlament. Geht es da um mehr als nur die Rampen vorm
Stadttheater?
Nima Pirooznia: Es muss um mehr gehen! Die UN-Behindertenrechtskonvention
sagt ja eindeutig: Alle Menschen, ob mit Beeinträchtigung oder ohne, sollen
gleichermaßen an dieser Welt teilhaben können – und damit auch am
Kulturbetrieb. Die Frage ist jetzt: Wie weit sind wir? Die Konvention ist
von 2008, das ist eine ganze Weile her. Hat der Senat seine Hausaufgaben
gemacht, um die Zugänge zu ermöglichen? Und damit meine ich nicht nur das
Thema der Barrierearmut oder dass Museen ihre Exponate in der richtigen
Höhe hängen. Es geht darum, dass Kultur insgesamt inklusiv gedacht wird.
Also auch die Programme?
Die Inhalte, ja, aber auch die Kulturarbeit selbst. Beeinträchtigte
Menschen können genauso gute Inszenierungen machen wie andere – oder
bessere. Es müssen Wege in solche Jobs geschaffen werden und das gelingt
nur, wenn sich dies auf Augenhöhe abspielt.
Wie kriegen Sie das hin?
Es geht mir unter anderem um Ausbildungen in den Kulturbetrieben.
Künstlerische Professionalität fällt nicht vom Himmel. In der Ausbildung
wird nicht nur die künstlerische Persönlichkeit ausgebildet, sondern es
geht auch um die Vermittlung von künstlerischen Techniken, den Umgang damit
und wie sie individuell eingesetzt werden können. Und wenn die Menschen
erst mal da sind, wächst das zusammen. Wenn erst auch im Management
Menschen mit Beeinträchtigung sitzen, wird klar, wie wichtig Fahrstühle
auch in den Werkstätten sind.
In der UN-Konvention heißt es nur, Menschen mit Beeinträchtigung müssten
Räume haben, um sich künstlerisch betätigen können. Aber es gibt ja bereits
Gruppen, die inklusiv arbeiten.
Ja, vor allem in der freien Szene. Da hat das Thema historisch gesehen
seinen Ursprung in den 70er- und 80er-Jahren. Das sind zum Teil wunderbare
Projekte, aber es reicht nicht. Jetzt, nach 30 bis 40 Jahren, ist eine
veränderte Einstellung zu diesem Thema spürbar und auch in den großen
Häusern wächst das Bewusstsein. Was da genau passiert, wollen wir jetzt
wissen. Wie sehen die Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen mit
Beeinträchtigung aus? Und nicht nur auf den Ebenen Sicherheitsdienst oder
Reinigungskraft – sondern auch als Regisseurinnen, als Choreografinnen. Als
was auch immer.
Glauben Sie, Künstler und Künstlerinnen sind da weiter? Ist Inklusion in
der Kultur einfacher zu haben als in der Wirtschaft?
Geistig ist die Kunst da bestimmt sehr weit. Aber nichtsdestotrotz steht
man hier vor den gleichen Herausforderungen. Wenn wir Spielstätten und auch
subkulturelle Einrichtungen wirklich inklusiv denken wollen, bedarf das
einer Barrierefreiheit oder -armut, die es nicht für null Euro gibt.
Aber ist die Kultur in Bremen nicht jetzt schon unterfinanziert?
Wir haben in Bremen die Möglichkeit, ab 2020 ein bisschen mehr Geld in die
Hand zu nehmen. Deshalb müssen wir gerade jetzt herausfinden: Wo soll es
sinnvollerweise hinfließen? Klar ist auf jeden Fall, dass die Kultur für
die Gleichberechtigung zusätzliche Mittel braucht – nicht nur für die
baulichen Einrichtungen.
Sie haben immer Wert darauf gelegt, dass diese Gelder auch als Kulturmittel
bezeichnet werden und nicht unter Soziales fallen. Warum ist das wichtig?
