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# taz.de -- Tanz-Festival in Berlin: Das Einsaugen der Welt
> Gerade läuft das Berliner Festival Tanz im August. Sehenswert ist etwa
> die spannende Performance der Kanadierin Daina Ashbee.
Bild: Immer spielerischer werden die Verschränkungen der Körper in Daina Ashb…
Bhakti war auch da. Er ist ein kleiner schwarzer Hund und gehört der
kanadischen Choreografin Daina Ashbee. Freudig begrüßte er nach der
Premiere ihres Stücks „J'’ai pleuré avec le chiens“ die sechs
Performer:innen. Man kann sich Bhakti, auch Shadow genannt, als einen guten
Geist denken, der für dieses Stück mit seinen vielen animalischen und
spirituellen Bezügen keine kleine Rolle gespielt hat.
Als „J’ai pleuré avec le chiens“ beginnt, fällt noch Tageslicht durch d…
hohen Fenster der entkernten St. Elisabethkirche, einem der schönsten
Spielorte [1][des Festivals Tanz im August in Berlin]. Während das Publikum
Platz nimmt, tapsen fünf Tänzerinnen und ein Tänzer als Vierfüßler auf
Händen und Knien über den hellen Tanzteppich, setzen sich kurz zwischen die
Zuschauer, krabbeln diagonal über das Feld, hocken sich vor unsere Füße. So
beginnt das Stück mit einer ungewohnt zutraulichen Nähe, einer
unaufdringlichen Aufhebung der Distanz.
Am Ende der Performance ist es draußen und drinnen fast dunkel, die sechs
Körper bilden ein Rudel in der Mitte des Raums, unruhig heulend. Doch
zwischen diesen beiden animalischen Stationen haben ihre Körper viele
Transformationen durchlaufen, die sich zwar oft nicht konkret benennen
lassen, aber doch deutlich von unterschiedlichen Zuständen und
Energieformen erzählen, die durch die Körper fließen und uns, die
Zuschauenden mitziehen. Das hat manchmal auch etwas von einem Ritual.
## Formen der Gemeinschaft alles Lebendigen
Dieses Jahr hat das zum neunten und letzten Mal von Virve Sutinen
kuratierte Festival mehrere Projekte im Programm, die mit indigenen
Künstlern, ihren Geschichten und Mythologien oder Weltbildern arbeiten.
Dazu gehört „[2][The answer is land“ der samischen Choreografin Elle Sofe
Sara] (12. + 13. 8., HAU 1) und von der in Berlin lebenden
[3][kolumbianischen Choregrafin Martha Hincapié Charry] das [4][Solo
„Amazonia 2040“], das sich mit Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft des
Regenwalds beschäftigt.
Dazu gehört auch Daina Ashbees Arbeit. Denn alle diese Stücke verbindet die
Suche nach Formen der Gemeinschaft zwischen allem Lebendigen, eine
Kohabitation, die mehr als Mensch und Tier umfasst.
„Time, creation, destruction“, diese drei Begriffe ergänzen den Titel von
Daina Ashbees Stück, das in 80 Minuten eben auch Welten entstehen und
vergehen lässt. Die anfangs bekleideten Performerinnen sind bald nackt.
Atemzüge und Laute werden durch die Körper gepresst, die etwas
Allumfassendes haben. Die Stimmung wandelt sich vom Mythischen und
Magischen zum Spielerischen und Artistischen.
Sie bilden Paare, stellen sich auf den Rücken der anderen oder schweben von
den Füßen und Händen der Liegenden getragen in der Luft. Teils fordern sie
sich in einem Wettbewerb heraus, immer gewagtere Positionen einzugehen.
Aber auch das Spiel kippt wieder in andere Zustände, knurrende Bedrohung
entsteht, ein Zittern und Unwohlsein im angespannten Körper, das sich in
kläffendem Gebell entlädt.
Wo und wann man sich in Daina Ashbees Stück befindet, ist schwer zu
entscheiden; es ist vielleicht ein der Geschichte entzogener Raum der
Begegnung von Geistern und Körpern und den Erinnerungen, die in Haut,
Knochen, Blut und Herz wohnen.
## Körperliches Mitempfinden
Aus Statements der Choreografin geht hervor, dass für sie diese
Konzentration auf das körperliche Ereignis und die Ferne zu den Mustern der
Geschichte aus einem Impuls entsteht, die kolonialistische Ordnung
zurückzuweisen und nach einer Wahrheit jenseits zu suchen. Man kann dies
nachlesen, etwa [5][auf ihrer Website] oder im [6][Magazin von Tanz im
August]. Im Erlebnis der Performance erschließt sich dies nicht unbedingt.
Dafür ist ihr Spannungsbogen sehr dicht gebaut, getragen von
minimalistischen Sounds. Die anfangs aufgebaute, unaufgeregte Nähe zwischen
Zuschauern und Performern schafft eine Atmosphäre, die einem imaginären
Nachempfinden der intensiven körperlichen Momente sehr zugute kommt.
Obwohl die Performenden nackt sind und einige Tänzerinnen in gespreizten
Stellungen den Blick auf ihre Scham freigeben, steht Sexualität dabei nicht
im Vordergrund. Eher ein Einsaugen der ganzen Welt mit jedem Luftholen und
ein Austausch mit ihr in jedem Ausatmen.
10 Aug 2022
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5870294&s=Tanz+im+August&SuchRahmen=Print/
[2] https://www.tanzimaugust.de/produktion/detail/elle-sofe-sara-vastadus-eana-…
[3] /Gruenderin-ueber-Festival-Plataforma/!5607218
[4] https://www.tanzimaugust.de/produktion/detail/martha-hincapie-charry-amazon…
[5] https://www.dainaashbee.com/
[6] https://www.tanzimaugust.de/magazin/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Tanz
Festival
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Mythologie
Kanada
Tanz im August
Musik
Tanz im August
Zeitgenössischer Tanz
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