# taz.de -- Generationenkonflikt in der Klimadebatte: Das Schweinsbraten-Syndrom | |
> Die Generation Boomer sucht nach Lösungen für die Klimakrise im eigenen | |
> Konsumverhalten. Jüngere betrachten das große Ganze. | |
Bild: Eine Protestaktion der „Letzten Generation“ Anfang Juli in Berlin | |
Wenn ich mit Boomern über die Klimakrise spreche, fühle ich mich oft an den | |
Familienesstisch meiner Jugend zurückversetzt. Dort sprachen wir mit den | |
Eltern über die Erderhitzung als Konsumthema – es ging etwa um unsere | |
Ernährung oder um das Fliegen. Die beste Lösung schien es zu sein, den | |
klimaschädlichen Konsum runterzuschrauben. | |
Wenn ich mich im Freundeskreis umhöre, gewinne ich den Eindruck, dass die | |
vermeintliche Klimalösung meiner Familie stellvertretend für die vieler | |
weiterer bürgerlicher Familien mit Boomereltern steht – und, bis zu einem | |
gewissen Punkt, [1][für die von Boomern allgemein.] | |
Ein weiteres Beispiel: Ende letzten Jahres erschien eine [2][Klimakolumne | |
in der taz], in welcher ein 54-jähriger Kollege seine Liebe für | |
Schweinsbraten beschrieb. Die Kolumne beginnt mit zwei Paragrafen | |
Essenspornografie für Fleischliebhaber:innen, danach wiegt mein Kollege | |
seine Konsumentscheidungen gegeneinander auf: keinen Führerschein und fair | |
produzierte Unterwäsche, aber dafür Schweinsbraten. Er möchte suggerieren, | |
so meine Interpretation, dass er, wie wir alle, nicht perfekt ist. | |
Für mich ist die Frage, ob man noch in Frieden Steak genießen darf, wenn | |
man sich dafür anderweitig engagiert, die falsche. Sie ist eigentlich | |
unbedeutend. Wenn ich an die Klimakrise denke, kommen mir weder | |
Schweinsbraten noch nachhaltige Mode als Erstes in den Sinn. Ehrlich | |
gesagt, denke ich dann gar nicht so sehr an mich selbst. Und das liegt | |
nicht daran, dass ich mir nie Gedanken über meinen zu großen ökologischen | |
Fußabdruck mache. | |
## Der Globale Norden lebt über die ökologischen Verhältnisse | |
Ich bin 1995 geboren, für Menschen wie meine Eltern macht mich das zum | |
Millennial oder Gen-Zler, aber auf jeden Fall zugehörig zur „Generation | |
Klima“. Meine Top 3 Klima-Buzzwords sind multinationale Großkonzerne, | |
Globaler Norden, Top 1 Prozent der Bevölkerung. Multinationale Großkonzerne | |
profitieren von den globalen Freiräumen für extraktiven, umweltverachtenden | |
Kapitalismus. | |
Der Globale Norden lebt über seine ökologischen Verhältnisse, [3][ist | |
historisch wie aktuell zum großen Teil für die Klimakrise verantwortlich.] | |
Die Reichsten der Reichen? Sie stehen symbolisch wie real für einen | |
ökologisch entkoppelten, zerstörerischen Lebensstil. Hier sollte | |
Klimaschutz anfangen. | |
Deutlich lassen sich die unterschiedlichen Blickwinkel auf die gleiche | |
Krise auch anhand des Buchs „Noch haben wir die Wahl“ erkennen. Die | |
Klimaaktivistin Luisa Neubauer (24) und Bernd Ulrich (61), | |
stellvertretender Chefredakteur der Zeit, nehmen die Klimakrise als Anlass | |
für ein gedrucktes Gespräch. | |
Ulrich, als Repräsentant der Boomer-Generation, spricht in seiner | |
„Klimabiografie“ zwar über seinen „Friedens-/Umwelt-/Anti-AKW-“Aktivis… | |
doch vor allem schildert er sein Konsumverhalten. Er beschreibt seine | |
„Volvo-Phase“, in der er zu viel geflogen und gefahren sei, noch dazu viel | |
gekauft habe. Später habe er seinen Lebensstil zurückgeschraubt, sei | |
kleinere Autos gefahren, habe sich ökologischer ernährt und nachhaltigere | |
Kleidung getragen. | |
## Jede Generation führt ihre eigenen Debatten | |
Ulrich bereut, dass sein Lebensstil zur Klimakrise beigetragen hat. | |
Neubauer hingegen widmet sich nach einem kurzen Abriss ihrer | |
emissionsstarken Jahre direkt den großen Themen. „Es ist für mich immer | |
noch eine offene Frage, was genau die Rolle der Privilegierten ist, auf dem | |
Weg Richtung Klimagerechtigkeit“, schreibt sie, als Ulrich sie auf ihre | |
Klimabiografie anspricht. | |
Neubauer stellt ihr Konsumverhalten, anders als Ulrich, nicht in den | |
Mittelpunkt. Möchte sie uns etwas verheimlichen? Ich glaube nicht. Die | |
