Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Choeografin Kasia Wolinska: Die Freude zu lernen
> Die Choreografin Kasia Wolinska ist als Forscherin in den Geschichten der
> Künste unterwegs. Ihr Stück „Kiss“ ist eine Hommage an die Musik von
> Prince.
Bild: Die polnische Tänzerin und Choreografin Kasia Wolinska
Einen Mangel verspüren, etwas ungenügend finden, nicht zufrieden sein mit
ihrem Wissen und ihren Skills: Davon erzählt Kasia Wolinska immer wieder
während unseres Gesprächs im Radialsystem. Dort hat am 28. Juli ihr Stück
„Kiss“ Premiere. Die Tänzerin und Choreografin ist wissbegierig, neugierig
und lernwillig und die Arbeit an einer Choreografie ist deshalb für sie
auch ein Weiterbildungsprojekt.
„The key to longevity is learning every aspect of music that you can“,
dieses Zitat von Prince hat Kasia Wolinska der Ankündigung ihres Stücks
vorangestellt und nur das Wort „music“ durch „dance“ ersetzt. [1][Prince
posthum veröffentlichtem Album „Piano & A Microphone“] gilt ihr Stück. Es
ist, sagt Wolinska, ein „Dokument der Musikgeschichte, sehr bescheiden für
ihn, eingespielt ohne Publikum, nur er am Klavier“, das erst nach seinem
Tod gefunden und veröffentlicht wurde.
Zwölf Wochen konnte sie mit den beiden Tänzerinnen Julek Kreutzer und
Hinako Taira proben, um jedem der neun Songs tänzerisch einen eigenen
Charakter zu geben. Einen Song nahmen sie sich pro Woche vor, jedes Mal mit
anderem Bewegungsmaterial, um in den letzten drei Wochen alles
zusammenzusetzen. Tapdance, Housedance, Hip-Hop, Footwork, etwas Jazz,
etwas Ballett, es fließt in die Interpretation der Klavierstücke auch eine
vielfältige Tanzgeschichte ein.
Dass Tanz sich aus unterschiedlichen Quellen speist, klingt erst mal banal.
Aber für Kasia Wolinska liegt darin eine Herausforderung, der Sache auf den
Grund zu gehen, den kulturellen, historischen und politischen Kontext der
Bewegungen zu recherchieren. „Im Tanz kennt man viele Techniken, aber oft
nicht die Geschichte dazu“, das sieht sie als einen Mangel. Am Tanz
beschäftigt sie nicht nur seine ästhetische Seite, sondern auch, wo seine
Praxis spirituell verwoben war.
## Tanz und Politik
Ihr Interesse gilt zum Beispiel [2][Isadora Duncan, der Pionierin eines
freien Tanzes], die in Europa sehr gefeiert wurde. Deren allegorische Tänze
hatten auch politische Ziele, so setzte sie sich für die russische
Revolution ein, mit einem Stück zur Musik der Marseillaise, und gab
Gastspiele in Moskau. Das hat ihr in den postsowjetischen Ländern bis heute
eine andere Bekanntheit eingebracht als im Westen.
Wie unterschiedlich die Geschichte im Osten und im Westen beurteilt wird,
was im Osten und was im Westen bekannt ist aus den Geschichten der Künste,
beschäftigt Kasia Wolinska auch aus biografischen Gründen. Als sie vor zehn
Jahren aus Polen nach Berlin kam, um ihre in Łódź begonnene Tanzausbildung
am HZT (Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin) fortzusetzen, kannte
hier niemand ihre bisherigen Lehrer: Die haben hier einfach keine
Sichtbarkeit.
Zudem musste sie sich umstellen auf eine mehr theoretische und am Konzept
interessierte Ausbildung. Da lernt man vor allem, so erinnert sie, alles zu
hinterfragen, was man macht.
