# taz.de -- Tanztheater in Berlin: Dein Körper spricht zu mir | |
> In der Halle Tanzbühne beschäftigt sich das Stück „talk to me!“ mit | |
> Kommunikation. Das Ensemble besteht aus gehörlosen und hörenden | |
> Tänzer*innen. | |
Bild: Im Stück „Talk to me!“ kommunizieren die Tänzer*innen mit ihren Kö… | |
Die Körper der sechs Tänzer*innen berühren sich selten, sie tanzen | |
dennoch eng zusammen. Freude, Wut, Zärtlichkeit, Eifersucht, Angst, | |
Erschöpfung. Die Gefühlsregungen, an denen die Performer*innen ihr | |
Publikum teilhaben lassen, sind mindestens so vielseitig wie die Themen, | |
die das [1][Tanzstück „talk to me!“] in der „Halle Tanzbühne Berlin“ … | |
Prenzlauer Berg streift: Liebe, Rassismus, (sexuelle) Selbstbestimmung, um | |
nur ein paar zu nennen. | |
Die Choreografin Vanessa Huber, die 2009 das Künstler*innenkollektiv | |
tanzApartment in Berlin gründete, hat für „talk to me“ fünf | |
Darsteller*innen und einen Musiker mit unterschiedlichen biografischen | |
Hintergründen zusammengebracht: Helena Fernandino kommt aus Brasilien und | |
arbeitet seit 2003 in Deutschland. Medhat Aldaabal flüchtete 2015 aus | |
Syrien nach Berlin. Bettina Kokoschka kommt ursprünglich aus Kassel und kam | |
taub zur Welt. Der Tänzer Dodzi Dougban ist in Nordrhein-Westfalen geboren | |
und nach einer Ohrenentzündung in der Kindheit gehörlos. Für die Tänzerin | |
Katja Scholz, aufgewachsen in Guben „verschwand mit der DDR ein Stück ihrer | |
Sprache und Identität“, und der Musiker Lorenz Huber, ebenfalls Gründer von | |
tanzApartment, kommt ursprünglich aus der Schweiz. | |
Was bedeutet Sprache für dich? Wie können wir uns verstehen, was ermöglicht | |
uns Kommunikation? In „talk to me!“ zeigen die Tänzer*innen Teile ihrer | |
eigenen Geschichten. Nicht alles davon erschließt sich auf Anhieb. Etwa | |
weil man die [2][Gebärden nicht versteht], die Sprache nicht spricht oder | |
den Text auf dem Beamerbild so schnell nicht lesen kann. | |
Vielleicht aber auch, weil die Lücken und die Vorurteile, die die | |
Tänzer*innen in der alltäglichen Kommunikation erleben, einem selbst | |
nicht passieren: Sprachbarrieren, Ausgrenzung, Ablehnung. Durch die | |
Interaktion der Spielenden im Tanz wird in jeder Szene ein Gefühl | |
vermittelt. Das aber kann sich durch nur eine kleine Bewegung mit dem Kopf, | |
mit dem Arm in das komplette Gegenteil verändern. | |
## Von Gedichten zu Gebärden zu Tanz | |
Kommuniziert wird in „talk to me!“ an manchen Stellen auch durch | |
gesprochenes Wort und durch Schrift. „Frieden ist schön“ steht etwa auf | |
einer Tür. Der Satz in Bezugnahme auf den Liedermacher Gerd Eggers hängt | |
gerade jetzt länger nach. Auch die Erinnerung an die #SchauHin-Initiative, | |
die 2013 viral ging und Alltagsrassismus sichtbar machte, bleibt hängen, | |
wird im Anschluss nochmal in die Suchmaschine getippt. | |
Amusänt auch die kleine Intervention mit der Spracherkennungssoftware Siri, | |
die künstlerische Selbstkritik fördert: „Siri, was ist der Sinn des | |
Lebens?“ -„Das kann ich Dir im Moment nicht beantworten. Wenn Du mir jedoch | |
etwas Zeit gibst, schreibe ich ein sehr langes Theaterstück, in dem absolut | |
nichts passiert.“ | |
Hauptsächlich wird im Stück aber durch die tanzenden Körper, mit Gebärden | |
und Musik kommuniziert. Lorenz Huber zeigt dabei musikalische | |
Vielfältigkeit an Saxofon, Klarinette, Querflöte und Schlaginstrumenten. | |
Die Gruppe [3][arbeitete auch mit Gedichten, übersetzte diese in | |
Gebärdensprache] und ließ die Gebärden dann in ihre Tanzstücke einfließen. | |
Die verschiedenen Tanzstile der Perfomer*innen harmonieren, besonders | |
schön sind die immer wieder eingeschobenen synchronen Tanzparts, die | |
verdeutlichen, wie wenig wichtig das Hören – oder Nicht-hören in der | |
Kommunikation im Tanz ist. | |
Toll eingesetzt wird auch das auf den ersten Blick einfache, dann im Laufe | |
des Stückes sehr vielseitige Bühnenbild. Die kleine dargestellte Wohnung | |
wird zum Begegnungsraum. Getanzt wird mit und auf einem Klappsofa, | |
musiziert wird an Wänden, Tischen und mit Geschirr. Auf Fenstern gibt es | |
Schattenspiele, das rhythmische Öffnen von Türen wird zur unterhaltsamen | |
Choreografie. Das Bühnenbild wird dabei immer wieder humoristisch | |
eingesetzt, sodass das Stück trotz ernster Themen nie die Leichtigkeit | |
verliert, die auch im Tanz zu sehen ist. | |
Nach anderthalb Stunden intensiven Bewegungsphasen, dabei besonders | |
ausdrucksstarken Momenten der Tänzer*innen Helana Fernandino und Dodzi | |
Dougban, gibt es am Donnerstagabend gebührenden Premierenapplaus. Dass | |
dieser ein wenig leiser ausfällt, liegt nur daran, dass einige im Publikum | |
die Hände heben und die Handgelenke nach links und rechts drehen: die | |
Gebärde für Applaus. | |
11 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tanzapartment.de/projekte/talk-to-me.html | |
[2] /Gegen-Diskriminierung-gehoerloser-Eltern/!5722042 | |
[3] /Uebertragung-von-Poesie/!5810653 | |
## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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