| # taz.de -- Fragwürdiger Abschiebegewahrsam am BER: Brandenburger Tricksereien | |
| > Das geplante Ein- und Ausreisezentrum am Berliner Flughafen soll von | |
| > einem wegen Korruption vorbestraften Investor gebaut werden. Warum bloß? | |
| Bild: Protest gegen den Bau eines Abschiebezentrums am Berliner Flughafen BER i… | |
| Berlin taz | „Die wollen am Parlament vorbei Tatsachen schaffen“, schimpft | |
| Andrea Johlige. Die Brandenburger Linke-Abgeordnete setzt sich schon seit | |
| Jahren gegen den Bau des geplanten „Behördenzentrums“ am Flughafen | |
| Berlin-Brandenburg (BER) ein. Dort soll laut Brandenburger Innenministerium | |
| (MIK) die Einreise von Asylsuchenden, aber auch deren „freiwillige und | |
| unfreiwillige Ausreise“ künftig „effizient und zügig“ abgewickelt werde… | |
| Johlige befürchtet, dass in Schönefeld ein bundesweites | |
| „Abschiebedrehkreuz“ entsteht. Auf einer Fläche von 4,4 Hektar wollen der | |
| Bund und das Land Brandenburg sieben Gebäude für Ankunft, Transit, | |
| Gewahrsam und Rückführungen errichten – wobei der Abschiebegewahrsam von | |
| derzeit 20 auf 120 Plätze erweitert werden soll. | |
| Eigentlich sollten die Bauarbeiten für das Projekt bereits in diesem Jahr | |
| losgehen. Auf taz-Anfrage teilt das MIK mit, dass mit dem Bau „möglichst im | |
| Jahr 2023 begonnen werden sollte“. Eine Inbetriebnahme werde für Ende 2025, | |
| Anfang 2026 angestrebt. Zu den Kosten könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt | |
| keine Aussage getätigt werden. „Die dafür notwendigen Vertragsverhandlungen | |
| sind noch nicht abgeschlossen“, so ein Ministeriumssprecher. | |
| Auch die Linken-Abgeordnete Johlige hat versucht, mehr über die Kosten und | |
| Verträge herauszufinden – vergeblich. „Die mauern ohne Ende. Und wenn | |
| Ministerien so mauern, haben sie etwas zu verbergen“, ist sich Johlige | |
| sicher. | |
| ## Umgehung des seinerzeitigen Linken-Finanzministers | |
| Was das sein könnte, zeigen [1][Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“, | |
| des RBB und der Plattform „FragDenStaat“], die Hunderte interne Dokumente | |
| mehrerer Landes- und Bundesbehörden ausgewertet haben. Die legen nahe, dass | |
| sich das MIK ursprünglich für die Zusammenarbeit mit einem wegen Korruption | |
| vorbestraften Investor entschieden hat, um den damaligen | |
| Landesfinanzminister Christian Görke (Linkspartei) zu umgehen und so den | |
| Bau des Abschiebezentrums ohne größeren politischen Gegenwind | |
| durchzusetzen. | |
| Begonnen hatte das Ganze im Jahr 2018 unter der seinerzeit amtierenden | |
| rot-roten Landesregierung. Der damalige Landesinnenminister Karl-Heinz | |
| Schröter (SPD) wollte auf dem Grundstück des Unternehmers Jürgen B. Harder | |
| eine Nachfolgeeinrichtung für die Anfang 2017 geschlossene | |
| Abschiebungshafteinrichtung in Eisenhüttenstadt errichten lassen, | |
| angeblich, weil dies das einzige bebaubare Gelände war. | |
| Aufzeichnungen des Bundesinnenministeriums (BMI) legen jedoch einen anderen | |
| Grund nahe: „Da der Finanzminister von der Linken gestellt wird, will der | |
| Innenminister kein eigenes Gebäude errichten, sondern von einem Investor | |
| errichten lassen und dann anmieten“, heißt es im Januar 2019 in einem | |
| Protokoll des BMI. | |
| Das MIK, das mittlerweile von dem CDU-Mann Michael Stübgen geleitet wird, | |
| dementiert auf taz-Nachfrage einen derartigen Zusammenhang. Der Grund für | |
| das seinerzeitige Interesse des Ministeriums an einer Investorenlösung | |
| „hatte nach unserer Kenntnis ausschließlich mit der | |
| Realisierungsgeschwindigkeit und der Verfügbarkeit geeigneter Flächen in | |
| Flughafennähe zu tun“, so ein Sprecher. | |
| Dass durch die Investorenlösung die Kosten für die Abschiebeeinrichtung | |
