| # taz.de -- Wassermangel in Europa: Es gibt keinen Reis, Baby | |
| > Die Auswirkungen der Dürre sind in ganz Europa zu spüren. Der | |
| > Wassermangel ist aber oft auch einer maroden Infrastruktur geschuldet. | |
| Bild: Schon seit Mitte Mai wird Italien von einem afrikanischen Hochdruckgebiet… | |
| Eigentlich sollten sich jetzt in der norditalienischen Lomellina die | |
| Wasserflächen so weit erstrecken, wie das Auge reicht, durch niedrige Dämme | |
| mit ihren Bewässerungskanälen in unzählbare große Quadrate unterteilt. | |
| Eigentlich sollten auf diesen unter Wasser gesetzten Feldern jetzt die | |
| Reispflänzchen sprießen. | |
| Eigentlich. Doch 2022 ist alles anders. Statt Wasser auf den Feldern: | |
| ausgetrocknete sandige Böden. Statt sattgrünen Sprösslingen: verkümmernde | |
| Pflanzen, deren Farbe eher zu Grau tendiert. Seit gut 500 Jahren wird in | |
| der Po-Ebene Reis angebaut, seit mehr als 100 Jahren werden in der | |
| Lomellina – einem der wichtigsten Anbaugebiete Italiens, des größten | |
| Reisproduzenten Europas – die Felder Jahr für Jahr gewässert. | |
| Die Jahrhundertdürre macht den Landwirt*innen einen Strich durch die | |
| Rechnung. Normalerweise sind sie bestens versorgt, vom Po und diversen | |
| anderen Flüssen sowie vom Canale Cavour, einem 83 Kilometer langen Kanal, | |
| der die Zone durchschneidet. Gewöhnlich wird der Canale Cavour mit 110 | |
| Kubikmeter Wasser pro Sekunde vom Po versorgt – in diesen Wochen reduzierte | |
| sich die Einspeisung auf klägliche 4 Kubikmeter. Insgesamt haben die | |
| Landwirtschaftsbetriebe der Gegend 85 Prozent weniger Wasser zur Verfügung. | |
| Seinen Ausgangspunkt nahm das Drama schon im letzten Winter. Über Monate | |
| hinweg gab es wenig Regen, wenig Schnee und damit jetzt auch wenig | |
| Schmelzwasser, das die Flussläufe füllen könnte. Eigentlich ist Italien | |
| entgegen landläufigen Vermutungen eines der am stärksten mit Niederschlägen | |
| gesegneten Länder Europas. So fällt in Turin im langjährigen Mittel pro | |
| Jahr 1.000 Millimeter Niederschlag (in Hamburg sind es 800), in Venedig gar | |
| 1.080 (Brüssel: 807), in Rom 837 Millimeter (Berlin: 669 Millimeter), und | |
| selbst im sizilianischen Palermo sind es noch 754 Millimeter, doppelt so | |
| viel wie in Athen. | |
| Dieses Jahr blieb vor allem in Norditalien ein Großteil der Niederschläge | |
| aus, fiel zum Beispiel in der nordwestlichen Region Piemont in den ersten | |
| sechs Monaten nur 90 Millimeter Regen. Damit nicht genug: Italien erlebt | |
| einen Hitzesommer wie seit 2003 nicht mehr. Schon seit Mitte Mai wird das | |
| Land von einem afrikanischen Hochdruckgebiet nach dem anderen geplagt, am | |
| Wochenende steht das nächste ins Haus, mit Temperaturen von bis zu 42 Grad | |
| in der Po-Ebene. | |
| Entsprechend düster sind die Aussichten für die Landwirtschaft in der | |
| Po-Ebene, die allein ein Drittel der italienischen Agrarproduktion liefert. | |
| Deutliche Ernteausfälle werden beim Getreide befürchtet, bei Mais und Soja. | |
| Besonders hart aber wird es wohl den Reis treffen. Die Landwirt*innen | |
| befürchten ein Minus von 30 bis 50 Prozent, sollte die extreme Hitze | |
| anhalten, sogar bis zu 70 Prozent. | |
| Jetzt, wo das früher im Überfluss vorhandene Wasser zum knappen Gut | |
| geworden ist, brechen die ersten Verteilungskämpfe aus. Zunächst | |
| beschwerten sich die im Reisanbau tätigen Unternehmen aus der Lomellina | |
| darüber, dass in der westlich gelegenen Zone um Novara das gesamte Wasser | |
| abgegriffen werde. Selber schuld seien die Agrarbetriebe in der Lomellina, | |
| gab der Landwirtschaftsverband Confagricoltura aus Novara zurück: Sie | |
| hätten in den letzten Jahren ihre Anbauflächen um 60 Prozent ausgeweitet, | |
| und auf ihren sandigen Böden sei eine dreifach höhere Bewässerung nötig als | |
| in Novara. | |
| Alles das müsste gar nicht sein, sagt der Wasserwirtschaftsexperte Erasmo | |
| D’Angelis, denn Italien sei „das wasserreichste Land Europas“. Doch es | |
