| # taz.de -- Pina-Bausch-Ausstellung in Bonn: Verführung und Erniedrigung | |
| > Eine fulminante Schau zeichnet das Werk der Ausnahme-Choreographin Pina | |
| > Bausch nach. Doch wie lässt sich Tanz ins Museum transportieren? | |
| Bild: Pina Bauschs getanzter „Vollmond“ von 2006 | |
| „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen“, hat Pina Bausch | |
| einmal gesagt, „sondern, was sie bewegt.“ Und nun das: Im Zentrum der | |
| ersten und allein dadurch schon revolutionären Schau zum Werk der Tänzerin | |
| in der Bonner Bundeskunsthalle steht die Rekonstruktion ihres Probenraums, | |
| steht die „Lichtburg“, ein im Stil der 50er Jahre nachgebauter Kinosaal. | |
| Hier tanzen Laien (unter Anleitung von Tänzern der Wuppertaler Kompanie) | |
| Frühling, Sommer und Herbst aus dem Stück „Nelken“ nach, um mit letzter | |
| Konzentration den Winter halt auch noch irgendwie hinzurütteln. | |
| Bis gerade haben die Besucher die akribischen Notizen, Programmhefte und | |
| Probenpläne studiert, die Polaroids zur Anleitung der Tanztruppe. Jetzt | |
| umgibt samtiges Grün die „Tänzer“. Hohe Spiegel. Kleiderstangen mit | |
| Kostümen. Gnädiges Vanille-Licht. Ausdruckstanz mit der Bonner Boheme fühlt | |
| sich irgendwie nicht sinnlich an. | |
| Und doch. Die Aufgabe, die sich die beiden Kuratoren (der Sohn der Tänzerin | |
| und Vorsitzende der Pina Bausch Foundation, Salomon Bausch, und die | |
| Choreografin Miriam Leysner) gestellt haben, ist keine leichte: Kann man | |
| Tanztheater überhaupt in Fotografien, Installationen, mit Musik von Tom | |
| Waits, durch Notizen, in der Interaktion und durch einen | |
| innenarchitektonischen Versuch nacherzählen? Man muss sagen: Die Aufgabe | |
| wurde auf eine Weise gelöst, wie es besser kaum geht. Etwas neu sehen, | |
| etwas zum allerersten Mal selbst tun – was könnte Leben und Arbeit von Pina | |
| Bausch im tiefsten Kern mehr treffen? | |
| „Wenn man etwas, das normalerweise draußen ist, nach innen in ein Theater | |
| holt“, so Pina Bausch in ihrer Rede „Was mich bewegt“ zum Kyoto-Preis 200… | |
| „dann öffnet das den Blick. Plötzlich sieht man Dinge, die man zu kennen | |
| glaubt, ganz neu – wie zum ersten Mal.“ Und: „Es geht darum, für das Leb… | |
| eine Sprache zu finden.“ Beides gelingt der Schau in Bonn. | |
| ## Schwanenfedern rupfen | |
| Die Tochter einer Gastwirtsfamilie, 1940 in Solingen geboren und 2009 in | |
| Wuppertal verstorben, lernt ab 1955 an der Folkwangschule unter Kurt Jooss, | |
| beendet dann ihre tänzerische Ausbildung in New York. Ihr Weg führt sie | |
| zurück nach Essen, bevor sie in den frühen 1970er Jahren unter dem | |
| Intendanten Arno Wüstenhöfer als Choreografin in Wuppertal anfängt. | |
| Parallel zur Entwicklung des Regietheaters, der Studentenbewegung und des | |
| politischen wie künstlerischen Feminismus wächst auch der Anspruch an den | |
| modernen Tanz, die Wirklichkeit neu und anders abzubilden. Klassisch | |
| trainierte Körper zwingt Bausch in fremde Posen. Der Anspruch des | |
| klassischen Balletts, dem Bewegungsfluss auf der Bühne jene poetische | |
| Leichtigkeit zu verleihen, die ein schwitzender, schmerzender Körper aus | |
| der Nähe besehen nun mal nicht hat, wird erweitert um eine existenzielle | |
| Daseinskomponente – um Lärm, Geruch, Zerstörung. Unter Bauschs Anleitung | |
| wird Bühnentanz zur kreatürlichen Gesamterfahrung. Aus Ballett macht sie | |
| „Tanztheater“. Fragen, die Pina Bausch ihren Tänzern vorlegt, inspirieren | |
| sie zu Choreografien um Angst, Verführung, Liebe, Erniedrigung und die | |
| Frage, wie nah genau zu nah ist. | |
| Das Elend der körperlichen Vollverausgabung, vom klassischen Ballett mit | |
| Tüll und Schwanenfedern behängt, wird gerupft und ungeschönt auf die Bühne | |
| gehoben – und dort zum theatralischen Darstellungsmittel gemacht. Bausch | |
| überzeichnet körperliche Anstrengung bis zum existenziellen Schmerz, der | |
| den Zuschauer in Demut zurücklässt. | |
| In Bonn – und ab September in Berlin – wird die Visionärin gekonnt | |
| heruntergebrochen auf Normaloniveau. Ihr Archiv soll zugänglich werden. | |
| „Das Werk von Pina Bausch können wir hier nicht zeigen“, sagt Salomon | |
| Bausch. „Die Stücke finden auf der Bühne statt. Wer ihr Werk erleben will, | |
| muss ins Theater nach Wuppertal gehen.“ Ein Begleitband mit | |
| Interviewnotizen, zusammengestellt von Kunstautor Stefan Koldehoff, ergänzt | |
| die Schau, die vermittelt, was auf der Bühne nicht erfahrbar ist: wie man | |
| in der Mittagspause einen Winter tanzt. | |
| 21 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hanna Schmeller | |
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