| erst auftauchen, wenn das Projekt fertiggestellt ist und die Miete fällig | |
| wird, soll keine Rolle gespielt haben. Hätte das Land hingegen selbst | |
| gebaut, hätte 2018 kein Weg vorbeigeführt am Landeshaushalt und damit am | |
| Landesfinanzminister Görke. | |
| Christian Görke, der mittlerweile für die Linkspartei im Bundestag sitzt, | |
| bezeichnet die Umgehung seines seinerzeitigen Ministeriums gegenüber der | |
| taz als „Skandal“. Die Linkspartei habe sich „politisch sowie finanziell | |
| gegen den Neubau einer Abschiebeeinrichtung ausgesprochen“. Der Versuch der | |
| SPD, die Pläne über ein Investorenmodell dennoch durchzusetzen, müsse „bei | |
| einer möglichen zukünftigen Zusammenarbeit politisch bewertet werden“. | |
| Laut MIK wurde das Projekt Mitte 2019 beendet, weil es „für das Land | |
| Brandenburg keinen hinreichenden Bedarf an Abschiebungshaftplätzen gibt, | |
| der eine solche Investition rechtfertigen würde“. Ein Jahr später, in | |
| Brandenburg regiert mittlerweile eine rot-schwarz-grüne Koalition, | |
| beschließen das Bundes- und das Landesinnenministerium stattdessen [2][ein | |
| sehr viel größeres „Einreise- und Ausreisezentrum“ am BER], in dem unter | |
| anderem Brandenburgs Zentrale Ausländerbehörde, die Bundespolizei und das | |
| Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterkommen sollen. | |
| Ende Oktober 2021 – kurz vor Ende der Amtszeit von Bundesinnenminister | |
| Horst Seehofer (CSU) – schließen das BMI und das MIK eine | |
| Grundsatzverständigung über das „Behördenzentrum“ ab, die auch unter der | |
| neuen Regierung Bestand hat. „Der Koalitionsvertrag sieht eine | |
| Rückführungsoffensive vor, um die Ausreisepflicht konsequenter umzusetzen“, | |
| so ein Sprecher des mittlerweile von Nancy Faeser (SPD) geleiteten | |
| Bundesinnenministeriums zur taz. Demnach wurden im vergangenen Jahr 11.982 | |
| Menschen abgeschoben, im ersten Halbjahr 2022 waren es 6.198. | |
| Durch die Eröffnung des BER Ende 2020 und das damit einhergehende | |
| „Migrationsgeschehen“ seien „zusätzliche Strukturen zur Einreise und | |
| Ausreiseabwicklung in Flughafennähe zu schaffen“. Dafür habe die | |
| Bundespolizei einen Bedarf von 12 Unterbringungsmöglichkeiten für | |
| Zurückweisungen und Zurückschiebungen angemeldet. Die Pläne des MIK sehen | |
| Kapazitäten für 80 bis 90 Personen vor. Laut BMI gibt es aktuell bundesweit | |
| insgesamt 656 Abschiebungshaftplätze. | |
| ## Deal mit fragwürdigem Investor | |
| Das geplante millionenschwere Abschiebungszentrum soll erneut der Investor | |
| Jürgen B. Harder bauen und später an Bund und Land vermieten. Eine | |
| Ausschreibung gab es auch hier nicht. | |
| Warum das Land nicht selbst baut, sondern mit einem Unternehmer | |
| zusammenarbeitet, der 2015 im Zusammenhang mit einem Schmiergeldskandal zu | |
| einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, erklärt das MIK | |
| auf taz-Nachfrage damit, dass sich „ein wesentlicher Teil der für das | |
| beabsichtigte Bauvorhaben benötigten Flurstücke“ im Besitz Harders befinde. | |
| Für weitere Grundstücke besitze dieser eine verbindliche Kaufoption, | |
| weshalb das Projekt nur in Kooperation mit Harder realisierbar sei. Auch | |
| eine Enteignung will das MIK geprüft haben. | |
| Laut Recherchen von „FragDenStaat“ besitzt Harder allerdings lediglich | |
| einen Bruchteil der Grundstücke, auf denen er bauen soll. Erst im April | |
| 2019 sicherte sich der Ehemann von Ex-Schwimmstar Franziska van Almsick | |
| eine Kaufoption für weitere Grundstücke, kurz darauf änderte das MIK seine | |
| Pläne und verlegte das Abschiebezentrum auf die neuen Grundstücke – die | |
| Harder immer noch nicht gehören. | |