| fehlten schlicht die Wasserinfrastrukturen, in die seit 60 Jahren kaum noch | |
| investiert worden sei. So würden heute 4 Prozent weniger Regenwasser in | |
| Staubecken aufgefangen als vor 50 Jahren. Wegen der lecken Wasserleitungen | |
| gingen zudem 42 Prozent des Nass verloren. Das gereinigte Wasser aus den | |
| Kläranlagen werde nicht wiederverwendet, sondern ins Meer gekippt. | |
| D’Angelis erhofft sich die Wende von 2.000 neuen kleinen Staubecken; für | |
| 400 von ihnen gibt es schon fertig ausgearbeitete Projekte. Für sie und die | |
| Sanierung des Leitungsnetzes will die Regierung jetzt 4 Milliarden Euro | |
| bereitstellen. Diese Investitionen könnten den Wassernotstand in | |
| zukünftigen Dürren mildern. Die diesjährige Reisernte werden sie nicht | |
| retten. (Michael Braun, Rom) | |
| ## *** | |
| ## Die Tiere gehen weg | |
| Die Wasserbehörde für das Einzugsgebiet des Guadalquivir (CHG) schlägt | |
| Alarm. Das Doñana-Feuchtgebiet am Unterlauf des südspanischen Flusses, | |
| zwischen Sevilla und der Atlantikküste, trocknet aus. Der Nationalpark, der | |
| Zugvögeln auf ihrem Weg von Afrika nach Nordeuropa und umgekehrt Ruhestätte | |
| bietet, hatte seit 1970 nicht mehr so wenig Wasser. | |
| In manchen Teilen ging der Wasserstand diesen Frühsommer sogar weiter | |
| zurück, als anhand der Niederschlagsmengen zu erwarten gewesen wäre. Dieser | |
| „statistisch gesehen deutliche Rückgang“ – so die CHG – deutet auf eine | |
| übermäßige Nutzung der Grundwasserschichten durch die Landwirtschaft hin. | |
| Drei der fünf Zonen, in die das Grundwasservorkommen des Parks eingeteilt | |
| ist, werden „übermäßig ausgebeutet“, so die CHG. Das betrifft 62 Prozent | |
| des insgesamt 543 Quadratkilometer großen Feuchtgebietes. Doñana ist seit | |
| 1994 Unesco-Weltkulturerbe. | |
| Dieses Jahr ist es in Spanien ganz besonders trocken. Mitte Juli waren die | |
| Stauseen des Landes gerade einmal noch zu 44 Prozent gefüllt. Im | |
| Zehnjahresmittel waren es 64 Prozent. In der Südhälfte des Landes sind die | |
| Stauseen sogar schon zu zwei Dritteln leer. | |
| Die Auswirkungen des Wassermangels für die Fauna im Doñana-Gebiet sind | |
| nicht zu übersehen. Die Zahl der Vögel sei „innerhalb einer historischen | |
| Serie, die die letzten 50 Jahre umfasst, im Jahr 2022 eine der | |
| niedrigsten“, erklärt das spanische Zentrum für Forschung (CSIC) in | |
| Zusammenarbeit mit der Biologischen Station Doñana. Die Forscher | |
| registrierten 87.500 Vögel. „Weit entfernt von den etwas mehr als 470.000 | |
| im vergangenen Jahr.“ | |
| Auch um die Säugetiere machen sich die Wissenschaftler Sorgen. So geht in | |
| Doñana die Bevölkerung an Hasen, Wildschweinen und Hirschen deutlich | |
| zurück. Das gleiche gilt für die Reptilien, wie mehrere Schildkrötenarten, | |
| die nur hier vorkommen. | |
| Zahlreiche Zugvögel bleiben aus. „Manche Spezies verbringen den Winter | |
| weiter im Norden Europas“, erklärt Parksprecher Javier Bustamante im | |
| andalusischen Regionalfernsehen. Er schreibt diese Entwicklung dem | |
| Klimawandel zu. Je wärmer die Winter, desto mehr Vögel verzichten auf die | |
| lange Reise. Viele Spezies reproduzieren sich derzeit nicht. „Bei manchen | |
| Arten ist das nicht schlimm, aber bei bedrohten Sorten ist dies | |
| gefährlich“, weiß Bustamante. | |
| Der Iberische Adler könnte aus der Gegend schon bald völlig verschwinden. | |
| Die spanische Sektion der Umweltorganisation Seo Birdlife untersucht die | |
| Fortpflanzungsrate verschiedener Vogelarten in Doñana. Sie sei es beim | |
| Iberischen Adler „die schlechteste in den letzten 17 Jahren“. | |
| „Die Kaiseradler sind spezialisierte Raubvögel, und damit ein Indikator für | |
| den Zustand des gesamten Ökosystems“, gibt Seo-Sprecher Carlos Davila zu | |
| bedenken. Insgesamt sei die Reproduktionsrate bei 82 Prozent der Arten in | |
| Doñana rückläufig. | |
| Umweltschutzorganisation und Parkverwaltung verlangen ein gemeinsames | |
| Vorgehen der verschiedenen Verwaltungen, um den Nationalpark zu retten. | |
