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# taz.de -- Tanztage Berlin 2022: Die Welt ist ein dunkler Ort
> Die Tanztage Berlin sind ein Festival, um neue Performer vorzustellen.
> Sie kommen 2022 mit Bildern, die voller Zweifel an der Zukunft sind.
Bild: Rennen, suchen: Tiran in der Performane „(bb)“ von Tiran/Nkisi zur Er…
Berlin taz | Clubs, Konzerte, ausgehen, um zu tanzen? Man weiß, dem hat
[1][die Pandemie gerade wieder einen Riegel] vorgeschoben. Und so fühlt es
sich zuerst wie ein Requiem an, ein Requiem für ein nicht mehr mögliches
Gemeinschaftserlebnis, wenn die Performance „(bb)“ von Tiran (Performance)
und Nkisi (Musik) im dunklen Raum beginnt, die Zuschauer umhergehen, die
Tribüne leer und ohne Sitze daliegt, Bühnennebel strömen, als ob das Atmen
durch die Maske nicht schon schwer genug wäre, und eine kalte, verstörende
Klangkulisse in den Raum fließt.
Tiran im Kapuzenshirt wird erst nur im Licht seiner Taschenlampe sichtbar,
suchend die leeren Stufen der Zuschauertribüne auf und ab rennend. So sieht
Panik aus.
Das Stück war eins von zweien, mit denen die Tanztage Berlin 2022 am 6.
Januar in den Sophiensälen begonnen haben. Der [2][Kurator Mateuz
Szymanówka, der seine erste Festivalausgabe 2021] ganz auf online verlegen
musste, konnte diesmal zweigleisig planen, für die Bühne und den digitalen
Raum.
Tiran/Nkisi steigen mit Songs, die von Melancholie zur Wut mäandern, mit
dunklen Klanglandschaften und einer Bewegungssprache, die wie eine
erstickte Expression anmutet, hinab an einen Ort der Verzweiflung. Tiran
wirft seine Hände mit den Bewegungen, mit denen Rapper ihre Worte
unterstreichen, ein Fortschleudern einer Botschaft, die aber stumm bleibt.
Seine Energie hat etwas Rasendes und kommt an kein Ziel.
## Körper mit Gitarren
An einen ähnlich dunklen Ort wird „Doom“ führen (am 15. und 16. Januar),
von der Performerin Layton Lachmann und dem Komponisten Samuel Hertz
entwickelt als eine Art Drone-Doom-Metal-Konzert. Ein gleichnamiges Video,
das vorab zu sehen war, lässt die Performer in Kostümen, die zwischen
Superhelden und Popglamour changieren, antreten, die Gitarren sind ihre
Schwerter, ihre Macht und auch ihr Sex. Das Konzert gilt dem „Anfang vom
Ende der Welt“, so ihre Ankündigung, feiert dabei aber auch durchaus
ambivalent die erotisch aufgeladenen Körpersprache der Doom-Gitarristen.
Gute Unterhaltung wünscht übrigens der Medienpartner taz dem Publikum in
den Sophiensälen auf einem Pappaufsteller. Aber um Unterhaltung geht es der
Tanzszene eigentlich am wenigsten. All die Künstler*innen, die bei dem
Festival Tanztage als sogenannter „Nachwuchs“ zusammenkommen, oft aber auch
einfach neu in der Stadt angekommene Akteure sind, treibt etwas um. Was
wird werden aus dieser Welt?
## Eine Narzisse spricht
Im Online-Programm läuft noch bis 16. Januar beispielsweise ein Video von
Clay AD, Bodyworker*in, „Indication of Spring at the End oft Time“. Die
Performerin erzählt eine Geschichte, in der sie aus der Zukunft auf eine
Gegenwart blickt, in der mit den Ressourcen viele Grundlagen des Lebens
zerstört werden. Das Besondere ist, dass ihre Erzählfigur eine Narzisse in
einem Garten ist, der neu angelegt wurde auf ehemals verseuchten Boden. Wie
Clay AD in das Kostüm einer Narzisse schlüpft und herumhüpft, hat etwas
Rührendes in seiner Unbeholfenheit. Es ist die Bewegung einer Suche nach
einer neuen Erzählung, die noch nicht ans Ziel kommen konnte.
Die Sophiensäle sind auch ein Sammelort für eine queere Kunstszene, das
spiegelt sich in den Tanztagen 2022 wieder. Zur Eröffnung gab es von Cassie
Augusta Jørgensen „Debris in a Skin-Tight Corset“. Zwischen der Entwicklung
der Performance vor drei Jahren in Lausanne und der Aufführung jetzt,
schreibt Jørgensen im Programmheft, seien ihr nicht nur „boobies“
gewachsen, die glamourös verziert sind, sondern auch sonst habe sich viel
verändert.
Die Performance aber lebt noch von einer Komik der ungelernten
Weiblichkeit, die halb wie eine Parodie wirkt, wenn Jørgensen im Tutu und
auf hochhackigen Schuhen, sehr wackelig und sehr kokett auf das Publikum
zustakst, mit angedeuteten Ballettgesten und halb wie die Markierung eines
Sehnsuchtsortes, den ganz ernst zu nehmen man sich dann doch nicht traut.
Jørgensen kommt nicht allein, sondern zusammen mit ihrem Bühnenpartner
Rory, viel kleiner als sie, als trauriger Pierrot geschminkt, der für sie
Harfe spielt und singt. Das Überzuckerte ist ebenso Teil des Spiels wie das
Grausame: Mit pantomimischen Gesten deuten sie eine Beziehung an, in der
Unterwerfung und Übergriffigkeit, beiderseits, ins Programm einbezogen
sind. Auch veränderte Geschlechter machen die Welt nicht zu einem Paradies.
Zum Sicherheitskonzept der Sophiensäle gehört es übrigens, dass nur die
Hälfte der Plätze besetzt werden, man geboostert sein sollte oder zum
Impfnachweis noch einen Test braucht.
10 Jan 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Tanz
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