# taz.de -- Mixed-able-Ensemble tanzt Social Media: Der Zwang, medial präsent … | |
> Yanel Barbeito kam gelähmt zur Welt. Nun wirkt die kubanische Künstlerin | |
> bei der DIN A 13 Tanzcompany in Köln und Berlin auf der Bühne mit. | |
Bild: Yanel Barbeito bei Proben in Köln | |
Als sie das erste Mal nach Deutschland kam, war sie noch ein junges | |
Mädchen. Im zarten Alter von sieben Jahren brachte ihr Vater Yanel Barbeito | |
nach Ostberlin. Sie konnte weder laufen noch sprechen, und weil in Havanna | |
alle Behandlungen ausgereizt waren, sollten die Ärzte im Klinikum Buch | |
helfen. | |
Das Krankheitsbild war schwierig: Die kleine Yanel hatte einen Moment zu | |
lange gebraucht, um auf die Welt zu kommen. Vielleicht vier, fünf Sekunden. | |
Das führte zu einer Sauerstoffarmut, die eine kurze Lähmung des Gehirns | |
hervorrief. Deshalb konnte sie ihre Arme und Beine zunächst gar nicht | |
bewegen. Mediziner nennen das infantile Zerebralparese. | |
Doch die Kubanerin hat ihre eigene Erklärung für die verspätete Geburt: | |
„Ich hielt mich im Bauch meiner Mutter versteckt, um nicht zu sehen, was | |
draußen passierte.“ | |
37 Jahre später ist Yanel Barbeito nach Deutschland zurückgekehrt. Sie | |
steht auf einer Bühne in der Kölner Wachsfabrik und probt mit der DIN A 13 | |
Tanzcompany das Stück „Updating you“. Sie kniet auf dem Boden, springt | |
hoch, wirft die Hände nach oben und lässt sich wieder fallen. Gemeinsam mit | |
dem Rollstuhlfahrer Fabian Dirla und drei weiteren Tänzerinnen und Tänzern | |
bewegt sie sich selbstbewusst aus dem Dunkel des hinteren Bühnenbereichs | |
nach vorne. | |
## Sie spricht von Sex | |
Dann tanzt sie im Duo mit einem körperlich unbeeinträchtigten Partner, | |
kokettiert mit ihren weiblichen Reizen und spricht von Sex. Er lacht – | |
vielleicht über sie, vielleicht auch über sich selbst. Wer ihr in diesem | |
Moment zuschaut, glaubt nicht, dass die heute 44-Jährige in ihrer Kindheit | |
zu kaum einer körperlichen Bewegung fähig war. | |
Zwischen den vier Jahren im sozialistischen Berlin und den Proben in den | |
schwarz gestrichenen Räumen des Theaters der Kölner Wachsfabrik liegt eine | |
außergewöhnliche Karriere, die mit einer ebenso außergewöhnlichen | |
Behandlung begann. Die Ärzte im Klinikum Buch gingen davon aus, dass | |
Patienten besser gesunden, wenn man ihre künstlerischen Begabungen fördert. | |
Deshalb brachten sie dem kubanischen Mädchen Kunst und Musik nahe. | |
Das Malen habe sie gelangweilt, erinnert sie sich heute. Im Chor sei sie | |
nicht lange geblieben, weil sie nicht habe singen können, und auch das | |
Theaterspielen sei nicht ihre Sache gewesen. Also begann Yanel Barbeito zu | |
tanzen: „Das hat mir geholfen und dabei bin ich geblieben.“ | |
## Andere haben sie nicht akzeptiert | |
Noch immer fällt ihr das Sprechen nicht leicht, jeder Satz erfordert | |
Konzentration, und nicht immer ist es einfach, sie zu verstehen. Doch | |
inzwischen hat sie sogar ihr Deutsch wieder aufgefrischt. Sie erzählt von | |
der Rückkehr nach Havanna im Jahr 1982, davon, wie sie von der Direktorin | |
des kubanischen TV-Balletts entdeckt wurde. | |
Auf der Fernsehbühne begann sie ihre professionelle Arbeit als Tänzerin und | |
Choreografin. Bis heute ist sie dort tätig. „Andere Theatergruppen haben | |
mich wegen meiner Behinderungen nicht akzeptiert“, erinnert sie sich und | |
schüttelt darüber auch heute noch den Kopf, weil sie es nicht verstehen | |
will. | |
Nicht nur die berufliche Karriere verdankt die Kubanerin ihrem Aufenthalt | |
im Klinikum Berlin-Buch. Auch ihr Selbstbewusstsein als Mensch mit | |
körperlichen Besonderheiten, wie sie sich selbst versteht, sei gewachsen: | |
„Die Deutschen haben mich gelehrt, Hilfe anzunehmen.“ Bis heute gingen | |
behinderte Kinder in Kuba nicht auf die Straße, sagt sie. „Geschweige denn, | |
dass sie um Unterstützung bäten, wenn sie in einen Bus einsteigen wollen.“ | |
## Optimistische Lebenskünstlerin | |
Der Zufall wollte es, dass Yanel Barbeito jetzt in Deutschland tanzt. Vor | |
ein paar Jahren hatte sie über umständliche Wege Kontakt zu Dirk Tscherntke | |
aufgenommen – einem Freund aus den Ostberliner Tagen. Vergangene Herbst lud | |
der ehemalige Mitschüler seine Schulfreundin ein. Es sollte eine | |
Urlaubsreise werden, doch die stets agile und optimistische | |
Lebenskünstlerin ist einfach geblieben. | |