Die Förderlandschaft ist ziemlich unübersichtlich. Da gibt es Bundesmittel,
es gibt Landesmittel und unterschiedliche Stiftungen. Da ist der
Inklusionsgedanke nicht unbedingt überall gleichermaßen berücksichtigt. Mir
ist wichtig, dass wir ausdrücklich über Kultur reden, nicht von sozialer
Arbeit oder so was. Das ist ein großer Unterschied für die Künstlerinnen
und ein Weg, da auch noch mal Bestätigung zukommen zu lassen. Man nimmt es
als Kulturarbeit wahr und nicht als einen Gefallen. Kulturelle Teilhabe ist
Teilhabe an der Gesellschaft.
Aber ans Strukturelle kommt man doch kaum ran. Sind es in der Kultur nicht
immer total individuelle Wege, die sich kaum verallgemeinern lassen? Nicht
mal die Künstlersozialkasse hat Zahlen zu Beeinträchtigungen ihrer
Mitglieder. Und wäre das nicht auch gegen das Diskriminierungsverbot?
Ich glaube, man muss da sehr sensibel fragen. Es gab auch bei unserer
Großen Anfrage im Bremer Landesparlament Punkte, die ich zunächst auf der
Agenda hatte und die ich dann fallengelassen habe. Man bewegt sich da schon
in seltsame Bereiche, die auch leicht einen falschen Zungenschlag bringen
können.
Zum Beispiel?
Wenn ich jetzt frage: Wie viele Menschen im Management haben eine
Beeinträchtigung? Damit diskriminiere ich ja schon und lasse Menschen nach
einem Merkmal heraussuchen. Wenn wir aber Normalität herstellen wollen,
können wir so nicht fragen. Das erinnert mich auch an Abfragen zu dunklen
Zeiten hier in Deutschland. Das ist wirklich ein Problem, und gut gemeint
ist hier nicht immer gut gemacht.
Stellen Sie sich mal vor: Ein kulturinteressierter Mensch mit geistiger
Beeinträchtigung kommt dank Fahrplan in einfacher Sprache mit der Bahn ins
Theater und scheitert dann am Programmheft auf Dramaturgisch. Da kann
Politik nichts mehr ausrichten, oder?
Nein, und das will ich natürlich auch nicht. Politik hat Kultur nicht
vorzuschreiben, was sie macht. Sie soll es auch nicht einmal entsprechend
bewerten. Ich glaube aber, dass es von allein besser wird, wenn wir die
Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten schaffen. Wenn die konkreten
Menschen erst da sind, dann wird sich das auch in den Inhalten
wiederfinden. Außerdem ist die Vielschichtigkeit ja sowieso in Ordnung. Wir
wollen keinen Kulturbetrieb, der nur Hochgestochenes macht, aber wir wollen
eben auch keinen, der ausschließlich in leichter Sprache arbeitet. Es gibt
Menschen, die mögen solche Texte, wie Dramaturgen sie schreiben, und setzen
sich gerne damit auseinander. Dieses Vielfalt gibt es auch zu bespielen.
Wenn nicht die Inhalte, was kann Politik dann überhaupt beeinflussen?
Wir können – wir müssen – Rahmenbedingungen schaffen, damit das Thema
Inklusion Normalität wird. Ich will nicht auf dem Thema herumreiten oder
irgendwelche Vorzeigeprojekte auf den Weg bringen, auf denen man sich dann
ausruhen kann. Wir müssen strukturell da ran und ich will wissen: Wie weit
sind wir heute? Wir haben in Bremen tolle Akteure, die vormachen, was
möglich wäre: Blaumeier oder die Blaue Karawane zum Beispiel. Da wird
einfach Kultur gemacht und jeder ist willkommen. Da wird inklusiv gedacht
und nicht in Kategorien wie „Die kann das nicht“ oder „Der hat diese
Schwäche“. Wir sind wie wir sind – und aus dieser Energie wird das meiste
rausgeholt, was geht.
8 Jan 2019
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Grüne Bremen
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