| Für Andrea Johlige bleiben viele Fragen offen: „Wen wollten sie enteignen, | |
| wenn dem Investor die Grundstücke gar nicht gehören?“, so die | |
| Linken-Politikerin. „Entweder wusste das Innenministerium, dass ihm die | |
| Grundstücke nicht gehören, dann hätte es den Landtag getäuscht, oder der | |
| Investor hat das Innenministerium getäuscht, dann sollte man erst recht | |
| nicht mit ihm zusammenarbeiten.“ | |
| Johlige will den Vorfall im Innenausschuss aufklären und hofft, das | |
| Abschiebezentrum noch verhindern zu können – oder zumindest kleiner | |
| ausfallen zu lassen. Dann müsste das Land aber selber bauen, fordert sie. | |
| „Das ist kostengünstiger, Investoren wollen schließlich Rendite.“ Johlige | |
| rechnet damit, dass Harder mit dem Abschiebezentrum in den nächsten 30 | |
| Jahren mindestens 100 Millionen Euro verdient. | |
| „Anstatt Schönefeld zu einem Hotspot für Abschiebungen zu machen, sollte | |
| lieber Geld in Teilhabe investiert sowie Bleiberechtsmöglichkeiten | |
| ausgeschöpft werden“, fordert Mustafa Hussien vom Flüchtlingsrat | |
| Brandenburg. [3][Der lehnt das geplante Behördenzentrum, in dem Geflüchtete | |
| isoliert und eingesperrt würden, grundsätzlich ab.] „Der Ruf nach | |
| vermeintlich ‚konsequenteren‘ und ‚effizienteren‘ Abschiebungen geht | |
| zulasten eines fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahrens“, so Hussien. | |
| 15 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://fragdenstaat.de/blog/2022/08/03/ber-abschiebezentrum/ | |
| [2] /Flughafen-BER/!5805962 | |
| [3] /Demo-gegen-Abschiebezentrum-am-BER/!5830981 | |
| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
| ## TAGS | |
| Innenministerium | |
| Abschiebung | |
| Brandenburg | |
| Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) | |
| taz Plan | |
| Abschiebung | |
| taz Plan | |
| Wochenkommentar | |
| Abschiebung | |
| Asylrecht | |
| Abschiebung | |
| Asyl | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bewegungstermine in Berlin: Immer wieder im Kiez nach den Rechten sehen | |
| Man muss auf seine Umgebung aufpassen. Tut man es nicht, hat man plötzlich | |
| mit einem Naziproblem zu kämpfen – oder mit einem Abschiebeknast. | |
| Landtag diskutiert über Abschiebezentrum: Greenwashing beim Abschieben | |
| Mehr als 16.000 Unterschriften gegen das geplante Abschiebezentrum wurden | |
| bereits gesammelt. Die Brandenburger Grünen geraten zunehmend unter Druck. | |
| Protesttermine in Berlin: Gegen die Mauern Europas | |
| Deutschland und die EU setzen nach wie vor auf Abschottung. Neuestes | |
| Beispiel ist das geplante Abschiebezentum am BER. Doch der Widerstand | |
| wächst. | |
| Abschiebezentrum am BER: Abschieben um jeden Preis | |
| Beim geplanten Abschiebezentrum am BER wird getrickst was das Zeug hält. | |
| Die Steuerzahler*innen kostet das Millionen. Ein Wochenkommentar. | |
| Geplantes Abschiebezentrum am BER: Abschiebungen als Millionengeschäft | |
| Fast eine halbe Milliarde Euro soll das geplante Abschiebezentrum am BER | |
| kosten. Der Investor macht damit hunderte Millionen Euro Gewinn. | |
| Abschiebegewahrsam am BER: Am linken Minister vorbeigeschoben | |
| Bei der Planung des Abschiebezentrums am Flughafen BER agiert Brandenburgs | |
| Innenministerium intransparent. Das legt eine Medienrecherche nahe. | |
| Demo gegen Abschiebezentrum am BER: Solidarisch in Schönefeld | |
| Die Inbetriebnahme des geplanten Abschiebezentrums am BER ist für 2025 | |
| geplant. Grüne und Linke sehen das Bauvorhaben kritisch. Demo am Mittwoch. | |
| Flughafen BER: Abschiebeknast im Anflug? | |
| Mit einem Behördenzentrum will Brandenburg Ein- und Ausreisen über den BER | |
| neu organisieren. Linke fürchtet, dass es vor allem ums Abschieben geht. |