eigene Konsumvergangenheit, so scheint es mir, erkennt sie an, sogar als | |
weltanschauungsverändernden Faktor. Aber sie hält sich nicht damit auf. Ich | |
denke, dass sie es für unnötig hält, denn die entscheidenden Fragen und | |
Lösungen sind andere. | |
Und hierin besteht der Unterschied, der Konflikt, wenn man so will. Für die | |
ältere Generation ist der eigene Konsum das Ventil der Veränderung. Es ist | |
ihr individueller, reflektiver Check, ob sie sich genug fürs Klima | |
engagieren. Jede Generation führt ihre eigenen Debatten, das ist normal. | |
Doch hier führen verschiedene Generationen unterschiedliche Debatten über | |
die gleiche existenzielle Krise. Wir sprechen aneinander vorbei. | |
Dabei unterscheiden sich Begriffe und Meinungen zum Thema Klima auch | |
innerhalb meiner Generation gewaltig. Neubauer und Ulrich fassen diese | |
Meinungsheterogenität in ihrem Buch treffend zusammen: „Fürs Klima sein ist | |
in etwa so wie Demokratie gut finden.“ Will heißen: Fast jede:r ist dafür, | |
aber dieses „Dafür-sein“ muss man auch erst mal mit Leben füllen. Da gibt | |
es große Kontraste. | |
## Boomer haben den Großteil der politischen Macht | |
Doch beim Mittel der Wahl, um Veränderung herbeizuführen, ist meine | |
Generation sich weitestgehend einig: Wir gehen auf die Straße, wenden uns | |
mit unseren Ideen und Forderungen an eine möglichst breite Öffentlichkeit, | |
einige [4][leisten zivilen Ungehorsam.] Diejenigen, die das nicht machen, | |
verurteilen den Protest nur selten. | |
Wir versuchen natürlich auch, unseren Lebensstil den Klimarealitäten | |
anzupassen, aber vielen ist klar, dass das nicht zu den großen, | |
schlagartigen Veränderungen führt, die die Welt jetzt braucht. Der Fokus | |
liegt nicht bei uns selbst, sondern bei den Mächtigen. | |
Diese generationell unterschiedlichen Assoziationen zur Klimakrise stellen | |
junge Menschen vor ein großes Problem. Denn politische | |
Entscheidungsprozesse funktionieren in Deutschland besser, wenn sie auf die | |
Gedankenwelten und Weltanschauungen der älteren Generationen zugeschnitten | |
sind. Exemplarisch dafür steht das Bundeskabinett von Olaf Scholz: Den | |
Kanzler in diesem Fall ausgenommen, hat die Truppe eine Altersamplitude von | |
18 Jahren. Das jüngste Kabinettsmitglied Annalena Baerbock ist 41 Jahre | |
alt, Karl Lauterbach mit 59 Jahren das älteste. | |
Noch dazu liegen 10 von 16 Kabinettsmitglieder alterstechnisch eng | |
beieinander, doppelt vertreten ist das Alter 51, 52, 53, 54 und 56. | |
Diejenigen, die älter sind, wie Scholz (63) und Steinmeier (66), haben, | |
letzterer eher theoretisch, noch mehr Macht. Die Statistiken lesen sich wie | |
ein bauchiges Bierglas: Unten ist wenig Platz, ab der Hälfte öffnet es | |
sich. Ganz oben wird das Glas wieder ein wenig schmaler. Ein Großteil der | |
politischen Macht verteilt sich auf die gleiche Altersgruppe. | |
## Die Jungen haben recht | |
Nun dreht es sich in der Bundespolitik nicht um individuelles | |
Konsumverhalten innerhalb des gesetzlichen Rahmens, sondern um den | |
gesetzlichen Rahmen für individuelles Konsumverhalten. Aber, so meine | |
Erfahrung, in den Köpfen der Generation, die diesen Rahmen bestimmt, ist | |
das private Verhalten als Klimalösung hoch im Kurs. | |
Vielleicht erklärt sich so, warum Bundesagrarminister [5][Özdemir ein | |
fünfstufiges, informatives Fleischlabel] einführen möchte, an dem sich | |
Verbraucher:innen orientieren können, aber systematische, effektive | |
Klimalösungen wie der Kohleausstieg für das Jahr 2038 geplant sind und | |
damit viel zu spät. | |
Ob es nun ein Generationenkonflikt ist oder nicht, in diesem Fall haben die | |
Jungen recht. Das Konsumverhalten sollte nicht Kern der Klimadebatte sein. | |
Das Schweinsbraten-Syndrom der älteren Generationen verhindert bei vielen, | |
die Klimakrise über das eigene Leben hinaus zu denken. Doch genau das | |
sollten wir. | |
6 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Enno Schöningh | |
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