Gemeinsam mit ihrem Mann Omar Gomez kämpft sie sich seither durch | |
EU-Aufenthaltsbestimmungen, besucht Tanzprojekte und kontaktiert alte | |
Bekannte. So landete sie auch beim DIN-A-13-Ensemble. | |
Mit Erfolg. Seit März probt sie mit dem Kölner Team, das professionelle | |
Tänzerinnen und Tänzer mit und ohne Behinderungen vereint. Wenn heute die | |
Premiere von „Updating you“ in der Kölner Wachsfabrik stattfindet, wird sie | |
erstmals auf einer deutschen Bühne öffentlich auftreten. | |
Nein, nervös sei sie nicht, aber sehr gespannt auf das neue Publikum, sagt | |
die kubanische Künstlerin. Es geht um Liebe in Zeiten des Internets, um | |
Porno-Portale, darum, dass sich persönliche Beziehungen immer mehr in den | |
virtuellen Raum verlagern. „Wir beschäftigen uns mit den zunehmenden | |
Abhängigkeiten vom digitalen Netz, mit dem Zwang, ständig in den sozialen | |
Medien präsent sein zu müssen“, erklärt die Choreografin Gerda König. | |
## Dauerpräsenz des Netzes | |
Die Allgegenwärtigkeit des Digitalen ist unübersehbar: Immer wieder blicken | |
die Tanzenden wie gefesselt in imaginäre Smartphones, auch fünf auf der | |
Bühne verteilte Leinwände reflektieren eine Dauerpräsenz des Netzes, wie | |
wir sie aus jeder öffentlichen Sphäre kennen. | |
Während die Künstler mit zwanghaft grinsenden Gesichtern tanzen, blicken in | |
Videofilmen Menschen depressiv in die Kamera. Die Clips schickten User über | |
Facebook, denn auch das ist das Konzept von „Updating you“: „Wir wollten | |
möglichst viele Menschen über das Internet in den Entwicklungsprozess | |
einbinden“, erläutert Gerda König. | |
Wer vorab Ideen oder Material einspeisen, die Dramaturgie beeinflussen oder | |
die Proben verfolgen wollte, konnte via Facebook, Chats oder Livestream | |
dabei sein. | |
Der Plan, die Netzgemeinde als kritische Begleiterin einzubinden, ließ sich | |
nur schleppend umsetzen. Es dauerte, bis Rückmeldungen aus dem digitalen | |
Raum kamen. Doch nun steht die Performance. Im Laufe des permanenten | |
Updatings verschmolzen die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt zu | |
einem Gesamtspektakel. | |
## „Ich aktualisiere mich“ | |
Für Yanel Barbeito, die ihr Leben fast nur auf der sozialistischen Insel | |
verbracht hat, ist der Plot eine besondere Herausforderung. Denn bis heute | |
ist der Zugang zum Internet in Kuba nur sehr beschränkt möglich. Die im | |
Tanztheater inszenierte Alltäglichkeit des Digitalen existiert nicht. Aber | |
die Tänzerin sucht Herausforderungen. Es scheint, als motivierten sie | |
besonders schwierige Aufgaben noch mehr. | |
Barbeito sagt: „Updating you heißt ja, ‚aktualisiere dich‘. Für mich | |
bedeutet das, etwas zu leben, was ich in Kuba nicht gelebt habe. Ich | |
aktualisiere mich. Ich bin die Yanel, die ich seit Langem sein will und | |
nicht sein konnte.“ | |
Dabei ist es nicht nur das Thema, sondern vor allem die besondere | |
Arbeitsweise, die ihr neue Wege weist. „Ich war nie mit Menschen auf der | |
Bühne, die ebenfalls andere Fähigkeiten hatten und sich anders bewegten als | |
die Mehrheit“, sagt sie. Bei der 1995 von Gerda König gegründeten DIN A 13 | |
Tanzcompany ist dieses Andere Konzept. | |
## Das Fremde produktiv machen | |
Das Fremde oder Ungewöhnliche soll nicht vertuscht, sondern produktiv | |
gemacht werden. „Mir geht es darum, gerade diese Besonderheit von Körpern, | |
von Bewegungsqualität, von Ästhetik zu nutzen, um diese choreografisch in | |
die einzelnen Produktionen zu übersetzen“, erklärt die Choreografin, die | |
selbst im Rollstuhl sitzt. Mit solchen Mixed-abled-Ensembles hat sie | |
bereits an zahlreichen Orten gearbeitet: Ghana, Kenia, Südafrika, Sri | |
Lanka, Brasilien, Venezuela, Israel. | |
Für Yanel Barbeito ist durch den Ansatz der Tanzcompany etwas in den | |
Hintergrund gerückt, was ihr Leben wie kein anderes bestimmte: die | |
Erniedrigungen, die sie aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen täglich | |
erlebt. Die Blicke auf der Straße, die ständigen Kämpfe, um ernst genommen | |
zu werden. „Hier fühle ich mich einfach wie eine Tänzerin unter mehreren“, | |
sagt sie, „das Problem der körperlichen Differenz oder der anderen | |
Fähigkeiten erscheint so einfach veraltet oder aufgehoben.“ | |
12 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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