| Doch die konservative Regionalregierung Andalusiens hat ihre eigenen Pläne. | |
| Sie will 80 Prozent der illegale Anbauflächen (1.460 Hektar) rund um Doñana | |
| amnestieren. | |
| Die bislang nicht genehmigten Flächen, auf denen sich Anbauflächen für | |
| Beeren aller Art befinden, werden mit rund 1.000 illegal geschlagenen | |
| Brunnen bewässert. Die auf den insgesamt etwa 11.000 Hektar angebauten | |
| Erdbeeren und anderen Beeren landen später auf den mittel- und | |
| nordeuropäischen Tischen. | |
| Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg hat Spanien vor | |
| einem Jahr wegen Untätigkeit verurteilt. Er gab einer Klage der | |
| EU-Kommission der Umweltschutzorganisation WWF statt, die Madrid | |
| beschuldigte, die europäischen Wasserrichtlinien nicht einzuhalten und eine | |
| „übermäßige Entnahme von Grundwasser“ zuzulassen. | |
| Laut dem EuGH hat Spanien bei der Erstellung des Hydrologischen Plans 2015 | |
| bis 2021 diese illegale Wasserentnahmen für die Landwirtschaft so wenig | |
| berücksichtigt wie die Wasserentnahmen für die Versorgung der umliegenden | |
| Gemeinden und Touristenzentren. (Reiner Wandler, Madrid) | |
| *** | |
| ## Das Feuchtgebiet trocknet aus | |
| Wegen verheerender Waldbrände herrscht in Frankreichs Südwesten herrscht | |
| weiter Hochalarm. Obwohl die größte Hitze wohl noch bevorsteht, wurden | |
| südlich von Bordeaux bereits über 4.000 Hektar Pinienwald verwüstet, in La | |
| Teste-de-Buche bei Arcachon weitere 3.000 Hektar. | |
| Bislang mussten 6.000 Menschen, unter ihnen viele Touristen auf | |
| Campingplätzen, evakuiert werden. Feuerwehrleute und Löschflugzeuge sind | |
| pausenlos im Einsatz. Das traditionelle Feuerwerk zum Nationalfeiertag am | |
| 14. Juli war in diesen Zonen verboten worden. Auch im Hinterland der Côte | |
| d’Azur kreisen Löschflugzeuge, und der Zugang zu bekannten Wandergebieten | |
| ist gesperrt, um jede Unvorsichtigkeit zu vermeiden. | |
| Vor Waldbrandgefahr wird aber selbst in Fontainebleau in der Umgebung von | |
| Paris gewarnt. In vielen Kommunen muss Wasser gespart werden, die | |
| Versorgung mit Trinkwasser oder die Bewässerung der Felder sind | |
| eingeschränkt. | |
| Für solche Krisenzeiten mit extremen Temperaturen gibt es spezielle | |
| Katastrophenpläne für die Altenheime und auch für die Krankenhäuser. | |
| Mehrere Dutzend Notfallstationen des öffentlichen Gesundheitssystems sind | |
| aber wegen eines starken Personalmangels am Wochenende oder in der Nacht | |
| geschlossen. | |
| Auf den Klimawandel in den kommenden Jahren versucht sich Frankreich mit | |
| Lehren aus der Vergangenheit vorzubereiten. Die Katastrophe von 2003 mit | |
| 15.000 Hitzetoten während der ersten „Canicule“ (Hundstage) des neuen Typs | |
| dient den Behörden noch auf lange Zeit hinaus als abschreckende Erfahrung. | |
| So unvorbereitet und unorganisiert soll Frankreich nie wieder von einer | |
| derartigen Hitzewelle überrumpelt werden. | |
| Der damalige Präsident, Jacques Chirac, hatte diese Katastrophe aus der | |
| Ferne seines Urlaubs verfolgt. Erst zwei Wochen nach dem Ende der Hitze gab | |
| er eine Erklärung ab, wies jegliche staatliche Verantwortung zurück und | |
| mahnte die Bürger*innen zu mehr Solidarität mit ihren anfälligen | |
| Nachbarn. | |
| In der Folge wurde ein Frühwarnsystem mit einem mehrere Stufen umfassenden | |
| Plan ausgearbeitet, der verschärfte Vorsichtsmaßnahmen vorsieht und die | |
| Kommunen zu lokalen Initiativen bei ihren betagten Bürger*innen anhält. | |
| In diesem Kontext wird auch das Seine-Ufer jeden Sommer unter der | |
| Bezeichnung Paris-Plages in eine Strandlandschaft verwandelt. Das Modell | |
| kam so gut an, dass inzwischen zahlreiche Kommunen mit Ideen wetteifern, wo | |
| man sich während der heißen Urlaubstage abkühlen kann. (Rudolf Balmer, | |
| Paris) | |
| 16 Jul 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
| Reiner Wandler | |
| Rudolf Balmer | |
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