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# taz.de -- Zum 10. Todestag von Pina Bausch: Die Nelkenlinie in Paris
> Wie das Gras wächst und der Regen fällt, auch davon erzählen die
> Tanzstücke von Pina Bausch. Zehn Jahre nach ihrem Tod leben sie weiter.
Bild: Pina Bausch auf dem Festival „Basel tanzt“ im Jahr 2003
Am 30. Juni 2009 starb Pina Bausch, wenige Tage nach einer Krebsdiagnose,
mit 68 Jahren. An ihrem 10. Todestag in diesem Jahr wird das Théâtre de la
Ville in Paris ihrer gedenken, mit einem filmischen Porträt der
weltberühmten Choreografin von Anne Linsel und der „Nelkenlinie“.
Die stammt aus dem Stück „Nelken“ von 1982 und ist inzwischen zu einem
besonderen Botschafter von Pina Bauschs Tanztheater geworden, mit Laien,
Amateuren an vielen Orten, in Vancouver, Berlin, Peurgia, Athen, eingeübt.
Sie besteht aus vier kurzen Bewegungs-Sequenzen für Frühling, Sommer,
Herbst und Winter: Die Finger ahmen das wachsende Gras und den fallenden
Regen nach, die Hände bilden die hochstehende Sonne des Sommers und
schlagen in der Winterkälte zitternd aneinander, während die Tänzer in
einer langen Reihe hintereinanderher schreiten.
Aber nicht nur die Tänzer des Tanztheaters Wuppertal, das gerade für
mehrere Tage in Paris gastiert, werden sich am 30. Juni an der Prozession
der sprechenden Arme und Hände beteiligen, sondern auch
Workshop-Teilnehmer, die damit schließlich am Nachmittag über die
Champs-Elysées ziehen und Pina Bausch in der Stadt tragen.
Ihr Tanztheater ist eines der großen Zärtlichkeit und der Leidenschaft,
gebaut aus vielen kleinen Gesten, die sich in langen Bewegungslinien
verbinden; aus Geschichten, Erinnerungen und pointierten Beobachtungen in
kleinen Szenen, eingebettet in großartige Bühnenbilder, Welten aus Laub und
Wasser, manchmal gar mit Bergen auf der Bühne. Viele Rollen sind auf die
TänzerInnen zugeschnitten, mit ihnen entwickelt in Proben, in denen Pina
Bausch ihnen Fragen stellte und Aufgaben gab, die zu vielfältigen
Protokollen von Alltäglichem, Empfindungen, Wahrnehmungen, Wünschen und
Träumen führten. Heute hat das Ensemble 32 Mitglieder, von denen die Hälfte
noch mit Pina Bausch gearbeitet hat.
## Ein tänzerisches Erbe ohne Testament
An ihren Stücken gibt es an vielen Theatern weltweit ein großes Interesse.
In der kommenden Spielzeit tanzt das Tanztheater Wuppertal in der Stadt, in
der Pina Bausch es vor 46 Jahren gegründet hat, 32 mal und spielt ebenso
oft auf Tournee in Europa und den USA neun Stücke aus dem Repertoire.
Aber dennoch ist die Frage offen, ob das Tanztheater Wuppertal auch eine
Zukunft hat, die mehr umfasst, als das Werk von Pina Bausch lebendig zu
halten. Auch zehn Jahre nach ihrem Tod fällt dieser Umbruch schwer. Die
Choreografin hat ein großes tänzerisches Erbe hinterlassen, aber ohne
Testament, großenteils ohne Verfügungen, wer ihre Choreografien tanzen
darf. Bisher gibt es erst zwei Stücke von neuen Choreografen im Repertoire.
Über 45 Jahre hat Jo Ann Endicott, eine Tänzerin mit großem Witz und
Entschiedenheit, mit Pina Bausch gearbeitet. Sie gehört zu den wenigen, die
autorisiert sind, ausgewählte Choreografien von Pina Bausch wie „Das
Frühlingsopfer“ mit anderen Compagnien einzustudieren, etwa mit der Royal
Ballet in London und demnächst mit der École des Sable im Senegal.