In Łódź hat die 1990 in Gdansk geborene Tänzerin auch Kulturanthropologie
studiert. 2018 begann sie, mit Hilfe einer Einstiegsförderung des Berliner
Senats, einen eigenen Blog, „[3][dance is a weapon“], in dem sie das
Verhältnis von Tanz und Politik reflektiert und auch, was ihr Weg von Ost
nach West für sie bedeutet. Über den Texten sieht man ein Fantasy-Motiv,
Isadora Duncan bändigt mit Strahlen aus Licht einen vielköpfigen Drachen.
Wolinska ist auch an den Images, den Mythen, den Nostalgien und
Zukunftsvorstellungen interessiert, die mitbestimmen, wie wir Geschichte
erinnern. Mit solchen Bildern setzte sie sich (und andere Künstler:innen)
in dem Stück „Salvage“ auseinander, das 2021 in Polen herauskam.
## Erstmals kam genug Förderung zusammen
Bisher hat Kasia Wolinska vor allem Soli choreografiert, was auch damit zu
tun hat, wie viel Förderung sie bekommt. Für „Kiss“ kam erstmals mehr
zusammen, neben der Berliner Senatsverwaltung für Kultur ist die Stiftung
für deutsch-polnische Zusammenarbeit dabei, das Lublin Dance Theatre und
weitere. Das ermöglichte ihr nicht nur, mit zwei Tänzerinnen zu arbeiten,
sondern auch Coaches für Urban Dance dazuzuholen und Oleg Dziewanowski für
die Musikregie zu engagieren. Mit ihm hat sie die Prince-Songs analysiert,
am Hörverständnis gearbeitet, Rhythmen auseinandergenommen. So arbeitet sie
an „Kiss“ erstmals mit einem „musical score“, einer Partitur.
Wenn Wolinska betont, wie viel sie bei der Arbeit an „Kiss“ gelernt habe,
spürt man ihre Freude daran. Was es heißt, mit anderen den Raum zu teilen,
wann man synchron tanzt, wann nicht, wie man solche Entscheidungen trifft,
wie man die Bewegungen der anderen wahrnimmt. Auch wenn sie zwei
Hochschulausbildungen durchlaufen hat, wie das Choreografenhandwerk gehe,
sagt sie, erfahre sie erst jetzt durch Learning by Doing.
Was jetzt noch fehlt, ist der purpurfarbene Tanzteppich, der als Bühnenbild
für „Kiss“ geplant war, aber wohl nicht rechtzeitig fertig wird. Doch der
Lichttechniker will helfen, dass die Hommage an Prince ihre purpurfarbene
Stimmung erhält.
28 Jul 2022
## LINKS
[1] /Neues-Album-aus-Prince-Nachlass/!5541417
[2] /Graphic-Novel-ueber-Taenzerin-Isadora-Duncan/!5717918
[3] http://www.danceisaweapon.com/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Zeitgenössischer Tanz
Tanz
Pop
Tanz im August
Tanz
Theater
Zeitgenössischer Tanz
Gebärdensprache
## ARTIKEL ZUM THEMA
Internationales Tanzfestival in Berlin: Tanzwut und Lebensfreude
Jetzt geht's ums Ganze – das spiegeln viele Stücke beim Festival Tanz im
August in Berlin. Dabei stehen auch weniger heitere Themen im Fokus.
Tanz-Festival in Berlin: Das Einsaugen der Welt
Gerade läuft das Berliner Festival Tanz im August. Sehenswert ist etwa die
spannende Performance der Kanadierin Daina Ashbee.
Schorsch Kamerun am Residenztheater: Die wunderschöne Togetherness
So viele Gemeinsamkeitsprofis, wie sein Netzwerk hergibt, versammelt
Schorsch Kamerun. Sie treffen ins vom Lockdown verstaubte Herz.
Uraufführung von Sasha Waltz in Berlin: Wo der Spielraum eng wird
Mit den Körpern bewegen sich die Gefühle, die Geschichte tritt ein. Am
Staatsballett Berlin kam ein neues Stück von Sasha Waltz zur Uraufführung.
Tanztheater in Berlin: Dein Körper spricht zu mir
In der Halle Tanzbühne beschäftigt sich das Stück „talk to me!“ mit
Kommunikation. Das Ensemble besteht aus gehörlosen und hörenden
Tänzer*innen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.