# taz.de -- Maler mit kognitiven Einschränkungen: Die Welt in ihrer Verschacht… | |
> Im Münchner Haus der Kunst werden Werke von MalerInnen mit kognitiven | |
> Einschränkungen vorgestellt – vielfältig wie wunderschön. | |
Bild: Michael Golz, Athosland, 1974 – 2018, Mischtechnik auf Papier, euward 8… | |
Das Athosland ist ein helles, freies und großes Land“, sagt die Stimme aus | |
dem Lautsprecher. „Es hat ein riesiges Eisenbahnnetz.“ Es sind Sätze des | |
Künstlers Michael Golz, das Gemälde wird auf die Wand projiziert. Zu sehen | |
ist ein riesiges Landkartengewirr: mäandernde Flüsse, Siedlungen, Wiesen, | |
mit Höhenlinien angedeutete Berge, Straßen und sehr viele | |
Eisenbahnschienen. Seit 1974 arbeitet Golz am „Athosland“, und es wird | |
immer größer. Der 1957 geborene Künstler hat eine kognitive Einschränkung, | |
wie es auf der Texttafel im Münchner Haus der Kunst (HdK) bezeichnet wird. | |
Dieser Kunst widmet sich eine kleine, aber sehr sehenswerte Ausstellung in | |
dem Haus am Englischen Garten. Per Videoprojektion werden in einem Raum 100 | |
Bilder von 58 KünstlerInnen gezeigt. Sie stammen aus dem Fotomaterial des | |
in München ansässigen euward-Archivs. Es handelt sich um [1][„herausragende | |
Arbeiten von Künstlern mit geistiger Behinderung“], schreibt die Augustinum | |
Stiftung dazu, die seit 20 Jahren den euward-Preis (european Art Award) | |
verleiht. Dieser ist laut HdK „der erste Kunstpreis von internationalem | |
Rang für Kunst im Kontext kognitiver Einschränkung“. | |
Die Bilder sind so vielfältig wie wunderschön. Teils farbenfroh, teils | |
schwarz-weiße Zeichnungen, gegenständlich oder abstrakt. Dimitri Pietquin | |
aus dem belgischen Sambreville hat einen roten Bus gemalt, Giulia Zini aus | |
Novellara in der Emilia Romagna ein blaues Rhinozeros. Sigrid Reingruber | |
(Gmunden in Oberösterreich) malt abstrakt, immer wieder sind farbige Kreise | |
und Ellipsen ihr Motiv. | |
## Futuristisches Stadtensemble | |
Auffällig ist, wie viele KünstlerInnen großformatige, komplexe, | |
verschachtelte eigene Welten malen. Es sind fantastische, ausufernde | |
Monumentalwerke. Neben dem „Athosland“ gehören dazu etwa die | |
Kugelschreiberzeichnungen des Kubaners Damian Valdes Dilla, der riesige, | |
futuristische Stadtensembles fertigt. Oder die feinst mit Bleistift | |
gezeichneten Stadt-Land-Himmel-Panoramen des Niederländers Tim ter Wal. | |
Bevor man die projizierten Bilder im hinteren Teil des Raumes sieht, | |
schafft die Kuratorin Sabine Brantl beim Eintreten erst einmal einen harten | |
Kontrast. Filme und Fotos vom 1937 eröffneten einstigen „Haus der | |
Deutschen Kunst“ sind zu sehen – dem von Adolf Hitler in Auftrag gegebenen | |
Nazi-Bauwerk, in dem sich seit der Nachkriegszeit das HdK befindet. Das | |
Gebäude mit großen Hakenkreuzfahnen, schwarze Limousinen bei der Eröffnung. | |
Fotos von Ausstellungen mit „deutscher“ Kunst, mit lieblichen Landschaften | |
und Skulpturen von röhrenden Hirschen. | |
Im Gegensatz dazu ein Filmausschnitt über die NS-Ausstellung „Entartete | |
Kunst“, auch in München, in der die Moderne geschmäht und verteufelt wurde: | |
Kandinsky, Kirchner, der Dadaismus – geisteskrank und pervers nach | |
Auffassung der Nazis. Zu sehen ist, wie sehr viel Publikum bei freiem | |
Eintritt in dieses Ausstellungs-Hetzwerk geht. Und nun im selben Haus die | |
euward-Bilder. | |
## Originale verstreut | |
Die Originale waren nicht herbeizubringen, so die Kuratorin Brantl: „Das | |
euward-Archiv hat sie nicht. Sie sind teils verkauft, bei den Künstlern | |
oder existieren nicht mehr.“ | |
Bewusst werden die Biografien der Künstler, ihre Behinderungen und | |
Lebensumstände in der Ausstellung weitgehend ausgespart. „Die Schau steht | |
nicht im Kontext sozialen Engagements“, sagt Brantl, „sondern im | |
Kunstkontext.“ Dass Menschen mit geistigen Behinderungen große Kunst | |
schaffen können, steht mittlerweile nicht mehr in Frage. | |
Das war etwa 1999 noch nicht der Fall. Als die Augustinum Stiftung, die | |
ansonsten im wesentlichen noble Seniorenheime betreibt, beim damaligen | |
HdK-Direktor Christoph Vitali anfragte, lehnte dieser mit der Begründung | |
ab, Behinderung sei ein „kunstfremdes Kriterium“. | |
Das HdK stellt nun fest, dass diese Kunst – frühester Vorläufer ist die Art | |
Brut in den 1940er Jahren in Frankreich – in der Öffentlichkeit immer mehr | |
Aufmerksamkeit erfährt. Die Kuratorin Sabine Brantl sieht aber noch zu | |
wenig Möglichkeiten, um die Künstler und ihr Potential fachlich zu fördern. | |
An Kunsthochschulen etwa können sie nicht studieren. | |
29 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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