In dem Film „Mein Tanz mit Pina“, der vergangenes Wochenende auf 3sat lief,
erzählt sie nicht nur von dem Reichtum der Zusammenarbeit, der engen
Verbundenheit mit der Choreografin und der Fassungslosigkeit nach ihrem
Tod, sondern lässt auch das Problematische der Beziehung aufscheinen, das
Gefressenwerden von den Forderungen der Tanztheater-Chefin mit Haut und
Haaren, den hohen Einsatz, den Pina Bausch von ihrem Ensemble forderte. Aus
diesem Bannkreis herauszutreten, war und ist nicht einfach. Auch deshalb
ist es für das [1][Tanztheater Wuppertal] schwer, zu neuen Ufern
aufzubrechen.
Überschattet wurde der Versuch eines Übergangs zudem von einem Rechtsstreit
im vergangenen Jahr. Die Intendantin Adolphe Binder, die 2017 als erste von
außen an das Haus geholt wurde, war im Sommer 2018 vom Beirat gekündigt
worden, mit teilweise ungerechten Vorwürfen. Auch der damalige
Geschäftsführer ist inzwischen gegangen. Adolphe Binder hat gegen die
Kündigung geklagt und vom Arbeitsgericht in Wuppertal im Dezember 2018
Recht bekommen. Tanztheater und Stadt wollen in Berufung gehen.
## Man denkt groß in Wuppertal
Seit Januar 2019 ist Bettina Wagner-Bargelt Intendantin, die zusammen mit
der Pina Bausch Foundation, die von Pina Bauschs Sohn Salomon geleitet
wird, den Spielplan für die nächste Spielzeit, zehn Jahre nach dem Tod der
Leiterin vorgestellt hat. Ältere Stücke von Pina Bausch, die nicht mehr im
Repertoire sind, werden wieder aufgenommen. Fünf ChoreografInnen sind zu
einer Zusammenarbeit mit dem Ensemble eingeladen, darunter Sidi Larbi
Cherkaoui, Helena Waldmann und Rainer Behr, langjähriges Ensemble-Mitglied.
Ein Abendprogramm der Begegnung soll daraus entstehen. Das klingt erstmal
sehr verhalten nach Aufbruch und Öffnung für neue Impulse.
Die Pina Bausch Foundation, die an der Erschließung und Digitalisierung des
Pina-Bausch-Archivs gearbeitet hat, will nun ab der Spielzeit 2019/20
zunächst Materialien zu fünf Produktionen online stellen. Das könnte zu
einer Ressource auch für andere Tanz-Ensembles werden, sich mit Pina Bausch
auseinanderzusetzen.
Zudem denkt man inzwischen groß in Wuppertal, ein Pina Bausch Zentrum ist
geplant, das neben dem Tanztheater Wuppertal und der Bausch Foundation noch
von zwei weiteren Partner getragen wird und einen eigenen Sitz im
ehemaligen Schauspielhaus erhalten soll. Das Haus aus den 60er Jahren steht
unter Denkmalschutz und seit 2013 Jahren leer wegen Sanierungsbedarfs.
Zuvor wurde die Bühne lange Jahre von Pina Bausch genutzt.
Die Bestrebungen, die Tanzstücke von Pina Bausch weiter lebendig zu halten,
sind also groß und werden von vielen getragen, die ihr Werk als kulturellen
Schatz und ihren Namen als Marke halten wollen. Für die Fähigkeit ihrer
Stücke, über mehrere Generationen hin als Kunst verstanden und genossen zu
werden, gibt es ein gutes Beispiel. 1978 entstand das Stück „Kontakthof“,
das damals sehr viel über die Geschlechterverhältnisse, männliche und
weibliche Rollenklischees erzählte.
Im Jahr 2000 ließ es Pina Bausch von „Damen und Herren ab 65“ einstudieren,
2008 von Teenagern ab 14. Obwohl die Musik, die Gesten, die Schritte und
Szenen immer die gleichen waren, veränderte es doch jeweils seinen
Charakter, stellte andere Fragen an die Einübung der Rollenmuster, das
Verhältnis zum eigenen Körper. Das war nicht zuletzt eine tröstliche
Erfahrung, wie sich ein Stück durch die InterpretInnen auch verändern kann
und daran wächst.
30 Jun 2019
## LINKS
[1] /Intendantin-des-Tanztheaters-Wuppertal/!5553276
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Pina Bausch
Tanztheater
Wuppertal
Tanzerbe
Kulturpolitik
Pina Bausch
Kunstfreiheit
Ballett
Tanz
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